AboAbonnieren

Outing am ArbeitsplatzWie lässt sich die Angst überwinden?

Lesezeit 6 Minuten
Kellermann mit Verlauf

Georgine Kellermann

Und plötzlich eine Frau? Für das Publikum des WDR schien die Veränderung über Nacht gekommen zu sein. Für Georgine Kellermann war sie es nicht. Im September 2019 macht die Leiterin des WDR-Studios Essen öffentlich, dass sie nicht mehr ihren alten männlichen Namen trägt und die damit verbundene männliche Person sondern Georgine Kellermann ist. Privat hat sie schon viele Jahre als Frau gelebt, hatte drei Kleiderschränke voll mit Frauenkleidung, hatte ihren Stil gefunden, hat sich geschminkt. In der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz präsentierte die Transfrau sich aber weiterhin als Mann. Heute fühlt sich die 64-Jährige frei, ist froh, kein Doppelleben mehr zu führen.

Kellermanns Offenheit mag für Menschen, die sich der LGBTQI*-Gemeinschaft zugehörig fühlen, ein Vorbild sein. LGBTQI* steht als Abkürzung für lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer und intersexuell - also alles Beschreibungen für sexuelle Orientierungen und Formen von Identitäten. Fakt ist aber auch, dass sich viele Menschen, die nicht heterosexuell sind, nicht trauen, ihre sexuelle Identität am Arbeitsplatz offenzulegen, zum Beispiel weil sie fürchten, negativ angegangen zu werden.

Angst vor Diskriminierung

Die Studie „Out im Office?!“ zeigt zwar, dass lesbische und schwule Beschäftigte innerhalb der letzten zwanzig Jahre zunehmend offener mit ihrer sexuellen Identität am Arbeitsplatz umgehen können - in NRW sogar nicht etwas mehr als im Vergleich zu Deutschland. Aber sie erleben immer noch genau häufig wie vor zehn Jahren Diskriminierung. Das unterstreicht auch nochmal der Autor der Studie, Dominic Frohn: „Der Arbeitsplatz wird als asexueller Raum konstruiert. Gleichzeitig wird am Arbeitsplatz oft von privaten Aktivitäten gesprochen: vom Theaterbesuch mit der Frau, der Einschulung der Kinder – damit wird implizit auch die Heterosexualität benannt“, so der Kölner Diplom-Psychologe vom Institut für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung IDA. „Sobald es nun um lesbische oder schwule Personen geht, wird eine solche Information sexualisiert.“ Da heiße es dann, wenn die Person von ihrem Partner oder Partnerin erzählt: „Lass das doch nicht so raushängen. Das hat am Arbeitsplatz doch nichts verloren.“ „Wenn es eine Abweichung von der Norm gibt – in Verbindung mit der sexuellen Identität – wird es schnell als ein ,zu viel“ erlebt“, so Frohn.

Diversity Logo Neu

Solche Erfahrungen halten viele davon ab, ihre „wahre“ Identität preiszugeben. Stattdessen versuchen sich viele anzupassen, nicht aufzufallen, dass sie nicht heterosexuell sind. Wer es aber nicht mehr aushält oder einfach selbstverständlich mit seiner sexuellen Orientierung umgehen möchte, hat mehrere Optionen. „Es sollte Selbstverständlichkeit hergestellt werden, und die sexuelle Identität nicht als unangenehme Zusatzinformation transportiert werden“, fasst Dominic Frohn zusammen. So könnte offen gesagt werden: ,Ich habe schon so viel von deinem Leben gehört, ich möchte dir etwas von mir erzählen, weil ich dir vertraue.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Aber auch „nebenbei“ lassen sich Informationen einstreuen, um gar nicht erst auf große Verwunderung zu warten: Ein „Ich bringe dann meinen Partner/meine Partnerin mit“ erwähnt die Information, lässt aber nicht zwangsläufig eine Diskussion entstehen. Dominic Frohn empfiehlt ansonsten noch eine weitere Option: Man könnte fragen, wie sich das Unternehmen in Sachen Diversity aufstellt. „Sind gleichgeschlechtliche Partner:innen bei Unternehmensfeiern erwünscht? Werden sie in der betrieblichen Altersvorsorge mit bedacht? Dann kommuniziere ich darüber ganz selbstverständlich meine sexuelle Identität.“

Für manche Arbeitnehmende sei das auch eine wichtige Herangehensweise, in welchem Unternehmen sie überhaupt arbeiten wollen – wenn sie die Wahl haben. „Jede:r muss abwägen, welche Strategie individuell gut passt. Es gibt keinen König:innen-Weg. Wenn ich jetzt zwingend auf einen Job angewiesen bin, sieht die Situation anders aus, als wenn ich mehrere Auswahlmöglichkeiten habe“, so Frohn.

