Tipps für BetroffeneSo beenden Sie Machtspiele am Arbeitsplatz
Sechs Worte lösen den Machtkampf bei VW aus: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, sagt im Frühjahr Ferdinand Piëch dem Spiegel. Sein Wort ist eigentlich Gesetz... Doch diese Schlacht verliert er mit Pauken und Trompeten, am Ende muss der Aufsichtsratsvorsitzende von VW seine Posten räumen.
Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn bleibt im Amt: Das Präsidium des Aufsichtsrats spricht sich mit 5:1 Stimmen für ihn aus, den „bestmöglichen“ Vorstandschef. Die einzige Gegenstimme kommt von Piëch, der bald weitere Attacken gegen Winterkorn reitet. Das kann der Aufsichtsrat nicht auf sich sitzen lassen – und erhöht den Druck auf Piëch, bis dieser selbst die Waffen streckt. Der Patriarch muss gehen, und der Frieden im Konzern ist gerettet.
„So laufen typische Machtspiele in der Wirtschaft ab“, sagt dazu Dr. Barbara Schmidt, Soziologin, Coach und Autorin des aktuellen Buchs „Erfolgreich führen mit innerer Macht – Machtspiele umwandeln“.
„Wir können natürlich nicht in den Kopf von Piëch reinschauen“, so Dr. Schmidt, „doch diese fast krankhafte Hartnäckigkeit im Kampf lässt sich oft beobachten.“ Manche „Machtspieler“ würden lieber in den eigenen Untergang rennen, statt etwas nachzugeben. Dieses Phänomen schildert die Autorin in ihrem Buch, das auch viele Hinweise gibt, wie Menschen bewusst aus Machtspielen aussteigen können.
Das scheint dem VW-Patriarchen nicht gelungen zu sein. Er folgte wohl einem Muster, das Dr. Schmidt so beschreibt: „Mächtige verlieren in einem Machtspiel die Macht über ihre Gefühle und rutschen in die Ohnmacht.“ Viele Jahrzehnte folgen sie einem Erfolgsrezept der Härte: Rein rationale Entscheidungen sind notwendig, um auf der Karriereleiter ganz nach oben zu klettern. Gefühle? Skrupel? Sie stören eher und werden zunehmend ausgeblendet. So sind die „Mächtigen“ handlungs- und durchsetzungsfähig.
Manchmal übertrifft die Realität sogar das Klischee – wie im Fall Ackermann. Der ehemalige Chef der Deutschen Bank war Verwaltungsratspräsident beim Versicherungskonzern Zurich. Er trat zurück, als der Finanzchef des Schweizer Unternehmens Selbstmord beging. Denn: Pierre Wauthiers erwähnte den deutschen Banker in seinem Abschiedsbrief.
2013 war dazu dieses Statement von Ackermann zu lesen: „Der unerwartete Tod Pierre Wauthiers hat mich zutiefst erschüttert. Ich habe Grund zur Annahme, dass die Familie meint, ich solle meinen Teil der Verantwortung hierfür tragen, ungeachtet dessen, wie unbegründet dies objektiv betrachtet auch sein mag.“ Mitgefühl lässt sich auch anders ausdrücken.
„Ich gewinne immer, ich gebe keinen Kampf auf!“
Wer über „Leichen gehen“ will, braucht eine psychische Konstitution, die lange Zeit nicht zu erschüttern ist. „Wir immunisieren uns gegen Gefühle, um Projekte auch in einer feindlichen Umwelt durchzuziehen“, sagt Dr. Schmidt. Zu einem hohen Preis: Langsam baut sich ein starker Druck auf, wie in einem Dampfkessel. Wer nicht vernünftig mit seinem emotionalen Haushalt umgeht, kann plötzlich die Kontrolle über seine Gefühle verlieren: „Sie übernehmen das Ruder, und auf einmal bleibt jede Rationalität auf der Strecke“, so die Autorin.
Hinzu kommt: Tief verwurzelte Glaubenssätze steuern das Leben aller Menschen. Für erfolgreiche Manager können sie lauten: „Ich gewinne immer, ich gebe keinen Kampf auf!“ oder „Ich muss siegen, weil mir keiner hilft!“ Diese unbewussten Mantren, so Dr. Schmidt, würden den Protagonisten zu eingeschränkt-rationalen Entscheidungen treiben. Überstrahlt eine solche Überzeugung die emotionalen Strudel, geht es immer tiefer hinab – bis in den Abgrund des endgültigen Scheiterns.
Der Grund: Die bisher vernachlässigten Emotionen entwickeln eine hohe Sogwirkung, die scheinbar „Mächtigen“ stürzen in einen Strudel der Gefühle. Mit fatalen Konsequenzen: „Ihre Wahrnehmung der Realität trübt sich ein, es kommt zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten, bis hin zum echten Realitätsverlust.“
Ähnlich könnte ein Prozess bei Piëch abgelaufen sein, der seine Angriffe so lange auf Winterkorn fortsetze, bis er den Boden unter den Füßen verlor. Der VW-Aufsichtsrat musste auf die Bremse treten, damit für den Konzern nicht mehr Schaden entstand – der Patriarch kippte aus der Macht in die Ohnmacht!
