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Kommentar zum BezahlenIrgendwann wird mein Nachbar unter meinem Kleingeld begraben

Lesezeit 3 Minuten
Münzgeld

Bargeld? Braucht kein Mensch, meint Autorin Kendra Stenzel.

  1. Laufen Sie gerade mit Hundertern im Geldbeutel durch die Stadt, um alle Geschenke mit Barem zu erwerben? Oder würden Sie am liebsten auch die Tasse Glühwein am Weihnachtsmarkt digital bezahlen?
  2. Unsere Autoren diskutieren: Sollte Bargeld abgeschafft werden?
  3. Lesen Sie hier das Pro von Kendra Stenzel. Sie ist von Bargeld genervt und hat keine Geduld für übertriebene Ängste vor einer bargeldlosen Welt.

Eines Tages wird in dieser Zeitung eine Meldung stehen. „Fußboden in Kölner Wohnung durchgebrochen. Nachbar in der Etage darunter unter Tonnen von Kleingeld begraben.“ Das Geld wird meines sein. Tausende Centstücke, die ich seit Jahren in einer Box sammle. Längst kann ich sie nicht mehr vom Boden heben. Ich gehöre zu den Menschen, die mit Kleingeld nicht umgehen können und wollen. Nicht, weil ich finanziell derart gut dastehe, dass ich immer Scheine zur Hand habe. Mir fehlt schlicht die Geduld. An der Kasse in der Tasche kramen? Münzen abzählen für jede KVB-Fahrt? Das ist nichts für mich. Es ist 2019. Kleingeld ist überflüssig. Bargeld ist überflüssig.

Die Deutschen haben bekanntermaßen ein besonderes Verhältnis zu Bargeld. Spardosen und Grußkarten-Scheine sind Kulturgut. Was man hat, das hat man. Bargeld: Das sieht man, fühlt man. Das gehört einem. Sicherheit, Kontrolle. So muss das sein.

Gargeldloses Zahlen bietet Unabhängigkeit

Tut mir leid, aber nein. So musste das mal sein, als man es noch nicht besser konnte. Bargeldloses Zahlen ist kein Kontrollverlust, sondern bietet Unabhängigkeit und Sicherheit. Unabhängigkeit vom nächsten Bankautomaten, Sicherheit, genug Geld parat zu haben, auch wenn der Tag mal anders läuft als geplant. Fremdwährungen im Urlaub? Keinen Gedanken wert. Taxi morgens um drei? Bezahl ich per App. Im Büro für ein Geschenk sammeln? Mit Paypal in Sekunden erledigt. Warum also nicht immer so?

Lesen Sie hier den Kommentar von Thorsten Breitkopf, der nicht auf Bargeld verzichten will.

Manche beschwören beim Gedanken an eine bargeldlose Welt Horrorszenarien. Cyberkriminalität, gläserne Konsumenten, Banken-Macht, Schuldenfalle. Doch warum so viel Angst?

Die Autorin

Kendra Stenzel, 34, verantwortliche Redakteurin im Newsteam, zahlt am liebsten mit Paypal oder kontaktlos per EC-Karte. Einmal pro Woche – spätestens, wenn sie wie ein Rentierschlitten klingt – muss sie ihre Tasche auskippen, um den Kleingeld-Bodensatz loszuwerden.

Wenn das Bankensystem morgen zusammenbricht, kann mir auch egal sein, dass ich mein Konto gestern theoretisch noch hätte leerräumen können. Bei betrügerischen Buchungen bekomme ich das Geld über meine Bank eher zurück als nach einem Geldbörsen-Klau. Personalisierte Werbung verfolgt uns ohnehin überall. Und ob irgendwelche Unternehmen oder meinetwegen das Finanzamt nun mitbekommen, dass ich überproportional oft Badezusatz bestelle, kümmert mich herzlich wenig. Kein Dispo, zwei Konten, EC-Karten in der Tasche und Apps auf dem Handy, Kontostände per Mail: Meine Finanzen habe ich auch ohne Sparsocke im Griff.

Natürlich steigt Oma nicht mal eben auf Apple Pay um

Bargeld also morgen abschaffen? So einfach ist es dann auch nicht. Natürlich brauchen wir Bares, solange Kartenzahlung nicht flächendeckend angeboten wird. Und natürlich wird meine Oma nicht einfach auf Apple Pay umsteigen, wenn der Automat nichts mehr ausspuckt. Der entscheidende Faktor ist Zeit. Zeit, um die Infrastruktur zu schaffen, die Bargeldzahlung überflüssig macht. Zeit, um Menschen an den sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit alternativen Zahlungsmethoden heranzuführen, am besten bereits in der Schule.

Ich musste übrigens bis heute noch keine Papier-Überweisung ausfüllen. Meine Oma meinte mal, so käme man nicht durchs Leben. Jetzt raten Sie mal, wer ihr den letzten Urlaub per Paypal gebucht hat – und das Geld bar von ihr zurückbekam.