Kölner Mieterverein im Interview„Immer öfter wird Eigenbedarf vorgeschoben“
- Der Kölner Wohnungsmarkt ist angespannt. Ändert die Corona-Krise daran etwas?
- Welche Probleme sind bei Vermietern häufiger zu beobachten? Welches sind die schlimmsten Vermieter? Was muss sich ändern beim Wohnungsbau?
- Lesen Sie hier ein ausführliches Interview mit dem Vorsitzenden Franz-Xaver Corneth und dem Geschäftsführer des Kölner Mietervereins, Hans Jörg Depel.
Herr Depel, Herr Corneth, wie hat sich der Kölner Wohnungsmarkt in den vergangenen Jahren strukturell verändert?
Hans Jörg Depel: Früher hatten vor allem finanziell schwache Menschen Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. Heute sind die Mieten so teuer, dass sie auch in Haushalten der Mittelschicht oft mehr als 30, 40 Prozent des Einkommens ausmachen. Feuerwehrleute, Polizisten, Krankenschwestern – sie alle finden keine Wohnung mehr in der Stadt. Die Preise werden dabei natürlich durch die Tatsache nach oben getrieben, dass der Markt leer ist. In den vergangenen 25 Jahren war es in Köln nie einfach, eine Wohnung zu finden. Aber mittlerweile ist das Ganze zur Lotterie geworden.
Franz-Xaver Corneth: Der Wohnungsmarkt hat in den vergangenen Jahren vor allem die Interessen der Vermögenden bedient. Die, die gut Geld im Portemonnaie haben, finden auch heute noch ausreichend Wohnungen. Gelitten hat der öffentlich geförderte Wohnraum.
Zu den Personen
Der Mieterverein Köln ist der drittgrößte Verein innerhalb des Deutschen Mieterbundes. Franz-Xaver Corneth ist Vorsitzender, Hans Jörg Depel Geschäftsführer des Mietervereins.
Wir als Mieterverein haben schon 2009 gefordert, dass jedes Jahr 2000 geförderte Wohnungen gebaut werden müssen, damit wir wieder an die 30-Prozent-Marke herankommen, die wir einmal hatten. Der Rat hat damals beschlossen, jährlich 1000 Wohnungen zu bauen, aber selbst diese Zahl ist seit 2009 erst einmal erreicht worden. Vergangenes Jahr lag sie wieder deutlich niedriger. Das bedeutet, wir rutschen bei den geförderten Wohnungen bald unter die sechs-Prozent-Marke.
Wieso trifft die Problematik Köln so stark?
Depel: Wenn wir uns die NRW-Bevölkerungsentwicklung anschauen, dann sehen wir, dass sich hier in den vergangenen Jahren nicht viel verändert hat. Aber es finden Wanderungen statt – hinaus aus den ländlichen Gebieten, hinein in die Großstädte. Bei den Mietpreisen in einer Stadt wie Gelsenkirchen bekommen Sie Wasser in den Augen, so herrlich sind die. Dort werden Wohnungen zu sechs Euro pro Quadratmeter vermietet, aber ihnen laufen die Leute weg. Köln dagegen ist eine sogenannte Schwarmstadt. Sie ist für Leute interessant, denen freizeitspezifische Infrastruktur wichtig ist. Die Menschen bleiben immer länger jung, sie wollen an diesem Leben teilnehmen.
Corneth: Dabei müssen Sie auch bedenken, dass die Kreativwirtschaft in Köln führend in ganz Deutschland ist. Wenn diese Leute hier keine Wohnungen mehr finden, dann wird die Branche wieder abwandern. Hier geht es um pure Wirtschaftspolitik – Köln läuft Gefahr, als Wirtschaftsstandort an Attraktivität zu verlieren. Das hat nichts mit Sozialgedusel zu tun. Immer mehr Unternehmen versuchen mittlerweile, Arbeitskräfte zu gewinnen, indem sie ihnen Wohnungen stellen. Die Stadtwerke haben mittlerweile 2000 Werkswohnungen. Das Rote Kreuz hat 50. Das entwickelt sich gerade.
Die Zahl der Singlehaushalte steigt. Verändert sich auch die Art der Wohnungen, die benötigt werden?
Depel: Mehr als 50 Prozent der Kölner Haushalte sind mittlerweile Einpersonenhaushalte. Quadratmetermäßig könnte man da schon etwas ändern. Aber was wir vor allem brauchen sind mehr Wohnungen für Familien. Das ist nichtwie früher: Double Income No Kids. Meist arbeitet einer der Partner, manchmal 1,5, und dafür braucht es bezahlbare Wohnungen. Wir sagen immer, Köln ist so bunt und tolerant, aber wir müssen auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Stadt weiterhin eine Heimat für alle bleibt.
Ist denn genügend Raum vorhanden? Oder muss das Umland attraktiver werden?