Welche Folgen haben Machtspiele für Betroffene – und wie kann man sie beenden? Weiter geht es auf der nächsten Seite.
Machtspiele finden in Unternehmen auf allen Ebenen statt. Ob Chefetage oder operatives Team – die psychischen Mechanismen sind oft ähnlich. Und die Folgen genauso zerstörerisch, was ein Blick in den DAK-Gesundheitsreport 2015 zeigt: Bei den Fehltagen je 100 Versicherte liegen psychische Erkrankungen an zweiter Stelle: 2013 waren es 213 Fehltage, 2014 bereits 237: Ein Anstieg um 11,5 Prozent.
Natürlich muss nicht jede psychische Erkrankung ihre Ursache in Machtspielen haben. Doch der größte Teil der psychischen Erkrankungen geht auf depressive Episoden bzw. Störungen sowie „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ zurück. Wer schon in Machtspiele geraten ist, kann leicht nachvollziehen, dass der Weg zu diesen Krankheitsbildern nicht weit ist.
Egoistische Ziele haben Vorrang.
Der andere wird entwertet und kleingemacht.
Eine Kräfteverschiebung findet statt. Der Angreifer nimmt Kraft vom anderen, dadurch wird er stärker, der andere hingegen schwächer.
Eine komplementäre Rolle wird eingenommen.
Quelle: Barbara Schmidt (2015)
Bei Machtspielen charakterisiert Schmidt sehr unterschiedliche Rollen. Da gibt es Angreifer/Kontrolleure wie Piëch, aber auch Retter, Hilflose, Opfer oder Flüchtende. Sie alle haben ihren spezifischen Anteil am nervenaufreibenden Konflikt. Und egal in welcher Rolle jemand verharrt – „Entscheidend ist es, aus diesen blockierenden Emotionen herauszugehen, den Raum des Dauerkonflikts zu verlassen“, sagt die Buchautorin.
Sympathie fliegt zunächst dem Opfer zu. „Das scheinen die ‚Gutmenschen‘ zu sein, die aber die Machtspieler nicht in ihre Schranken weisen“, erklärt Schmidt. Sie hätten zwar Zugang zu ihren Gefühlen, doch es mangele ihnen an Durchsetzungskraft. Ganz anders der „Machtspieler“: „Sie haben Herz und Gefühl abgespalten, um erfolgreich ihren Weg zu gehen.“ Diese „Erfolgsmenschen“ zahlen aber einen hohen Preis – bis eventuell der Dampfkessel explodiert, und verbrannte Erde am Ende des Weges bleibt.
Lässt sich diese Polarität überwinden? Dr. Schmidt skizziert in ihrem Buch einen Lösungsansatz für das scheinbare Opfer: „Der Angegriffene [steigt] aus dem Machtspiel aus, distanziert sich innerlich, erkennt seine komplementäre Machtrolle, verändert sie, sucht seinen Standpunkt, findet zu seiner inneren Kraft, fokussiert sich auf seine Ziele und sieht die übergeordnete gemeinsame Zielrichtung.“
Auf ähnliche Weise sollte sich auch der Angreifer aus dem Sog seiner Gefühle befreien. Dabei ist beinharte Selbstreflektion gefragt, sie ist für Schmidt der Schlüssel zum Erfolg: „So kommen die Betroffenen zu ihrer inneren Macht, sie gewinnen wirkliche Präsenz im Leben“. Unter „Präsenz“ versteht die Autorin: „Wir mobilisieren unsere inneren Ressourcen, weil wir im Einklang mit Verstand, Gefühl und Intuition handeln.“
Das heißt für den Angreifer: Er distanziert sich innerlich von seiner Rolle und fängt an, sich auf sich selbst zu besinnen. In Zukunft wird er im Sinne des Ganzen agieren – und nicht nur egoistische Karriereziele verfolgen.
„Nimm dein Lichtschwert in die Hand!“
Und das Opfer? Es kann lernen, sich durch klare Kommunikation durchzusetzen, verbunden mit strategischem Geschick und einem bewussten Einsatz von Machtmitteln. „Das schafft das ehemalige Opfer, wenn es in Übereinstimmung mit den eigenen Werten handelt“, so Schmidt.
Für die „Gutmenschen“ hat sie in ihrem Buch noch einen Tipp: „Nimm dein ‚Lichtschwert‘ in die Hand, kämpfe deinen Kampf sauber, stimmig mit dir selbst. Wenn man dem Negativen nicht die Stirn bietet, breitet es sich aus.“
Glaubenssätze, innere Muster bewusst machen und umwandeln, um im Einklang mit sich selbst zu sein.
Stärke aus sich selbst, aus der schöpferischen Kraft holen, die jedem Menschen zur Verfügung steht, statt sich vom anderen zu nehmen.
Dem anderen nicht ausgeliefert sein, zielgerichtet und „sauber“ kommunizieren.
Den anderen in den Lösungsprozess miteinbeziehen.
Das soziale System, von dem der Mensch selbst und die anderen ein Teil sind, konsequent in eine positive Richtung lenken.