AboAbonnieren

Trend DownshiftingRunterschalten im Job – wie klappt das?

Lesezeit 4 Minuten

Macht mein Job noch Sinn? Viele Downshifter treibt diese Frage um. Sie wollen lieber ein erfülltes, entspanntes Leben, als ständigen Karriere-Stress.

Tanja Keßler hat im Berufsleben immer gut funktioniert. Nach dem Abi hat sie Groß- und Außenhandelskauffrau bei einem großen Automobilhersteller gelernt. Sie wurde in der Werbeabteilung übernommen und arbeitete dort zehn Jahre lang.

Irgendwann war der Wunsch da, kreativer zu werden und mehr zu schreiben. Sie wechselte in eine Werbeagentur als Texterin und blieb dort ebenfalls zehn Jahre. Als sie Anfang 40 war, kam sie in die Sinnkrise: „Ich bin nicht da angekommen, wo ich hinwill“, dachte sie.

Sie wollte schreiben, doch die Kunden der Werbeagentur machten so enge Vorgaben, dass für Kreativität kaum Platz blieb. Gleichzeitig war die Arbeitsbelastung hoch: Standen wichtige Projekte an, saß sie am Wochenende vor dem Computer. Die beiden Söhne verbrachten viel Zeit statt mit ihr mit dem Au-Pair-Mädchen. Keßler war unzufrieden und fing an, über Alternativen nachzudenken. So wurde sie zur Downshifterin.

Downshifter sind Menschen, die freiwillig einen Schritt auf der Karriereleiter zurückgehen. Wörtlich übersetzt bedeutet es etwa: einen Gang zurückschalten. Sie geben eine Führungsposition auf, um mehr Zeit für sich zu haben, sie wechseln auf Teilzeit oder sie hören ganz auf. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, sagt Wiebke Sponagel.

Sie ist Coach in Frankfurt am Main und berät Berufstätige, die herunterschalten wollen. Manche kommen in die Midlife-Crisis und fragen nach dem Sinn ihrer Tätigkeit. Andere gründen eine Familie und ordnen ihre Prioritäten neu. Wieder andere stehen kurz vor einem Burn-out und stellen ihren Lebensstil infrage.

Sogar Berufsanfänger wollen downshiften

Der Begriff Downshifting stammt aus dem angelsächsischen Raum. Das Phänomen an sich ist nicht neu. Schon immer gab es Menschen, die freiwillig im Berufsleben einen Gang zurückgeschaltet haben, wenn sie es sich leisten konnten. „Neu ist, dass die Frage nach Downshifting immer früher gestellt wird“, sagt Sponagel.

Vor zehn Jahren kamen vor allem Männer zwischen 40 und 50 Jahren zu ihr, die im Beruf viel erreicht hatten. Sie standen finanziell gut da und stellten sich nun die Sinnfrage. Was soll von ihrem Leben übrig bleiben? Mittlerweile kämen auch Berufsanfänger.

Das bestätigt auch Coach Arnd Corts. Auch er berät Menschen, die im Job einen Gang herunterschalten wollen. „Heute habe ich die ersten, die downshiften wollen, bevor sie Vollgas gegeben haben“, erzählt er. Den jungen Menschen gehe es weniger um Anerkennung im Beruf oder um Prestige durch ein hohes Gehalt. Sie arbeiteten lieber weniger und gewinnen an frei verfügbarer Zeit.

Bei Keßler kamen mehrere Gründe zusammen: Sie fand ihre Tätigkeit nicht mehr sinnvoll und wollte mehr Zeit mit der Familie verbringen. Deshalb hängte sie im Sommer 2011 den Beruf in der Werbagentur an den Nagel und machte sich mit dem Glücksgarten selbstständig. Der Glücksgarten ist ein Zentrum für naturnahes Leben. Parallel zur Arbeit in der Werbeagentur hatte sie gegen Ende eine Ausbildung zur Naturpädagogin absolviert. Das sind Menschen, die anderen die Natur nahebringen.

Sie betreibt ihn auf dem Bauernhof, auf dem sie mit ihrem Mann und den Söhnen wohnt. Sie bietet dort Kochkurse an sowie Einführungen in die Herstellung von Käse, Brot und Naturkosmetik. Sie macht Kräuterwanderungen und vermietet Veranstaltungsräume. „Weniger arbeite ich eigentlich nicht“, erzählt sie. Aber sie sei zufriedener.

Bis sie den Schritt in die Selbstständigkeit ging, war es ein langer Prozess. Ihr Mann ist Vertriebsingenieur. Dass die Familie ein zweites Einkommen und Rücklagen gebildet hatte, gab ihr finanzielle Sicherheit. „Trotzdem gibt es natürlich immer wieder Enttäuschungen, Rückschläge und Existenzängste“, sagt sie.

Wer downshiften will, sollte sich den Schritt gut überlegen, sagt Coach Sponagel. Keine gute Idee ist, so eine Entscheidung zu treffen, wenn Mitarbeiter bei der Arbeit gerade stark überlastet sind. Mancher neigt dann dazu, alles hinwerfen zu wollen. Möchte jemand diesen Schritt gehen, sollte er im Gegenteil erst einmal zwei oder drei Wochen freinehmen und versuchen zur Ruhe zu kommen. „Menschen unter Stress treffen falsche Entscheidungen.“

Dann geht es darum, einige grundlegende Fragen zu klären. Wieviel möchte ich bei der Arbeit zurückfahren? Habe ich ausreichend finanzielle Ressourcen, um das zu stemmen? Wie werden der Partner und die Freunde darauf reagieren? Dieses zu klären, braucht Zeit, bestätigt Coach Corts.

Am Ende ist aber im besten Fall sehr viel zu gewinnen. Tanja Keßler gefällt an ihrer neuen Tätigkeit, dass sie ihr eigener Chef ist und selbst bestimmen kann, wann sie arbeitet. Wenn sie spontan mit den Kindern eine Stunde spielen möchte, kann sie sich die Zeit dafür jetzt nehmen.

Außerdem lerne sie durch die Arbeit im Glücksgarten viele neue Menschen kennen. Und sie hat das Gefühl, sich persönlich ständig weiterzuentwickeln. Für sich hat sie den Sinn bei der Arbeit gefunden: „Wenn ich mal alt bin, bin ich eine ganz weise Frau.“ (dpa)