Corneth: Mit Rondorf Nordwest, Kreuzfeld, Wahn-West und der Parkstadt Süd haben wir zurzeit ausreichend Projekte. Sie müssen nur ans Laufen kommen. Mein zusätzlicher Vorschlag wäre: Wir nehmen die Grundstücke auf denen sich heute Kleingärten befinden und bauen dort klimagerechte Wohnungen – unter der Berücksichtigung von Frischluftschneisen, mit Dachbegrünung, mit Wasser.
Die Kleingärtner würden im Gegenzug neue Grundstücke bekommen. Die städtischen Friedhöfe sind heute überhaupt nicht mehr ausgelastet und haben riesige Freiflächen, dort könnte man sie problemlos ansiedeln.
Depel: Wir müssen uns auch wieder mit dem Gedanken anfreunden, in die Höhe zu bauen. Köln ist 25 Prozent größer als München, dennoch hat München 1,456 Millionen Einwohner und Köln 1,1 Millionen. Hochhäuser leiden zurzeit noch unter dem Image der 70er, wo man sie ohne ausreichende Infrastruktur an den Stadtrand setzte. Aus diesen Sünden der Vergangenheit muss man lernen. Wir haben heute ja zum Beispiel das Kooperative Baulandmodell, das Investoren und Bauherren dazu verpflichtet, bei einem Bauvorhaben auch 30 Prozent öffentlich geförderte Wohnungen zu errichten. Hier müsste man eigentlich eine entsprechende Durchmischung sicherstellen, bei der zum Beispiel unter dem Dach eine entsprechend teure Penthouse-Wohnung entsteht und in den unteren Etagen preiswerterer Wohnraum. Auch kreative Ideen, bei denen zum Beispiel Parkplätze, Supermärkte und Bahnbögen überbaut werden, sind sinnvoll. Das Schwierige ist eine Balance zu schaffen, in der sowohl neuer Wohnraum geschaffen als auch bezahlbarer Wohnraum erhalten wird.
Was läuft zurzeit noch falsch in der Stadt?
Corneth: Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Da hat ein Bauunternehmer ein städtisches Grundstück gekauft mit der Auflage, Sozialwohnungen zu bauen – aber seit Jahren keine Baugenehmigung. Verstehen Sie?
Das heißt, die Verwaltung ist zu langsam?
Corneth: Die Genehmigungsverfahren in Köln sind langsamer als in München, Berlin und Hamburg. In Köln wird zu viel zerredet. Aber die Veränderungsprozesse laufen. Der Baudezernent hat seine Mitarbeiter ermutigt, Entscheidungen zu treffen und ihnen klar gemacht, dass er hinter ihnen steht. Das war früher nicht so. Da haben sie im Nachhinein im Zweifel einen aufs Dach bekommen. Dadurch hatte die gesamte Verwaltung sich abgewöhnt zu entscheiden. Das ändert sich jetzt zum Positiven.
Depel: Die Stadt Köln musste hier entsprechend sensibilisiert werden. Das hat ein wenig gedauert. Jahrelang gab es zum Beispiel nur zwei Mitarbeiter, die Zweckentfremdung durch Fremdvermietungsportale wie Airbnb verfolgt haben. Wir haben lange gefordert, dass diese Zahl aufgestockt wird – heute sind es 16 Mitarbeiter.
Corneth: Und daneben haben wir mittlerweile das Kooperative Baulandmodell und seit vergangenem Jahr die Milieuschutzsatzung für das Severinsviertel, die vereinfacht gesagt besagt, dass das Viertel in seinem Charakter erhalten werden muss. Die Verwaltung ist auf dem Weg. Aber entschuldigen Sie, wenn ich das sage: 10 Jahre zu spät. In München, Berlin, Hamburg ist zum Beispiel die Milieuschutzsatzung in vielen Vierteln längst Alltag.
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Wir haben nur zwei Gebiete, die darunter fallen, und das ist neben dem Severinsviertel noch die Stegerwaldsiedlung, wo die Entscheidung bereits in den 90er Jahren gefällt wurde.
Wo sehen Sie auf Vermieterseite aktuell die größten Probleme?
Depel: Wir beobachten eine gewisse Kreativität, mietrechtliche Beschränkungen aufzuheben. Die Mietpreisbremse, die übrigens gar nicht so schlecht funktioniert, ist beispielsweise an die ortsübliche Vergleichsmiete geknüpft. Um die zu umgehen, werden Wohnungen vermehrt möbliert angeboten. Dadurch wird die Regelung nicht außer Kraft gesetzt, durch die Zuschläge für die Möbel ist es aber unglaublich kompliziert, die Vergleichsmiete zu ermitteln. Da müssen Sie genau schauen: Ist die Couch von Ikea oder von einem Designer? Wie berechnen Sie das? Außerdem werden vermehrt Mikroapartments gebaut, die im Mietspiegel nicht berücksichtigt sind. Das sind alles Möglichkeiten, die Preise in die Höhe zu treiben.
Welche Vermieter sind Ihrer Erfahrung nach die schlimmsten?
