Noch nie waren so viele Arbeitnehmer krank wie in den ersten neun Monaten 2024, meldet die Krankenkasse TK. Wir haben bei Firmen in der Region nachgehört.
Personalmangel mit AuswirkungenHohe Krankenstände sorgen für Engpässe in Köln und der Region
Noch nie waren so viele Arbeitnehmer krank wie in diesem Jahr. Deutschlands größte Krankenkasse, die TK, meldet in den ersten neun Monaten einen neuen Rekord: Jeder der 5,7 Millionen bei der TK versicherten Erwerbstätigen war in diesem Zeitraum durchschnittlich 14,13 Tage krankgeschrieben - das sind knapp drei komplette Arbeitswochen. Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres waren es durchschnittlich 13,82 Tage. Besonders auffällig: Vor der Coronapandemie lagen die Fehlzeiten deutlich niedriger, 2019 in dem betreffenden Zeitraum beispielsweise bei 11,40 Tagen.
Die Bilanz der TK kommt in einer Zeit, in der die Belastung in den Firmen auf ohnehin schon hohem Niveau weiter anzieht. In vielen Bereichen beginnt der Jahresendspurt, in besonders gebeutelten Branchen wie der Industrie erhöht sich die Arbeitsbelastung, weil Stellen gestrichen werden. Hinzu kommt der saisonale Effekt: Herbst und Winter sind Erkältungszeit - und wenn Kollegen ausfallen, wird es für die Verbliebenen noch herausfordernder. In den ersten neun Monaten 2024 war jede TK-versicherte Erwerbsperson 3,24 Tage mit einer Erkältungsdiagnose krankgeschrieben. Das sind fast doppelt so viele wie im Jahr 2019.
Jeder siebte KVB-Fahrer ist krank
Besonders hart trifft es die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB). Die Krankenquote beim Fahrpersonal ist nach einem aus Sicht der KVB relativ stabilen Sommer im September in der Spitze auf bis zu 17 Prozent gestiegen. Im Wirtschaftsplan sind 13,5 Prozent eingepreist. Aktuell sind 14 Prozent der rund 800 Fahrerinnen und Fahrer krank. Bei der KVB versucht man aus der Not eine Tugend zu machen und spricht nicht vom Krankenstand, sondern von einer Gesundheitsquote - und die betrage im November bislang immerhin 86 Prozent. Insgesamt liege sie damit leicht unter den Werten des Vergleichszeitraums 2023. Heißt: Vergangenen November war mehr als jeder siebte KVB-Fahrer krank.
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KVB-Chefin Stefanie Haaks sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir müssen feststellen, dass durch die personellen Lücken die Belastung für die Fahrerinnen und Fahrer erheblich gestiegen ist. Viele von ihnen sind an ihre Belastungsgrenze gelangt.“ Aufgrund des hohen Krankenstands, Personalmangels und Fahrzeugproblemen dünnt die KVB in der Konsequenz ihren Fahrplan ab 16. November weiter aus.
Produktion bei Covestro punktuell unterbesetzt
Auch beim Chemiekonzern Covestro hinterlässt der hohe Krankenstand Spuren. Aktuell sind nach Angaben der Leverkusener 6,26 Prozent der Beschäftigten krankgeschrieben - zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres lag der Krankenstand bei 6,08 Prozent. Punktuell seien Teile der Produktion bei entsprechend hohen Krankenständen mitunter unterbesetzt und die verbliebenen Beschäftigten müssten entsprechend mehr arbeiten.
Auch die Abfallwirtschaftsbetriebe Köln (AWB) verzeichnen höhere Krankenzahlen als vor Corona. Gerade in müllintensiveren Zeiten wie Karneval, Laubentsorgungs-Saison oder Neujahr sind hohe Krankenstände eine Herausforderung für die Personalplanung, sagt eine Sprecherin.
Beim Motorenbauer Deutz sind die Krankenstände über alle Standorte hinweg weitgehend stabil. Auffällig ist jedoch: Während der Krankenstand an den Standorten Köln und Herschbach in Rheinland-Pfalz bis Oktober 2024 etwa 1,5 Prozent höher liegt als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, konnte in Ulm ein Rückgang von mehr als einem Prozent beobachtet werden. Deutz sieht als Ursache unter anderem die allgemein gestiegene Krankheitsrate in Deutschland, was unter anderem auf die vermehrten Großveranstaltungen wie die Europameisterschaft sowie auf den feuchten Sommer zurückgeführt wird. „Dies kann auf Deutz bezogen insbesondere für den Standort Köln ein plausibler Grund sein“, sagte ein Sprecher.
