Lieferando-Fahrer redet über Geld„Für 3000 Euro habe ich meinen Körper verausgabt“
Köln – Fred, 23 Jahre alt, wohnt in Köln und heißt eigentlich gar nicht so. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat er anonym in der Reihe „Unterm Strich“ berichtet, wie viel er als Lieferando-Fahrer verdient, was er an seinem Job mag und was nicht und wie viel Geld er am Monatsende noch übrig hat.
„Seit fast drei Jahren bin ich Rider bei Lieferando. So werden wir Fahrer genannt, die mit dem Fahrrad Essen von Restaurants in der ganzen Stadt ausliefern. Die Arbeit eignet sich gut für freiheitsliebende Menschen, das mag ich. Ich fahre den ganzen Tag mit dem Fahrrad durch Köln, bin an der frischen Luft und habe keinen Chef, der mir im Nacken sitzt. Mein Job ist auch superflexibel. Wenn ich mal einen Tag nicht arbeiten möchte, arbeite ich halt nicht. Ich kann über meinen Dienstplan frei entscheiden, solange ich mindestens 30 Stunden pro Woche schaffe.
Nach zwei Jahren unbefristet
Ich habe einen Teilzeitvertrag, arbeite aber in vielen Monaten in Vollzeit. Wenn man die schlechten Sachen weglässt, ist es eigentlich ganz cool, fürs Radfahren bezahlt zu werden. Ich liebe den Job und hasse die Arbeitsbedingungen.
Zwei Jahre lang hatte ich auf jeweils ein Jahr befristete Arbeitsverträge, jetzt bin ich unbefristet bei Lieferando angestellt. Ich hatte aber auch schon Kollegen, die haben super gearbeitet, haben top Zahlen geliefert und sind schnell gefahren, haben nach zwei Jahren aber keinen unbefristeten Vertrag bekommen, weil sie problematische Arbeitsbedingungen angesprochen haben. Die fahren jetzt für Gorillas.
Pro Stunde bekomme ich zehn Euro. Dazu kommt noch ein Bonussystem, das nach der Zahl der ausgelieferten Bestellungen gestaffelt ist: Ab der 25. Order bekomme ich pro Auslieferung 25 Cent extra, ab der 100. Order einen Euro, ab der 200. sind es jeweils zwei Euro. Manche Vollzeitfahrer schaffen 600 Ordern im Monat, Minijobber, die sich richtig anstrengen, höchstens 100. Das Bonussystem verleitet manche dazu, auch mal zu rasen und rote Ampeln nicht ganz so ernst zu nehmen. Die Aussicht, einen höheren Bonus zu bekommen, lässt einen manchmal riskanter fahren.
Der höchste Verdienst in einem Monat: 3000 Euro
Das meiste, was ich in einem Monat mal verdient habe, waren etwa 3000 Euro brutto. Da habe ich 48 Stunden jede Woche gearbeitet, bin durch die Stadt gerast und habe meinen Körper richtig verausgabt. Das machst du einen Monat, danach nicht mehr. Wenn ich etwa 35 Stunden jede Woche arbeite, bekomme ich brutto am Monatsende etwa 1900 plus minus 100 Euro raus. Netto sind das dann 1400 Euro.
Die großen Rucksäcke sind oft eine Belastung für den Rücken. Natürlich kommt es darauf an, ob ein Student einen Döner bestellt oder ich ein Großraumbüro mit einem vollgepackten Rucksack beliefere. Ich würde mir wünschen, dass wir die Option hätten, die Box auf dem Fahrrad anzubringen. Aber natürlich ist der Körper eine bessere Federung für das Essen, da wird die Pizza nicht so durchgeschüttelt. Der Komfort des Kunden wird auf unserem Rücken ausgetragen. Nach acht oder neun Stunden mit dem Rucksack auf dem Rücken bin ich oft total fertig und der Rücken tut weh.
Immer weniger Trinkgeld
Dann kommt noch dazu, dass die Leute immer weniger Trinkgeld geben, seit die Liefergebühren vor ein paar Monaten von höchstens 1,50 Euro auf bis zu 2,90 Euro erhöht wurden. Die Kundinnen und Kunden wissen ja oft nicht, dass davon nichts bei uns ankommt, und geben deshalb weniger Trinkgeld. Vorher habe ich mit ein bis zwei Euro pro Lieferung gerechnet, jetzt sind es nur noch 60 bis 70 Cent. Und die Hälfte der Leute gibt an schlechten Tagen gar kein Trinkgeld. Am Monatsende landen vielleicht 100 bis 150 Euro bei mir.
Wenn man krank ist, wird man von Lieferando um einen Teil seines Krankengeldes geprellt, so sehe ich das zumindest. Wenn man zum Beispiel von Montag bis Mittwoch je eine Schicht eingetragen hat, dann diese drei Tage krank ist und auch den Rest der Woche nicht mehr arbeitet, bekommt man statt 30 Stunden Lohnfortzahlung nur drei Siebtel davon ausgezahlt. Das könnte man gerichtlich vermutlich anfechten, aber für die geringen Beträge lohnen sich die Anwaltskosten nicht.
