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GermanwingsHunderte Piloten wollen fliegen – die Lufthansa lässt sie derzeit nicht

Lesezeit 6 Minuten
flughafen

Aus dem Lufthansa-Konzern: Eurowings-Maschine in Köln.

Köln – Mitten im Gespräch in einem Kölner Biergarten startet Pilot Christian Penser (Name geändert) eine App auf seinem Handy und scrollt etwas auf und ab. „Heute sind in Düsseldorf zwölf Eurowings-Maschinen ausgefallen, in Köln acht“, sagt er dann. „Es macht mich fassungslos.“

Penser hätte sehr gerne einen der am Boden gebliebenen Jets gesteuert. Die Lizenz für den Airbus A320 hat er, seit er vor mehr als 15 Jahren bei der Lufthansa-Tochter Germanwings den Dienst antrat. In etwa seit dem bewusst herbei geführten Absturz einer Germanwings-Maschine vor sieben Jahren wickelt der Mutterkonzern die Marke der ehemaligen Billig-Airline zwar ab. Doch die Piloten blieben auch nach der Tragödie noch lange dort beschäftigt.

Auch dann, als das Germanwings-Kürzel „4U“ schon lange nicht mehr auf den Anzeigetafeln der Flughäfen auftauchte. Sie flogen danach vor allem für Eurowings, auch wenn ihr Arbeitgeber anders hieß. Die Folge der Corona-Pandemie fesselte dann aber die meisten an den Boden, der Germanwings-Flugbetrieb wurde dauerhaft eingestellt.

Etwa 200 Piloten sind seit 1. Juli freigestellt

Pilot Penser darf jetzt erst einmal gar nicht mehr innerhalb des Lufthansa-Konzerns fliegen – weder für die Schwesterfirma Eurowings noch für die Muttergesellschaft mit dem Kranich. Etwa 200 weiteren Piloten mit alten Germanwings-Verträgen geht es genauso: Sie sind bis Ende September freigestellt. Der unterzeichnete Folgevertrag sichert weiter eine Anstellung im Lufthansa-Konzern zu. Doch welche Aufgaben sie genau erfüllen werden, ist noch ungewiss.

Airlines im Lufthansa-Konzern

Netzwerk-Fluggesellschaften

Zu diesem Bereich gehören die Marken Lufthansa, Swiss, Austrian Airlines und Brussels Airlines.

Zugeordnet sind dem Segement auch die die sogenannten German Airlines:

- Eurowings Discover

- Lufhansa Cityline

- Air Dolomiti

Germanwings

Germanwings war die Antwort der Lufthansa auf aufstrebende Billigflieger in Europa. Die Marke wuchst rasch, doch eine Katastrophe setzte der Airline schwer zu. Am 24. März 2015 steuerte ein Pilot einen mit 150 Menschen besetzten Airbus A320 in den Schweizer Alpen bewusst gegen einen Berg, alle Insassen starben.

Das Unternehmen hatte schon vor dem Unglück umgebaut werden sollen. In der Corona-Pandemie wurde der Flugbetrieb dann komplett eingestellt.. Das Unternehmen Germanwings blieb bestehen und beschäftigte unter anderem weiterhin Piloten.

Zum 30. Juni unterzeichneten die meisten Piloten mit Altverträgen einen Aufhebungsvertrag, der sie bis zum 1. Oktober vom Dienst freistellt. Ab dann werden sie bei der Cockpitpersonal GmbH im Lufthansa-Konzern angestellt sein und eventuell bei Eurowings zum Einsatz kommen - als ausgeliehene Arbeitskräfte.

Eurowings

Die Rolle von Germanwings hat im Konzern Eurowings eingenommen, eine separate Einheit innerhalb der Lufthansa. Zur Sparte gehören auch die Gesellschaft Eurowings Europe sowie eine Beteiligung am Ferienflieger SunExpress.

Eurowings Discover gehört als Ferienflieger für Mittel- und Langstreckenflüge nicht zu dieser Konzerneinheit.

Es ist die Ironie des Luftverkehrschaos im Sommer 2022. Tausende Flüge fallen aus wegen Problemen an den Flughäfen und bei den Airlines. Flugkapitäne sind gesucht, unter anderem bei Eurowings. Doch verfügbare Piloten im Lufthansa-Konzern haben vor mehr als zwei Jahren das letzte Mal ein Flugzeug gesteuert – zunächst wegen der eingebrochenen Nachfrage während der Corona-Pandemie, danach „weil man uns einfach nicht mehr will“, sagt Pilot Penser. Die Lufthansa sagt, sie habe immer wieder bekräftigt, dass sie Lösungen für die Germanwings-Piloten mit der Gewerkschaft suche und sich dafür einsetze.

