Zwei Milliarden Euro will Konzernchef Bill Anderson jährlich einsparen und das Dax-Schwergewicht komplett umkrempeln. Anleger und Investoren reagieren vorerst zurückhaltend.
Sparen und UmbauSo will Bayer aus der Krise kommen
Die Messlatte lag hoch: Mit viel Spannung und großen Erwartungen hatten Anleger und Marktbeobachter auf den 5. März geschaut. Den Tag, an dem Bayer-Chef Bill Anderson verkünden wollte, wie es mit dem angeschlagenen Konzern weitergehen soll. Monatelang war über eine Aufspaltung des Leverkusener Traditionsunternehmens spekuliert worden. Es kam anders, der große Schlag blieb aus: Bayer bleibt in der Gesamtheit seiner drei Sparten erhalten und stellt sich seinen drängenden Problemen.
Warum trennt sich Bayer nicht von Konzernteilen?
Die klare Botschaft lautet: „Nicht jetzt“. Bayer hält an der Konzernstruktur mit den drei Sparten fest: Agrar (Crop Science), Pharma (rezeptpflichtige Medikamente) und Consumer Health (verschreibungsfreie Mittel). Damit sei aber nicht „niemals“ gemeint, sagte Bayer-Chef Bill Anderson. „Natürlich werden wir für alles offenbleiben“, so Anderson.
Lange standen ganz andere Szenarien unter dem Druck der Investoren im Raum: Sie reichten von einem Verkauf des Geschäfts mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten bis hin zu einer kompletten Aufspaltung des Traditionsunternehmens. Laut Marktbeobachtern sehen die Investoren aber mittlerweile auch, dass die einzelnen Divisionen in ihrem jetzigen Zustand dafür nicht stark genug wären.
Ein Verkauf der Sparte Consumer Health, rund um rezeptfreie Medikamente wie dem Klassiker Aspirin, könnte zwar eine attraktive Option sein, um Schulden zu tilgen, sagte CEO Bill Anderson bei der Vorlage der Bilanz in London. Eine Trennung wäre aber mit hohen Kosten sowie hohen steuerlichen Belastungen verbunden. Außerdem sorge die Sparte für beständig gute Einnahmen. Jetzt will der Vorstandschef den Fokus in den kommenden drei Jahren erstmal auf den internen Konzernumbau und eine deutlich bessere operative Performance legen. Das Unternehmen brauche wieder mehr Handlungsspielraum.
Wie fielen die Reaktionen aus?
Aktionäre und Investoren äußerten sich zurückhaltend zu den Plänen. „Viele, auch wir, haben eine Aufspaltung von Bayer erwartet“, schrieb Analyst Peter Spengler von der DZ Bank. Damit entfalle nun ein Kurstreiber. Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), sagte: „Das Warten geht weiter. Bayer-Aktionäre brauchen weiter starke Nerven und Geduld. Beides ist aber bereits arg aufgebraucht.“
Wo liegen die größten Problemfelder?
„An vier Stellen gibt es dringenden Handlungsbedarf“, sagte Anderson. Zum einen laufen im Pharmageschäft Patente großer Blockbuster aus, Nachahmerpräparate drängen auf den Markt und drücken den Preis. Es braucht also neue Produkte in der Pipeline. Jüngst musste Bayer die Entwicklung seines Hoffnungsträgers Asundexian stoppen, das bei Patienten mit Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko eingesetzt werden sollte. Das Patent für den größten Umsatzträger in dem Bereich, das Gerinnungsmittel Xarelto, läuft demnächst aus. 2022 erlösten die Leverkusener 4,5 Milliarden Euro mit dem Medikament.
Zweite Baustelle sind die US-Rechtsstreitigkeiten wegen des Unkrautvernichters Glyphosat und der Chemikalie PCB. Das Erbe der milliardenschweren Übernahme von Monsanto wiegt schwer. Die Kosten für die Rechtsstreitigkeiten sind enorm.