Dafür, dass ich mein privates Fahrrad für die Arbeit nutze, bekomme ich 14 Cent pro Kilometer. Aber wenn mir während der Schicht ein Auto reinballert, bleibe ich auf den Schäden von 200 bis 300 Euro trotzdem sitzen. Lieferando kommt nur für Verschleißkosten auf.
Über den Lenker geflogen
Ich fahre seit fast drei Jahren mehrere Hundert Kilometer durch die Innenstadt, über die Venloer Straße, die Ringe, irgendwann knallt es da auch mal. Bei mir war es noch nie ein ernster Unfall. Ich bin mal über den Lenker geflogen, aber zum Glück auf dem weichen Rucksack gelandet. Ein anderes Mal stand ich plötzlich auf der Motorhaube eines Mercedes, der mein Rad unter mir weggefahren hat.
Ein anderer Autofahrer ist an der Ampel rückwärtsgefahren und hat mich fast überrollt. Das passiert, egal ob ich vorsichtig fahre oder nicht. Bisher hatte ich nur ein paar Kratzer. Andere Kolleginnen und Kollegen sind aber auch schon mit ramponierten Gesichtern von der Arbeit nach Hause gekommen, weil Autotüren einfach aufgerissen wurden.
Kein Geld für das Smartphone
Für mein Smartphone und den Datentarif bekomme ich kein Geld von Lieferando, obwohl ich beides nutzen muss. Eigentlich sollte der Arbeitgeber alle Arbeitsmittel selbst stellen, aber Lieferando wälzt diese Kosten auf uns Arbeitnehmer ab. Das gilt auch für Teile der Arbeitskleidung. Wir haben von Lieferando eine Winter- und eine Sommerjacke, ein T-Shirt, eine Regenjacke, eine Hose und Handschuhe. Die Handschuhe sind aber unter fünf Grad nutzlos, also musste ich mir für 20 Euro selber Skihandschuhe kaufen. Überzieher für die Schuhe, wenn es regnet, gibt es auch nicht. Aber nach ein, zwei Stunden im Regen bist du komplett durchnässt.
Ich bin jetzt 23 Jahre alt, bin vor fünf Jahren fürs Studium nach Köln gekommen und habe zwei Studiengänge abgebrochen. Während des zweiten Studiums habe ich bei Lieferando als Minijobber angefangen. Wie lange ich den Job noch mache, weiß ich nicht. Aktuell ist es für mich eine komfortable Zwischenstation. Nächstes Jahr studiere ich vielleicht wieder oder ich bleibe bei Lieferando und gehe stärker in die Gewerkschaftsarbeit, um die Arbeitsbedingungen für alle zu verbessern.
430 Euro für 25 Quadratmeter
Für die Miete meiner 25 Quadratmeter großen Ein-Zimmer-Wohnung in der Nähe des Aachener Weihers zahle ich 430 Euro inklusive Strom. Die Wohnung ist leider schon ziemlich runtergeranzt und der Teppichboden fällt auseinander. Aber solange ich nicht eine ähnlich günstige Wohnung in guter Lage finde, bleibe ich hier wohnen. Wohnungen direkt nebenan mit dem gleichen Grundriss und dem gleichen Vermieter kosten inzwischen bei Neuvermietung 700 Euro im Monat.
Da läuft doch echt was falsch, denke ich mir auch, wenn ich Zwölf-Quadratmeter-WG-Zimmer für 500 Euro sehe. Es ist schwierig, in dieser immer teurer werdenden Stadt zu wohnen, aber im Zweifel bleibe ich hier, bis mein Vermieter mich rausschmeißt.
300 Euro bleiben übrig
Hinzu kommen Kosten für Internet, Wäsche und sowas. Mein Fahrrad leihe ich für 20 Euro monatlich bei einem großen Anbieter. Für Essen, egal ob im Supermarkt oder Restaurant, gebe ich 300 Euro aus. Ich koche selten, weil ich nach einem langen Tag auf dem Rad dafür zu müde bin. Für meine Freizeitgestaltung mit Freundinnen und Freunden gebe ich ungefähr 100 Euro aus, und etwa 15 Euro für Streaming-Abos. Bahntickets in Köln, E-Scooter-Ausleihen oder Bahnfahrten in die Heimat in einem anderen Bundesland kosten mich monatlich im Schnitt etwa 50 Euro. 200 Euro betrachte ich als Spielgeld für Konzerte und Merchandise von Künstlern.
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Nach Abzug aller Kosten habe ich meist gut 300 Euro übrig. Es gab Monate, da waren es 500, in anderen gar nichts mehr. Corona hat geholfen, Geld zu sparen. Ich habe in den letzten eineinhalb Jahren 8000 Euro gespart. Das liegt jetzt auf meinem Girokonto, so viel Kohle hatte ich noch nie. Wenn jetzt unerwartet krasse Kosten auf mich zukommen würden, könnte ich sie bezahlen. Das ist ein gutes Gefühl.