Die Erfahrungen von Georgine Kellermann nach ihrem Coming-Out am Arbeitsplatz waren fast durchweg positiv, bis auf einige Ausnahmen, die sie aber auch heute noch geschickt kontert. Insgesamt sei es eher ein „Candystorm“ gewesen, der über sie hereinkam, wie sie in einem Interview berichtet - und kein Shitstorm. 2019 sei der richtige Zeitpunkt gewesen. „Ich habe mit einem Vorgesetzten beim WDR schon in den 80er Jahren darüber gesprochen“, berichtet sie in einem WDR-Interview. „Uns war beiden klar, dass es eine folgenreiche Entscheidung wäre. Ich weiß nicht, ob ich danach vor der Kamera hätte arbeiten können.“

Der WDR sei zwar immer ein sehr offenes und liberales Unternehmen gewesen, aber er konnte sich nicht frei machen vom gesellschaftlichen Druck. „Die Gesellschaft hat sich seitdem verändert“, ist sie überzeugt. Nicht nur im öffentlichen und digitalen Raum habe sie viel Unterstützung erhalten, „zu allererst an meinem Arbeitsplatz“, so Kellermann. „Das Team hier in Essen hat mich mit einer Empathie und Fürsorglichkeit getragen, von der ich nicht genau wusste, aber ahnte, dass es sie gibt. Meine kühnsten Hoffnungen sind bei Weitem übertroffen worden.“

Neuer Inhalt

Dominic Frohn

Studienautor Dominic Frohn weiß, dass die Erfahrungen und Befürchtungen in solchen Situationen sehr unterschiedlich sein können. „Wir können nachweisen, dass Personen, die offen mit ihrer sexuellen Identität umgehen, in einem recht hohen Ausmaß Akzeptanz erleben.“ Menschen, die allerdings nicht so offen sind, befürchten dann auch manchmal, dass sie nicht akzeptiert werden, wenn sie sich öffnen würden. „Es kann also sein, dass – wenn ich offen bin – ich zu einem hohen Ausmaß positive Erfahrungen machen werde. Und gleichzeitig ist denkbar, dass diejenigen, die verschlossen sind, ihren Arbeitsplatz richtig einschätzen und zurecht weniger über sich erzählen.“

Ob sich jemand für einen offenen Umgang mit seiner sexuellen Identität am Arbeitsplatz entscheidet, hängt Frohn zufolge von vielen Variablen ab. Wie wichtig ist der Person das Coming-Out persönlich? Wie steht das Unternehmen zu sexuellen Identitäten? Vielleicht gibt es ein LGBTIQ-Netzwerk im Unternehmen, an das ich man sich wenden kann. Wie wird die Führungskraft eingeschätzt? Wie die Kolleg:innen? Gibt es Vorbilder oder Verbündete? Gibt es Anti-Diskriminierungsrichtlinien? „Auf dieser Basis ist eine fundierte Entscheidung leichter möglich“, so Frohn.

Vorbilder wie Georgine Kellermann kommen aber zur richtigen Zeit. Das Selbstbewusstsein von LGBTIQ-Arbeitnehmer:innen habe sich verändert, ist Frohn überzeugt. „Ein großer Teil weiß, dass sie einen ebenso wichtigen Beitrag leisten können und erwarten umgekehrt Akzeptanz dafür. Daher informiert sich ein Großteil der Personen über Diversity-Aktivitäten von Unternehmen bei Bewerbungen oder auch wenn Kaufentscheidungen oder die Nutzung von Dienstleistungen geht.“

Arbeitgeber:innen sollten sich zudem darüber klar sein, dass ein Coming-Out ein großer Schritt für die Menschen ist – mit positiven Effekten auf das eigene Selbstbewusstsein und die eigene Resilienz. „Bei modernen Unternehmen wird so etwas oft anerkannt, weil sich dadurch auch spezifische Kompetenzen entwickeln können“, sagt Frohn. Von Offenheit können also alle profitieren.