Kölner Impfstoff-Forscher im PortraitZwei Wissenschaftler werden zu Corona-Helden
Köln – Manche Geschichten wirken eigentlich ein bisschen zu kitschig für einen Text aus der Wirtschaftsredaktion. Doch die Geschichte dieses Mannes muss unbedingt erzählt werden. Es ist die des Kölners Ugur Sahin – dem Mann, der Biontech gemeinsam mit seiner Frau Özlem Türeci gegründet hat. Jene gefeierte Firma, die gemeinsam mit dem riesigen US-Pharma-Konzern Pfizer offenbar den bislang chancenreichsten Corona-Impfstoff auf den Markt bringen möchte.
Als diese Nachricht diese Woche auf den Markt kam, explodierten die Börsen. Nicht nur Biontech-Aktien stiegen enorm, auch solche, die mit Medizin auf den ersten Blick wenig zu tun haben wie Lufthansa oder BP. Doch sollte es einen Wirkstoff geben, könnten auch bei denen die Geschäfte endlich wieder rund laufen. Aber zurück zur wunderbaren Geschichte des Ugur Sahin.
Abitur als Jahrgangsbester
1965 wird er in der südtürkischen Stadt Iskenderun geboren. Schon im Alter von vier Jahren zieht seine Familie fort, nach Deutschland, oder besser gesagt: nach Köln. Sein Vater hat dort eine Stelle bei den Ford-Werken. Gastarbeiter nennt man das in den 1960er Jahren. In der Schule bereits interessiert sich Ugur Sahin neben Fußball auch für populärwissenschaftliche Bücher, die er, so berichten es ehemalige Schulfreunde, in der katholischen Kirchenbibliothek ausleiht.
Sahin besucht das Erich-Kästner-Gymnasium im Kölner Stadtteil Niehl. 1984 macht er sein Abitur, er hat die nicht eben als einfach geltenden Leistungskurse Mathematik und Chemie. Und er besteht die Reifeprüfung als Jahrgangsbester. Außerdem: Ugur Sahin ist am Erich-Kästner- Gymnasium das erste türkischstämmige Gastarbeiterkind, das sein Abitur ablegt. Anschließend studiert er Medizin – an der Universität Köln. Diesem Fach gilt seine Leidenschaft, mehr noch als dem Fußball oder der Mathematik.
Im Jahr 1992 wird Ugur Sahin promoviert, seine Arbeit wird mit „summa cum laude“ benotet, der Höchstnote. In der Schule würde man sagen: 1+. Die universitäre Karriere geht weiter steil bergauf. Nach Stationen an der Uniklinik in Köln geht Sahin an die Uniklinik des Saarlandes in Homburg. Dort lernt er seine heutige Frau Özlem Türeci kennen.
Im Jahr 2002 heiraten beide, und es hält sich bis heute hartnäckig das Gerücht, dass beide kurz vor und nach ihrer standesamtlichen Trauung im Labor gestanden haben. Später wechselt Sahin mit seiner Frau nach Mainz, immer in angesehenen Professoren-Positionen. Das klingt nicht zu Unrecht wie die Bilderbuchkarriere eines Jungen aus Köln und eines echten Aufsteigers.
Ehepaar gründete 2008 Biontech
Und zwar nicht nur eines akademischen Aufsteigers, sondern auch eines wirtschaftlichen Durchstarters. Im Jahr 2008 gründen Ugur Sahin und seine Frau die Firma Biontech in Mainz. Özlem Türeci ist ebenfalls Ärztin, doziert an der Uni Mainz und hat in der Firma die Rolle des Vorstandsmitglieds für Medizin (Chief Medical Officer). Sahin übernimmt die Aufgabe des Vorstandsvorsitzenden.
Das Unternehmen arbeitete seit seiner Gründung vor allem an Krebstherapien. Die Idee: Aufbereitete Botenstoffe aus Zellen, sogenannte Messenger-RNA, die bei den Kranken Antikörper gegen die Krebszellen erzeugen. Als das Corona-Virus ausbrach, schaltete das Biontech-Paar schnell um. Und zwar nicht erst, als die Bedrohung durch Covid−19 in Europa angekommen war. Die Forscher lenkten ihre Ressourcen schon direkt nach den ersten Studien zum Ausbruch in Wuhan auf die Suche nach einem Impfstoff. Nationale Lösungen stehen für den Deutsch-Türken nicht zur Debatte. „Es gibt gar keine Diskussion, ob eine Impfung nur für China, Deutschland oder Amerika zur Verfügung steht“, sagte Sahin der FAZ.
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Biontech und Pfizer haben die Lieferungen an mehrere Staaten und die EU über 570 Millionen Impfdosen für 2020 und 2021 vereinbart. Es gibt Kaufoptionen für weitere 600 Millionen Dosen. Der Preis soll „unterhalb der üblichen Marktpreise“ liegen, teilte Biontech am Dienstag mit.
In einem WDR-Interview vor wenigen Wochen nach seiner Motivation befragt, zeigt Ugur Sahin sich bescheiden. „Ich bin Mediziner und Wissenschaftler, und so ist es nicht unsere primäre Motivation, unsere finanzielle Situation zu verbessern“, sagt Sahin und fährt fort: „Wir haben mit einer Arznei die Möglichkeit, Menschen weltweit zu helfen. Und das ist natürlich ein sehr schönes Gefühl, wenn man beitragen kann, dass diese Pandemie unter Kontrolle gebracht wird.“
Auch auf die Frage, ob der Druck erträglich ist, der auf den Entwicklern eines Corona-Impfstoffs lastet, reagiert Sahin gelassen, als Impfstoffentwickler arbeite man immer unter großem Druck, sagt er.
Von der Vereinnahmung durch den Staat will er auch trotz der vereinbarten Lieferung nichts wissen. Kooperation sei der „absolute Schlüssel für diese globale Herausforderung“, sagt Sahin. Jetzt müssen Biontechs Studien nur noch der Überprüfung durch die Behörden standhalten. Dann könnte der Corona-Spuk ein Ende haben – und nebenbei Sahin und Türeci sehr reich machen. Die richtige Adresse hat ihre Firma schon: An der Goldgrube 12.