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„Ein großer Familienbetrieb“?Warum Ford für Köln weit mehr als nur eine Autofabrik ist

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Das Flügelauto des Aktionskünstlers HA Schult hängt an einem Kran und wird auf den Turm des Kölnischen Stadtmuseums in Köln gesetzt.

Das Flügelauto des Aktionskünstlers HA Schult hängt an einem Kran und wird auf den Turm des Kölnischen Stadtmuseums in Köln gesetzt. Selbstverständlich ist es ein Ford Fiesta, gebaut in Köln.

Ford ist das Unternehmen der kölner Herzen und eng mit wohl und weh unzähliger Familien, auch derer von Gastarbeitern verbunden. Eine Nahaufnahme dieser innigen Beziehung

„Für die Fordler ist Ford ein elementarer Teil ihres Lebens“, sagt Mustafa Cözmez. Im Jahr 1980 kommt Cözmez als 17-Jähriger aus der Türkei an den Rhein. Das geplante Studium kann sich der Gymnasiast nicht leisten. Seine Lehre zum Facharbeiter macht er bei einem mittelständischen Unternehmen. „1985 wechselte ich zu Ford. Unter anderem, weil die Bezahlung einfach besser war“, sagt Cözmez.

Der Streik bei den Ford-Werken im Jahre 1973 war durch türkischstämmige Gastarbeiter geprägt.

Der Streik bei den Ford-Werken im Jahre 1973 war durch türkischstämmige Gastarbeiter geprägt.

Sein Vater ist zu dem Zeitpunkt bereits seit 15 Jahren bei dem Kölner Autobauer, er war als Gastarbeiter 1970 nach Köln gekommen und schaffte sein ganzes Berufsleben für Ford. „Ford ist ein großer Familienbetrieb“, sagt Cözmez. Wenn ein Familienmitglied auf Jobsuche ist, dann denke man immer zunächst an Ford. Entsprechend träfen die aktuellen Abbaupläne besonders die türkische Community. Cözmez persönliche Bindung zu Ford ist groß.

Ford Köln gilt als Musterbeispiel für Integration von Gastarbeitern

Er schließt sich dem Betriebsrat an, kämpft für die Arbeitnehmerrechte, wird schließlich in den Aufsichtsrat gewählt, dem er 25 Jahre angehört – so lange wie keiner vor ihm und bislang keiner nach ihm. Ende dieses Jahres geht der 60-Jährige in die passive Phase der Altersteilzeit und verlässt Ford.

Ein Automobil von Ford vom Typ "Köln".

Ein Auto von Ford vom Typ 'Köln'. Preiswerte Pkw-Modelle wie der Köln (1933-1936) erfreuen sich zu Beginn der 30-er Jahre großer Beliebtheit bei den Ford-Kunden. Als Typbezeichnung kommen die Namen deutscher Städte und Regionen zum Einsatz. Andere Kleinwagen heißen Rheinland (1934-1936), Eifel (1935-1940) und schließlich seit 1939 Taunus.

Zwei Söhne hat Mustafa Cözmez, einer ist Ingenieur, einer IT-Experte. Wo beide arbeiten? Bei Ford. Ein bisschen klingt er verschämt, wenn er sagt, dass sein erstes Auto ein VW Golf war. „Mein zweites war dann ein Ford Escort. Von da an bin ich nur noch Ford gefahren“, sagt Cözmez.

In den 1970er Jahren arbeiteten 12.000 Türken bei Ford in Köln
Witich Roßmann, DGB-Chef

Solche Geschichten sind keine Raritäten. „Spätestens nach den sogenannten ,Wilden Streiks' im Jahr 1973 gilt Ford als Musterbeispiel für die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in die deutsche, in die Kölner Gesellschaft“, sagt Witich Roßmann, Vorsitzender DGB Köln. Ob Türken, Italiener oder Griechen, die damals Gastarbeiter genannten Ford-Arbeiter hätten Köln so bunt gemacht, wie wir es heute kennen.

2900 Stellen in Köln gestrichen – Eine Nachricht, die einschlägt wie eine Bombe

Ohne Ford hätte Köln heute auch sicherlich weniger Feinkostläden, Restaurants, Cafés und Imbisse. „In den 1970er Jahren arbeiteten 12.000 Türken bei Ford. In der ganzen Türkei gab es nur drei Fabriken, die mehr beschäftigten“, sagt Roßmann. Die Bilder von türkischen Großfamilien, die vollbepackt zu Beginn der Sommerferien mit dem Ford Granada gen Bosporus antreten, sind vielen noch gut bekannt.