Krankenstände seit 2022 auf hohem Niveau
Der Versicherer Zurich stellt in seinen deutschen Niederlassungen keine besorgniserregenden Auffälligkeiten fest: Die Krankenquote lag im Oktober 2024 bei 4,2 Prozent, im Oktober 2023 bei 4,4 Prozent. Seit Jahresbeginn gerechnet waren im Schnitt 3,9 Prozent der Beschäftigten krank. Damit liegt der Versicherer weit unter Bundesdurchschnitt. Krankenkassen-übergreifende Daten des Bundesministeriums für Gesundheit zeigen, dass von Januar bis Oktober 2024 5,8 Prozent der gesetzlich versicherten Erwerbstätigen krankgeschrieben waren, nur im Jahr 2023 waren es mit 6,1 Prozent noch mehr.
Wer krank ist, wird in Deutschland trotzdem weiterhin bezahlt - in den ersten sechs Wochen übernimmt der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung, dann springt die Krankenkasse ein. Wie hoch die wirtschaftliche Belastung für Arbeitgeber ist, hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln errechnet: Im Jahr 2023 haben Arbeitgeber 76,7 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer erkrankten Beschäftigten aufgebracht. Damit hätten sich die Kosten binnen 14 Jahren verdoppelt.
Diese Entwicklung lässt sich laut IW auf mehrere Faktoren zurückführen: Die durchschnittlichen Bruttolöhne seien im gleichen Zeitraum um 47 Prozent gestiegen. Zudem sei die Beschäftigtenzahl gewachsen - heißt: Mehr Personen haben ein Anrecht auf Entgeltfortzahlung. Bliebe die Krankenstandsquote konstant, würde laut IW-Experten allein die höhere Beschäftigtenzahl für steigende Krankenzahlen und zusätzliche Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung in Höhe von 24 Prozent sorgen.
Psychische Erkrankungen nehmen zu, Fehltage auch
Beide Faktoren erklären aber nur einen Teil der Entwicklung. Denn auch die Anzahl der Krankentage ist gestiegen. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl zuletzt deutlich nach oben gegangen: von 11,2 Tagen im Jahr 2021 auf 15,1 Tage im Jahr 2023.
„Auf den ersten Blick scheint die Zunahme der Erkältungskrankheiten und der damit verbundene gestiegene Arbeitsausfall der Beschäftigten ein großer Belastungsfaktor für die Wirtschaft zu sein. Das ist aber zu kurz gedacht“, sagt Albrecht Wehner aus dem Gesundheitsmanagement der TK. Eine Erkältung lasse sich mitunter nicht vermeiden und dauere in der Regel auch nur ein paar Tage. „Weit mehr ins Gewicht fallen langfristige Diagnosen, wie zum Beispiel psychische Erkrankungen. Davon sind zwar im Verhältnis weniger Beschäftigte betroffen. Aber die Fehltage sind im Vergleich sehr hoch.“
Mental-Health-Hotline beim Tüv Rheinland
In der Tat nehmen psychische Erkrankungen und die damit verbundenen Fehlzeiten immer weiter zu. Die TK beobachtet seit Jahren einen kontinuierlichen Anstieg: In den ersten neun Monaten 2024 haben Erwerbstätige mit einer psychischen Diagnose durchschnittlich 2,80 Tage gefehlt (2019: 2,13 Tage).
Viele Arbeitgeber haben das auf dem Schirm und steuern im Rahmen ihres betrieblichen Gesundheitsmanagements gegen. Der Tüv-Rheinland hat sogar eine „Mental-Health-Hotline“ eingerichtet, bei der Beschäftigte den firmeninternen Psychologen vom arbeitsmedizinischen Dienst in der Leitung haben. Das könnte sich auszahlen, auch wenn die Auswirkung statistisch wohl nicht genau nachzuvollziehen ist: Die Krankheitszahlen sind beim Tüv Rheinland gegenüber des Vorjahreszeitraums leicht gesunken.