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Schichten und ÜberstundenDiese Arbeit macht Mitarbeiter auf Dauer dumm

Lesezeit 5 Minuten

Wer ständig Überstunden, Schicht- und Nachtdienste schiebt, läuft Gefahr, zu verblöden. Das gilt auch für Arbeitnehmer, die unter Boreout leiden, also permanenter Langweile im Job.

Mehrere Studien zeigen, dass unregelmäßige Arbeitszeiten und Nachtarbeit auf Dauer zu Geschwüren, Herzkrankheiten, Diabetes, Übergewicht und bestimmten Krebsarten führen können. Auch das Risiko für Arbeitsunfälle ist bei Schichtarbeitern erhöht. Über die Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkeiten war bislang wenig bekannt.

Jetzt stellt sich heraus: Jahrelange Schicht- und Nachtarbeit verringert sogar die Gedächtnisleistung und das Denkvermögen. Bei Menschen, die mehr als zehn Jahre unregelmäßigen Arbeitszeiten ausgesetzt waren, nähmen die kognitiven Fähigkeiten deutlich schneller ab als bei anderen Berufstätigen, berichtet das US-Fachmagazin „Occupational and Environmental Medicine“ in Bezug auf eine aktuelle Studie.

Betroffen seien insbesondere Menschen, die länger als zehn Jahre Schichtarbeit leisteten, erklärte Studienleiter Jean-Claude Marquié vom Forschungsinstitut CNRS in Toulouse. Diese Belastung entspreche einem Alterungsprozess von zusätzlich sechseinhalb Jahren. Mindestens fünf Jahre dauere es, sich nach dem Ausscheiden aus dem Schichtdienst davon zu erholen. Allerdings müssten die Ergebnisse noch in anderen Studien bestätigt werden. Getestet wurden 3000 Berufstätige aus Südfrankreich, die in verschiedenen Branchen arbeiteten.

Tipp: Bessere Betreuung, späterer Arbeitsbeginn

Studienleiter Marquié schlug eine besondere medizinische Betreuung für Schichtarbeiter sowie arbeitnehmerfreundlichere Dienstpläne vor. Dabei könne es schon helfen, anstatt um 4.00 Uhr morgens zwei Stunden später zu beginnen. Kann ein Schichtarbeiter aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtdienste mehr leisten, so ist er deswegen nicht arbeitsunfähig. Vielmehr müsse der Arbeitgeber die Arbeit möglichst so organisieren, dass der Betroffene nur tagsüber eingesetzt werde, entschied das Bundesarbeitsgericht in Erfurt im Fall einer Krankenschwester.

Jobs mit vielen Überstunden

Auf Dauer kann auch durch zu viel Mehrarbeit die Intelligenz abnehmen. Zu dem Ergebnis kommt eine Gruppe internationaler Forscher in einer Studie, die im American Journal of Epidemiology erschien. Die Wissenschaftler haben fünf Jahre lang über 2200 Angestellte aus England beobachtet. So wollten sie den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Gedächtnisleistung beurteilen. Getestet wurde zum Beispiel das Kurzzeitgedächtnis.

Das Ergebnis: Verglichen mit Angestellten, die unter 40 Stunden arbeiten, schneiden die Überstunden-Junkies mit einer Wochenarbeitszeit von mehr als 55 Stunden deutlich schlechter bei Vokabeltests und auch im Intelligenztest ab. Wer überarbeitet ist, der argumentiert also auch schlechter. Lange Arbeitszeiten erhöhen damit bei Berufstätigen mittleren Alters das Risiko für eine abnehmende Gedächtnisleistung.

Tipp: Nicht zu lange am Stück arbeiten

Arbeitgeber wie Arbeitnehmer sollten die Arbeitszeit in einem vernünftigen Rahmen halten und möglichst die Ruhezeiten ausdehnen. Früher galt eine Arbeitsbelastung von acht Stunden am Tag als problemlos - doch heute ist die Belastung in manchen Berufen viel intensiver. Und je länger man am Block arbeitet, desto länger ist auch die Erholungszeit, die man braucht. Also sollten Berufstätige lieber einmal mehr eine Pause machen und kurz abschalten.