Autoproduktion bei Ford im Jahr 1967 in Köln.

Autoproduktion bei Ford im Jahr 1967 in Köln.

Dass Ford 2900 Stellen in Köln abbaut, schlug in dieser Woche ein wie eine Bombe. Schon in der Vorwoche schaffte es die Nachricht des „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass Ford bis zum Jahresende 2300 Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken muss, in die Tagesschau und in diverse Zeitungen. Klar, Stellenabbau als negative Botschaft hat immer eine große Reichweite. Aber diese Hiobsbotschaft traf Köln ungemein härter. Fragt man Bürger, Funktionäre, Politiker und selbstverständlich Mitarbeiter, dann wird schnell klar, dass die Beziehung Kölns zu „seinem“ Ford-Werk eine ganz besondere ist.

Der erste Wagen vom Rhein hieß „Ford Köln“

Für Roßmann spielt aber nicht nur der Standort Köln eine Rolle, sondern auch das Produkt, das hier hergestellt wird, hat eine Bedeutung für die Beziehung zwischen Stadt und „der“ Fabrik. „Autos sind emotionale Produkte, und sie stehen für die, die sie fahren und herstellen, für: Raus aus der Krise, raus aus dem Faschismus, raus aus dem Elend der Nachkriegszeit“, sagt Roßmann.

Autos bedeuteten eine neue Form der Freiheit, die sich bei Ford auch in den Namen der Fahrzeuge widerspiegelt. So hieß der erste Wagen, den Ford am Rhein baute, schlicht „Ford Köln“. Seinen Kühlergrill zierte nicht die Ford-Pflaume, sondern ein Logo mit der Fabrik vor dem Kölner Dom.

(v.l.) Ahmet, Süleyman und Mustafa Cözmez

Drei Generationen Ford: (v.l.) Ahmet, Süleyman und Mustafa Cözmez

Wohin die Reise gehen kann, verhießen die nächsten Typen. Der Nachfolger des „Köln“ hieß Eifel. Der spätere Ford Taunus schaffte es offenbar noch weiter. Das die folgenden Modelle Granada (Andalusien) und Sierra (Spanien) hießen, spricht für sich. Die Nachfolger hießen übrigens Mondeo (Welt) und Galaxy (Milchstraße). „Die Faszination Ford für Frauen eröffnete in den 1970er Jahren der Fiesta“, sagt Witich Roßmann.

Kölner Dreigestirn fährt Ford zwischen Sitzungen

Der Kleinwagen Made in Köln war bei Frauen äußerst bleibt. Wie sehr das Fahrzeug mit Köln verbunden ist, wollte der Künstler HA Schult manifestieren. 1991 setzte er einen goldenen Fiesta mit gigantischen Flügeln auf das Dach des Zeughauses. Je nach Blickrichtung breitet der Kleinwagen seine mächtigen Schwingen vor der Fassade des Doms aus. Mehr Köln auf einem Bild geht fast nicht.

Geht natürlich schon. Selbstverständlich fährt das Kölner Dreigestirn in einem Ford von Sitzung zu Sitzung, und die Kamelle beim Rosenmontagszug werden natürlich auch in Baggagewagen vom Typ Ford Transit befördert. Mehr als 70 Fahrzeuge mit der blauen Pflaume am Grill waren für das Festkommitee 2024 unterwegs.

Ford war und bleibt Kölns größter privater Arbeitgeber, prägte die Stadt aber auch baulich. „Bis 1963 stand ein 112 Meter hoher Stahlturm mit Weltkugel in Köln-Deutz, der für Ford warb und an den Eiffelturm erinnerte“, sagt Ulrich Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs. Und umgekehrt prägte Köln auch Ford. „Beim 17M erschien das Kölner Stadtwappen erstmals im Kühlergrill“, sagt der Wirtschaftshistoriker. Das blaue Logo kam in Deutschland viel später.

Dem Kölner Konrad Adenauer gelang es, Ford in den 1920er Jahren von Berlin nach Köln zu holen. Das gilt als eines seiner größten Werke als OB. Die Abbaunachrichten stecken den Kölnern in den Knochen. Wie wird es weitergehen? „Ford ist Köln, Ford bleibt Köln“, sagt DGB-Chef Roßmann. Wenn der E-Auto-Boom komme, gehe es wieder bergauf.