Dritter Punkt sind die hohen Schulden in Höhe von 36 Milliarden Euro – vor allem durch den Kauf von Monsanto – die den Handlungsspielraum enorm einengen. Die vierte Baustelle ist die schwerfällige Bürokratie des Konzerns.
Wie will Anderson die Probleme lösen?
Das Unternehmen werde in den kommenden 24 bis 36 Monaten „seine Energie darauf richten“, eine starke Pharma-Pipeline aufzubauen, kündigte Anderson an. Mit Blick auf die Forschung betonte er die herausragende Bedeutung des Standorts Deutschland für den Konzern. Hier gebe es nicht nur sehr gute Fachkräfte, sondern die Medikamentenentwicklung sei hier auch deutlich günstiger als in den USA.
Mit Blick auf die Rechtsstreitigkeiten wolle das Unternehmen seine Strategie anpassen und „neue Ansätze inner- und außerhalb der Gerichtssäle verfolgen“. Man wolle sich „energisch verteidigen“ und jedes negative Urteil anfechten. „Aber es ist klar, dass eine Verteidigungsstrategie allein nicht ausreicht.“ Was das konkret bedeutet, dazu wollte sich Anderson mit Hinweis auf die Prozessgegner nicht öffentlich äußern.
Bayer blickte im Januar auf rund 54.000 offene Fälle. Das sind 2000 mehr als im Oktober. Rund 113.000 Fälle wurden demnach bereits verglichen oder erfüllen aus verschiedenen Gründen die Vergleichskriterien nicht. Die Rückstellungen beliefen sich per Ende 2023 noch auf umgerechnet rund 5,7 Milliarden Euro. Das ist in etwa so viel wie ein Jahr zuvor.
Außerdem will Bayer runter vom Schuldenberg. In einem ersten Schritt wird dafür die Dividende drei Jahre lang auf das gesetzlich geforderte Mindestmaß gesenkt. Elf Cent pro Aktie werden in diesem Jahr ausgeschüttet werden. Für 2022 hatte der Konzern noch eine Dividende von 2,40 Euro gezahlt. Damit spart Bayer mehr als sechs Milliarden Euro ein.
Wie geht es mit dem Stellenabbau weiter?
Anderson kündigte an, ab 2026 jährlich zwei Milliarden Euro bei den „Organisationskosten“ einsparen zu wollen. Dies dürfte in weiten Teilen durch Stellenabbau erfolgen. Im Rahmen eines komplett neuen Organisationsmodells „Dynamic Shared Ownership“ (DSO) will Bayer Hierarchien abbauen, Bürokratie beseitigen und zu schnelleren Entscheidungen kommen. Ziel sei es, in jedem Geschäft des Unternehmens „schlanker und effektiver zu sein als die Wettbewerber“, so Anderson. Betroffen sind vor allem Führungspositionen im mittleren Management. Das dürfte vor allem den Standort in Leverkusen treffen. Zu den genauen Zahlen, wie viele Jobs gestrichen werden, wollte sich Anderson erneut auch auf mehrfache Nachfrage nicht äußern. Es dürften aber tausende sein. Bayer beschäftigt insgesamt mehr als 100.000 Menschen weltweit, davon bislang 22.000 in Deutschland.
Wie ist die wirtschaftliche Lage?
Dass die Maßnahmen dringend nötig sind, zeigen die Zahlen. Bayer rutscht tief ins Minus. Während im Vorjahr noch ein Gewinn von rund 4,2 Milliarden Euro verbucht worden war, stand 2023 unter dem Strich ein Minus von 2,9 Milliarden Euro. Der Konzernumsatz verringerte sich im vergangenen Jahr um 1,2 Prozent auf 47,7 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr erwartet Bayer beim Umsatz keine großen Veränderungen und ein erneut sinkendes Betriebsergebnis.