Vertrackte Situation: Konkurrenzdruck, Arbeitsrecht, Neid

Es ist eine Mischung aus vielen Faktoren, die dazu geführt hat, dass Penser und seine Kolleginnen und Kollegen nicht fliegen. Es hat etwas mit Corona, mit dem Konkurrenzdruck in der Branche, mit starrem deutschem Arbeitsrecht, mit hart kämpfenden Piloten, komplizierten Tarifverhandlungen, komplexen Prozessen vor dem Arbeitsgericht und auch mit Neid und Missgunst zu tun.

Für die Lufthansa ist eine Weiterbeschäftigung der Piloten zu den bisherigen Konditionen teuer. Und jeder Versuch die Kosten zu drücken, ist nicht zuletzt wegen der Germanwings-Historie immer emotional aufgeladen.

In ihrer aktuellen Situation leiden die Germanwings-Piloten keine Not. Denn auch am Boden verdient ein Mann wie Penser wegen seiner vielen Berufsjahre weiterhin einen sechsstelligen Betrag im Jahr. Er hätte bei Eurowings neu anfangen können, doch das Angebot belief sich auf etwas mehr als die Hälfte des bisherigen Einkommens. Penser lehnte ab.

Lufthansa streicht 2000 Flüge: „Kein Personalmangel“

Mitte der Woche hat die Lufthansa angekündigt, weitere 2000 Flüge zu streichen, unter anderem hatte der Frankfurter Flughafen darum gebeten. Grund seien vor allem die Abfertigungsprobleme am Boden. Durch die Absagen solle der verbleibende Flugplan stabilisiert werden. Die Airline habe „mit steigenden Krankheitsquoten, unter anderem durch Corona“ zu kämpfen, teilt eine Sprecherin mit. Es gebe „keinen Personalmangel“.

Bei der Lufthansa hatten in der Corona-Krise 400 Piloten ein Abfindungsangebot angenommen. Das waren mehr als erwartet, so dass das Management laut „Handelsblatt“ einige von ihnen dazu bewogen hat, doch noch über den 31. Juli hinaus zu bleiben.

Eurowings lockte neue Piloten teilweise mit Antrittsprämien für eine geplante Expansion. Selbst Manager steigen wieder ins Cockpit, um die Zahl der Ausfälle zu begrenzen. Allein die Germanwings-Piloten blieben außen vor.

In der Zeit der Untätigkeit hat Pilot Penser Simulatoren-Trainings machen dürfen. So blieb er „current“, könnte also jederzeit eingesetzt werden, sagt er. Die Lufthansa argumentiert, dass die Pilotinnen und Piloten „fehlende Lizenzen erneuern müssten, bevor sie aktiv in einen Flugbetrieb übernommen werden könnten“. Innerhalb von sechs Wochen könnte er fliegen, wenn die Lufthansa es denn wolle, entgegnet Penser.

Mögliche Ausleihe an Eurowings – Alternativen disktutiert

Wo genau das jedoch passieren wird, ist derzeit nicht klar für ihn und die anderen fast 200 Piloten. Ihr Arbeitgeber ist ab 1. Oktober eine Gesellschaft mit dem Namen Cockpitpersonal GmbH und innerhalb der Lufthansa angesiedelt. Vorher dürfen sie auf keinen Fall fliegen. Danach sieht der neue Arbeitsvertrag eine mögliche Ausleihe an Eurowings vor.

Werden die Piloten dann zum Einsatz kommen? „Ja, die Frage ist offen, in welchen Betrieben das sein wird“, so die Lufthansa. In der Branche machen Berichte die Runde, dass für Penser und Co. innerhalb des Konzerns eine komplett neue Airline nach dem Vorbild der Cityline aufgemacht werden könnte. Aber das Warten und die Ungewissheit sind zermürbend, selbst bei weiterhin guten Bezügen. Außerdem stehen scharfe Zulassungstests an, vor denen viele ältere Kolleginnen und Kollegen Respekt haben. Sie fürchten, auf diesem Wege „ausgesiebt“ zu werden.

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Unter den Germanwings-Piloten ist nicht vergessen, dass die Airline einst wegen ihres wachsenden Erfolgs mit Lufthansa-Piloten aufgestockt wurde. Dadurch verzögerten sich viele Beförderungen innerhalb des damaligen Billigfliegers. Jetzt liegt der Gedanke nahe, dass ein Wechsel vieler Germanwings-Kapitäne zurück in die Lufthansa dort Beförderungsstau auslösen würde. Die Lufthansa bestätigt das mit einem simplen „Ja“. Es gibt also durchaus Widerstand innerhalb der Pilotenschaft des Konzerns, die bisherigen Germanwings-Kollegen mit offenen Armen aufzunehmen.

Zum Ende des Gesprächs fliegt ein Eurowings-Airbus über die Köpfe. Penser schaut ihm kurz nach. Er meide die Airline als Passagier, sagt er: „Die sind ja fast nie pünktlich.“