Jobs, die einen unterfordern

Das Burnout-Syndrom ist altbekannt. Viele Menschen sind im Job überlastet. Aber auch Unterforderung und Langeweile können Stress verursachen - und krank machen. Das sogenannte Boreout-Syndrom betrifft häufig Verwaltungs- oder Dienstleistungsjobs, in denen Aufgaben wegrationalisiert oder durch Software erledigt werden. Experten zufolge trifft es vor allem Beamte, die Finanzindustrie und Bürojobs.

Der gemeinnützige Verein Burnoutproud nennt eine Abnahme der kognitiven Fähigkeiten als ein mögliches Symptom für Boreout: Konzentration, Aufmerksamkeit und Denkvermögen lassen nach. „Betroffene sind in Bezug auf ihre Aufgabe kaum noch motiviert“, beschreiben die Experten eine Folge chronischer Langeweile im Job.

Tipp: Anspruchsvolles Hobby suchen

Leiden Arbeitnehmer im Job an permanenter Unterforderung, sollten sie sich in schweren Fällen von Boreout am besten professionelle Hilfe suchen. Experten raten Betroffenen vor allem zum rechtzeitigen Dialog mit dem Arbeitgeber. Ist die Situation nicht so dramatisch, kann ein anspruchsvolles Hobby für Ausgleich sorgen. „Berufstätige können etwa eine neue Sprache lernen“, sagt Annekatrin Hoppe, Professorin für Arbeitspsychologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Denn das Lernen in der Freizeit fordere den Intellekt des Arbeitnehmers heraus und kompensiere die Unterforderung im Job. Wer keine Fremdsprachen mag, könne sich auch neue Eindrücke im Museum suchen oder sich einer anspruchsvollen Sportart widmen.

Weitere Tipps, wie Sie im Job geistig fit bleiben, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Aus Sicht der Intelligenzforschung ist es grundfalsch, sich ganz auf seine Routine und die jahrelange Berufserfahrung zu verlassen. „Das kann jahrzehntelang funktionieren. Aber wenn man dann plötzlich eine neue Maschine bedienen soll, wird das zum Problem“, sagt Karl Josef Klauer, emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft von der Universität Aachen. Wenn man jahrelang immer die gleichen Aufgaben erledige, verliert das Gehirn die Fähigkeit, Lösungen für neue Probleme zu entwickeln. Spätestens ab dem 50. Geburtstag beschleunige sich diese Entwicklung rapide.

Dagegen helfe es auch nicht, Gehirnjogging zu betreiben oder Kreuzworträtsel zu lösen. „Entscheidend ist ganz allein das induktive Denken - also Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen.“ In Klauers Buch „Denksport für Ältere“ ist zum Beispiel ein Tisch abgebildet, auf dem für ein Menü Teller, Gläser und Besteck eingedeckt sind. Doch an jedem Platz fehlt genau ein Teil, das der Betrachter finden soll. „Solche Übungen, bei denen man Strukturen erkennen muss, sind erwiesenermaßen nachhaltig.“

Austausch mit Menschen hält jung

Doch das allerbeste Gehirntraining sei letztlich das Leben selbst, findet Spitzer. Mit Menschen zu reden, gemeinsam über etwas nachzudenken und aktiv zu sein, halte das Gehirn nachhaltig auf Trab. „Ganz praktisch: Schaffen sie sich einen Enkel an oder leihen sie sich einen aus“, rät der Professor. „Junge Menschen stellen viele Fragen - und das ist die beste Vorbeugung gegen geistigen Abbau.“

Zudme sollten Beschäftigte im Job nach Herausforderungen greifen, wenn sie sich ihnen anbieten, erklärt Götz Richter. Er forscht zum Thema demografischer Wandel in der Arbeitswelt bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua). „Klar macht es Stress, wenn ich in der Firma die Tätigkeit wechseln muss“, sagt Richter. Doch gerade jene, die als Vorreiter solche Herausforderungen annehmen, bleiben geistig flexibel.

Um möglichst lange erwerbstätig sein zu können, müssten Mitarbeiter außerdem auf ihre Gesundheit achten. Das Rad statt den Bus zur Arbeit zu nehmen - solche Alltäglichkeiten zahlten sich auf Dauer aus. (gs, mit Agenturmaterial von dpa und AFP)