Lokführermangel in NRWAuf 100 Stellen kommen nur 25 Bewerber
Düsseldorf/Köln – Um einen Vincenzo Traviglia zu finden, muss man 197 Tage suchen. So lange dauert es in Nordrhein-Westfalen, bis eines der zehn Eisenbahn-Unternehmen einen neuen Lokführer gefunden hat.
Quereinsteiger wie der 50-Jährige, der zuvor 16 Jahre als Filialleiter bei zwei Discounter-Ketten gearbeitet hat, sind selten. Traviglia lernt derzeit bei der DB Regio in Düsseldorf und wird in zehn Monaten Regionalzüge und S-Bahnen an Rhein und Ruhr fahren.
Ausbildung kostet 60 000 Euro
Die Personalsorgen in der Branche sind so eklatant, dass sich die Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde im Februar zum Zweckbündnis „Fokus Bahn NRW“ zusammengeschlossen und sich freiwillig verpflichtet haben, gegenseitig kein Personal abzuwerben. Außerdem wollen sie bei einem Arbeitgeberwechsel die Ausbildungskosten übernehmen. Um einen Mann wie Traviglia zum Triebfahrzeugführer zu schulen, muss die Bahn rund 60000 Euro investieren.Alle
Der Mangel ist in NRW besonders groß. Allein in den Jahren 2020 und 2021 werden rund 500 Lokführer und 500 Zugbegleiter gesucht – und das nur für den Regionalverkehr. Erschwerend kommt hinzu: Der Nahverkehr auf der Schiene befindet sich mitten im größten Umbruch seiner Geschichte. Der Rhein-Ruhr-Express und die S-Bahn Rhein-Ruhr werden künftig nicht mehr von DB Regio, sondern von den Privatbahnen Abellio, National Express und Keolis gefahren.
Zugausfälle programmiert
Doch bei weitem nicht alle Lokführer sind bereit, von der DB zu den Privaten zu wechseln, viele bleiben in ihrem Unternehmen und fahren Güterzüge oder im Fernverkehr, weil dort auch Lokführer fehlen. Überdies werden bis 2027 rund 40 Prozent der bisherigen Belegschaft aller Verkehrsunternehmen in Ruhestand gehen.
Hohe ABBRECHERQUOTE
Die klassische Ausbildung zum Lokführer (Eisenbahner im Betriebsdienst) dauert drei Jahre. Quereinsteiger, die bereits eine Berufsausbildung haben, werden durch eine Umschulung, die neun bis zwölf Monate dauert, auf den Beruf vorbereitet. Die Abbrecherquote ist relativ hoch. Vor allem die hohe Belastung durch unregelmäßigen Schichtdienst und die Wochenendarbeit wird von vielen Bewerbern unterschätzt. (pb)
Die Wahrscheinlichkeit, dass es im Herbst und Winter wie zuletzt auf der Nordwestbahn und der Mittelrheinbahn zu Zugausfällen wegen Personalmangels kommen wird, ist hoch. „Wir müssen allein bis zum Dezember, wenn die nächsten Betreiberwechsel anstehen, noch 130 Lokführer finden“, sagt Barbara Tünnemann, Sprecherin von „Fokus Bahn NRW“. Man habe die Verkehrsunternehmen aufgefordert, bis Ende August „ein präzises Bild zum Stand der Vorbereitungen“ abzuliefern.
Mit Personal aushelfen
Im Dezember werden National Express den Regional-Express 6 (Köln/Bonn Flughafen-Minden) als neue RRX-Linie und Keolis zwei S-Bahnlinien an Rhein-Ruhr von der DB Regio übernehmen. Es sei denkbar, dass der ausscheidende Betreiber DB Regio nach diesen Wechseln mit Personal aushelfen müsse.
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Laut dem Bündnis „Allianz pro Schiene“ kommen bundesweit auf 100 offene Lokführerstellen nur 25 Bewerber. „Wenn es nicht gelingt, zusätzliche Lokführer zu gewinnen, kann NRW die Pendler- und Güterströme nicht bewältigen“, warnt der Geschäftsführer des Bündnisses, Dirk Flege. Neben den unregelmäßigen Arbeitszeiten ist auch der Verdienst immer noch ein Problem. Ein Quereinsteiger bei der DB kommt im Jahr nach der Ausbildung auf rund 38 000 Euro. (mit dpa)