2024 schrumpfte die hiesige Wirtschaft das zweite Jahr in Folge. Eine Analyse wichtiger Kennzahlen zeigt, warum Deutschland hinterherhinkt.
Krise der WirtschaftDeutschland wird wieder zum „kranken Mann“ – Was läuft schief?
„It‘s the economy, stupid“ – dass die Wirtschaft häufig Wahlen entscheidet, ist eine Weisheit aus den USA, die sich schon oft bestätigt hat. Zuletzt haben Joe Biden und Kamala Harris die Lektion bitter gelernt. Deren Pech, gerade dann zu regieren, als eine grassierende Inflation das Land erfasste, dürfte maßgeblich zu Donald Trumps Wahlsieg beigetragen haben.
Nun steht auch in Deutschland eine Wahl an, bei der die krisengeplagte Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt. Und hierzulande scheint es noch viel schlechter zu laufen als in den USA.
Deutschland gilt wieder als „kranker Mann“
Aber warum eigentlich? Die vergangenen vier Jahre waren doch überall hart. Die Corona-Pandemie riss die gesamte Weltwirtschaft in die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine trieb überall die Inflation in die Höhe. Inzwischen aber scheinen fast alle Industriestaaten langsam aus dem Krisenmodus zu kommen – nur Deutschland nicht.
2023 wuchs das Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt der Industriestaaten um 1,8 Prozent, Deutschland aber rutschte in eine Rezession ab. 2024 schrumpfte die deutsche Wirtschaft das zweite Jahr in Folge. Die Bundesrepublik gilt wieder als „kranker Mann“ Europas, ja: der gesamten industrialisierten Welt.
Woran liegt das? Ist Deutschland einfach nur härter von der gegenwärtigen Krisenhäufung betroffen als andere Länder? Oder verweist das ökonomische Nachhumpeln auf tieferliegende, strukturelle Probleme?
Wer sich einige Kernindikatoren anschaut, wird feststellen: Es ist eine Mischung aus Beidem.
Warum die Krise Deutschland härter trifft
Unternehmen klagen immer wieder über die vergleichsweise hohen Energiepreise in Deutschland. Das war allerdings schon lange so, ohne dass sich daraus eine Krise entwickelt hätte. Die entstand erst infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Dass die Bundesrepublik damit schwerer zu kämpfen hat als andere Länder, liegt an zwei deutschen Besonderheiten.
Eine davon ist die hohe Abhängigkeit von Energieimporten. Solche Abhängigkeiten bestehen etwa in den USA nicht – sie produzieren inzwischen selbst mehr Energie als sie verbrauchen. Bei Deutschland ist es genau umgekehrt. Gerade bei den fossilen Energieträgern Erdöl und Erdgas muss mehr als 90 Prozent aus dem Ausland importiert werden.
Das erklärt, warum die USA die Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges viel besser wegstecken konnten. Deutschlands Industrie dagegen hing bis 2022 an den russischen Pipelines, die sie mit billigem Erdgas versorgten. Dessen plötzlicher Wegfall ist bis heute nicht kompensiert. Deutschland importiert nicht nur insgesamt weniger Gas, sondern muss das als notdürftigen Ersatz beschaffte amerikanische Flüssigerdgas (LNG) auch deutlich teurer bezahlen.
Darunter leidet ganz besonders die Industrie. Sie bezieht ein Drittel ihrer Energie aus Erdgas. Das braucht sie zur zur Erzeugung von Prozesswärme, zum Teil auch für Strom. Besonders hart getroffen wurden energieintensive Branchen wie Chemie und Metall. Sie können sich nicht ohne Weiteres vom Gas abkoppeln und auf andere, gar regenerative Energieträger ausweichen.
Der Zusammenhang wird deutlich, wenn man die Kurven der Energiepreisentwicklung über die der Produktion legt. Als 2022 die Preise für Strom und Erdgas in die Höhe schossen, setzte bei den energieintensiven Industrien unmittelbar ein steiler Abfall der Produktion ein. Bis heute haben sie sich davon nicht erholt. Denn auch wenn die Preisspitzen inzwischen abgeflacht sind, liegen sie gerade beim Erdgas immer noch deutlich oberhalb des Vorkrisenniveaus.
Hohe Energiepreise drosseln die Produktion
Die Energiepreise und die Importabhängigkeit erklären also einen Teil der deutschen Misere. Warum aber geht es nicht nur den USA wirtschaftlich besser, sondern auch anderen Staaten in Europa, die ähnlich abhängig von Energieimporten sind wie Deutschland?
Das führt zur zweiten deutschen Besonderheit: die tragende Rolle der Industrie. Natürlich ist das per se keine Schwäche, eher eine Stärke. Aber weil die hohen Energiepreise eben besonders die Industrie treffen, ist Deutschland in diesem Punkt verwundbarer als andere Länder in Europa.
Mehr als ein Fünftel der Wertschöpfung wird hierzulande vom Verarbeitenden Gewerbe erbracht. Das ist weit über dem EU-Schnitt und ein fast doppelt so hoher Anteil wie in Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU. Wenn also hohe Energiepreise der Industrie zu schaffen machen, zieht das die deutsche Wirtschaft ungleich stärker nach unten.
Das doppelte Leiden unter China
Auch auf dem Weltmarkt läuft es für den einstigen Exportweltmeister Deutschland nicht mehr rund. Produkte „Made in Germany“ sind offenbar nicht mehr so gefragt. Zwar waren die deutschen Warenausfuhren nach dem Corona-Einbruch zunächst kräftig gewachsen, doch ab 2023 ging es schon wieder bergab. Der Hauptgrund dafür ist die sinkende Nachfrage aus China.
Das liegt nicht nur daran, dass die Volksrepublik ihrerseits in einer Schwächephase steckt. Es hat auch damit zu tun, dass sie viele hochwertige Industrieprodukte aus Deutschland schlicht nicht mehr braucht. Autos oder Maschinen werden inzwischen oft direkt in China hergestellt, durch heimische Unternehmen oder von deutschen Produzenten vor Ort.
Der deutsche Außenhandel leidet dabei gleich doppelt unter China. Denn mit der wachsenden Fertigungstiefe in der dortigen Industrie sinkt nicht nur die Nachfrage nach deutschen Produkten, zugleich steigt auch der Konkurrenzdruck. Im internationalen Handel gewinnt die Volksrepublik auf Kosten Deutschlands Anteile hinzu. Sogar im wichtigen europäischen Markt verdrängen chinesische Unternehmen ihre deutschen Wettbewerber, weil sie mittlerweile vergleichbare Qualität anbieten können, nur zu billigeren Preisen.
Wieder ist es die Industrie, die es am härtesten erwischt. Regelmäßige Umfragen des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen, wie pessimistisch sie mittlerweile auf ihre internationale Konkurrenzfähigkeit blickt.
Die hohen Energiepreise tragen ihren Teil zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit bei. Und mit den niedrigen Kosten chinesischer Arbeiter kann ein Hochlohnland wie die Bundesrepublik ohnehin schwer konkurrieren.
Es waren aber auch strategische Fehlentscheidungen. Während etwa die deutschen Autobauer betriebsblind auf Verbrenner-Motoren und schwere SUVs setzten, erkannten die Chinesen, wo die Zukunft liegt.
Mit großzügigen Krediten, Kundenrabatten und verpflichtenden Quoten für Elektroantriebe förderte der chinesische Staat die Transformation der heimischen Autoindustrie. Die Folge: ein schwer einholbarer technologischer Vorsprung in der Elektromobilität.