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Kölner Experte über NachhaltigkeitWie sieht die Zukunft der Modebranche aus?

Lesezeit 4 Minuten

Der Fast-Fashion Anbieter Shein eröffnet nun auch vereinzelte physische Pop-up-Stores - hier zum Beispiel in Barcelona

Köln – Der stationäre Modehandel hat harte Jahre hinter sich. Die Corona-Pandemie hat ihn auf verschiedenste Arten gebeutelt: Während der Lockdowns blieben die Geschäfte geschlossen, und wenn sie öffneten, fehlte potenziellen Kunden meist der Anlass, sich neu einzukleiden. Weil Kleidung Saisonware ist, liefen den Händlern die Lager mit Kleidung voll, die später niemand mehr kaufen wollte. Wer zuvor stationär kaufte, wanderte häufig ins Netz ab.

Im ersten Halbjahr lagen die Umsätze der stationären Modegeschäfte etwa 50 Prozent über denen des lockdown-geplagten Vorjahres, aber nach Schätzungen des Branchenverbands BTE noch immer zehn bis zwanzig Prozent unter denen des Vor-Corona-Jahres 2019.

Doch nicht nur die stationären Händler, die gesamte Modebranche steht derzeit vor Herausforderungen und Veränderungen. Gerd Müller-Thomkins ist Geschäftsführer des Deutschen Mode Institut (DMI) mit Sitz in Köln. Er erklärt, welche Themen die Branche derzeit prägen – und ordnet ein, wo die Reise hingeht.

Der Wandel von stationärem und Onlinehandel

„Der Handel muss sich neu erfinden“, sagt Müller-Thomkins. In der Vergangenheit hätten stationärer und Onlinehandel sich vor allem auf das Verkaufen konzentriert. Nun müssten sie sich auf ihre Stärken zurückbesinnen. Im Geschäft sei das die Emotionalisierung – im Onlinehandel die Funktionalität. „Die Kompetenz des stationären Handels liegt in der Inszenierung; darin, Emotionen und ein mehrdimensionales Erlebnis zu schaffen“, so Müller-Thomkins. Die Realität sei bislang häufig noch eine andere: „Von einer gekonnten Inszenierung von Alltagsästhetik sind wir noch meilenweit entfernt.“

Bei einem Webshop sei dagegen egal, dass er über „die Emotionalität eines Schraubenregals im Baumarkt“ verfüge. Er sei nur dazu da, Käufe abzuwickeln. Wichtig sei das Zusammenspiel beider Kanäle, zum Beispiel bei Konzepten wie „Ship from Store“: Dabei sucht sich der Kunde im Geschäft die Ware aus, diese wird ihm aber – beispielsweise, wenn sie nicht in der richtigen Größe verfügbar ist – direkt nach Hause geschickt.

Mehr Nachhaltigkeit – und mehr Fast Fashion

Für Müller-Thomkins ist klar, dass die Branche sich verändern muss: „Mode hat die Umschlaggeschwindigkeit einer Wochenzeitschrift“, sagt er und spielt damit auf die schnell wechselnden Kollektionen an. „Das Geschäftsmodell wird zurzeit massiv hinterfragt – und das zurecht. Die gegenwärtige Generation der Modemacher sitzt auf der Anklagebank nachwachsender Generationen.“

Dennoch zeigt sich gerade bei diesem Aspekt eine starke Polarisierung im Kaufverhalten: Während einige Zielgruppen verstärkt nachhaltige Mode kaufen und ihren Konsum zurückschrauben, orientieren sich andere hin zu sogenannter „Ultra Fast Fashion“. Der bei jungen Menschen extrem erfolgreiche chinesische Onlinehändler Shein beispielsweise bringt laut DMI siebzigmal mehr Modelle auf den Markt als H&M. „Das ist das Gegenteil von dem, was wünschenswert wäre“, sagt Müller-Thomkins. „Aber bei vielen Jüngeren ist die Lust auf Fast Fashion ungebremst.“

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Der Experte erwartet, dass die Politik regulierend tätig werden muss, um diese Entwicklung einzudämmen. Instrumente wie das Lieferkettengesetz können einen gesetzlichen Rahmen stecken. Der nachhaltig orientierte Konsument werde sich mittelfristig am Etikett orientieren, das über QR-Codes zunehmend mehr Transparenz erzeuge. Dadurch werde Nachhaltigkeit mehr Gewicht gewinnen und auch sozialen Druck erzeugen.

Die Menschen kaufen Luxus – oder sehr günstig

In der Pandemie hörte man es an verschiedensten Stellen: Die Menschen kauften höherwertiger ein als zuvor – sei es im Supermarkt, beim Buchen einer Reise oder im Bekleidungsgeschäft. Der französische Konzern LVMH, zu dem unter anderem die Luxusmarken Louis Vuitton und die Modesparte von Dior gehören, steigerte seinen Umsatz 2021 um satte 44 Prozent. Im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 lag das Plus noch immer bei 14 Prozent. Auch Marken wie Kerig (plus 34,5 Prozent), Richemont (plus 50 Prozent) und Hermès (plus Prozent) steigerten ihre Umsätze stark. Gegenpol war auch hier wieder die Fast Fashion mit ihren Billigpreisen. Laut DMI ist Shein nämlich nicht nur siebzigmal schneller als H&M, sondern auch ein Drittel bis die Hälfte günstiger.

Auch bei der Art der gekauften Kleidung zeigt sich laut DMI zuletzt eine deutliche Polarisierung: Die Konsumentinnen und Konsumenten kauften entweder besonders bequeme oder besonders schicke Kleidung. Dabei spielt wohl erneut die Pandemie eine Rolle: Zurzeit werden viele verschobene Feiern nachgeholt, es gibt ein starkes Nachholbedürfnis. Auf der anderen Seite wollen die Menschen laut Müller-Thomkins aber auch nicht auf ihre im Lockdown liebgewonnene bequeme Kleidung verzichten.

Ein Blick in die Zukunft

Wo steuert eine Branche hin, die derzeit vom schnellen Wechsel des Kleiderschranks lebt, aber eigentlich dringend nachhaltiger werden muss? Müller-Thomkins hat eine These, die zunächst eher ungewöhnlich anmutet. „Global agierende Marken werden virtuelle Kleidung entwickeln, die man auch virtuell tragen kann“, prognostiziert der Branchen-Experte.

Schon heute werde die Entwicklung von Bekleidung zunehmend digitalisiert – da sei es einfach, diese auch digital zur Verfügung zu stellen. Getragen werden könne digitale Kleidung in Zukunft im viel diskutierten Metaversum. Dabei handelt es sich um eine digitale Parallelwelt, in der sich Menschen virtuell bewegen und miteinander in Kontakt treten können. Die digitale Kleidung sei am Ende auch ressourcenschonender als der physische Kauf von Mode.