Depel: Bei einer großen Gesellschaft sind Sie als Mieter eine dreizehnstellige Nummer. Der Sachbearbeiter sitzt in einer ganz anderen Stadt, er kennt die Wohnung nicht, er kennt den Mieter nicht. Für ihn ist das Ganze ein Vorgang. Da kann man auf der menschlichen Seite wenig erreichen. Dabei ist ein Mietverhältnis ein Dauerschuldverhältnis, da muss man miteinander klarkommen. Das geht mit den kleineren Vermietern häufig besser.
Auf dem Wohnungsmarkt sind aber immer mehr große Firmen tätig. Und die börsennotierten Unternehmen wie Vonovia wollen nun einmal ihre Profite. Dass man als Vermieter etwas verdienen möchte kann ich verstehen, aber hier muss eine Balance gehalten werden.
Corneth: Es ist zum Beispiel nicht in Ordnung, Modernisierung als Geschäftsmodell zu betreiben, um die Mieten hochzutreiben. Da sage ich: Wohnen ist Menschenrecht und nicht üblicher Markt. Wir leben in einer sozialen Marktwirtschaft. Wenn die Wirtschaft aus den Fugen gerät, und das tut sie in den Großstädten, dann müssen Planken gesetzt werden. Wir müssen auch den Paragraphen 5 im Wirtschaftsstrafrecht wieder zu dem machen, was er mal war: der strafrechtlichen Bekämpfung von Wucher.
Welche Probleme mit Vermietern haben in der letzten Zeit zugenommen?
Depel: Was bei uns deutlich zugenommen hat, sind die Fälle, in denen es um Eigenbedarfskündigungen geht – hier haben wir in den vergangenen Jahren eine Steigerung von 20 Prozent gesehen. Die Gerichte machen es den Vermietern hier einfacher als früher. Um als Härtefall zu gelten und gegen eine solche Kündigung vorgehen zu können, müssen Sie heute unter Krankheiten leiden, die Sie niemandem wünschen. Früher konnte ein Vermieter das Mietverhältnis außerdem in den ersten drei Jahren kaum kündigen, weil erwartet wurde, dass er seine Lebensumstände soweit im Voraus überblicken kann. Das ist mittlerweile Folklore.
Ist der Eigenbedarf dabei häufig vorgeschoben?
Depel: Die Vermutung liegt nahe, hier ist es aber ähnlich wie zum Beispiel im Strafrecht, wo ein Betrug auch schwerer nachzuweisen ist als ein Diebstahl. Wenn ich Ihnen ihr Handy wegnehme ist das Diebstahl, klar. Aber wenn ich nun versuche, Ihnen vorzutäuschen, dass das eigentlich mein Handy ist – dann ist das schwieriger. Bei vorgetäuschtem Eigenbedarf verhält es sich genauso. Im Zivilrecht gibt es keinen ermittelnden Staatsanwalt, Sie betrachten dort die Fakten, und wenn der Vermieter sagt: Mein Sohn muss in die Stadt, der pflegt mich, dann klingt das erstmal toll. Häufig hat der Vorgang aber einen Beigeschmack, weil die Eigenbedarfskündigung genau dann kommt, wenn der Mieter gerade die Mieterhöhung abgelehnt hat. Vermutungen reichen nicht – was wirklich Sache ist, erfahren Sie häufig erst im Nachhinein. Wobei auch im Nachgang kreative Gründe gefunden werden, wieso besagter Sohn nun doch nicht in Wohnung einziehen konnte.
Inwiefern beeinflusst aktuell die Corona-Krise den Wohnungsmarkt?
Depel: Zum jetzigen Zeitpunkt kann schon noch weniger Bewegung auf dem Wohnungsmarkt festgestellt werden als sonst. Insbesondere die Mieter selbst scheinen davor zurückzuscheuen, ihre Wohnung zu kündigen. Größere Investitionsentscheidungen, wozu auch der Umzug in andere Wohnung gehört, scheinen zum jetzigen Zeitpunkt weniger stattzufinden. Des Weiteren können auch Wohnungsbesichtigungen zum jetzigen Zeitpunkt nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Massenbesichtigungen, werden teilweise schon online durchgeführt.
Rechnen Sie damit, dass der Markt sich durch die Krise nachhaltig verändern wird?
Depel: Das hängt natürlich auch davon ab, wie lange die Corana-Krise andauern wird. Für die Wohnungsmieter könnte sich positiv auswirken, was in anderen Ländern schon festgestellt werden konnte: dass Wohnungen, die über Fremdvermietungsportale wie Airbnb an Touristen angeboten werden, teilweise wieder dem regulären Wohnungsmarkt zurückgeführt werden. Denn auch der Markt für derartige – für Touristen attraktive – Wohnungen ist momentan zum Erliegen gekommen. Kommt es aufgrund von Corona, zu Einkommensrückgängen, nimmt aufgrund dessen auch der Zuzug in Schwarmstädte wie Köln ab, was dazu führen dürfte, dass die Mieten langsamer steigen. Vermieter dürften dann aber auch weniger in Wohnungen investieren, Modernisierungen und auch Instandsetzungen erst einmal hinauszögern.