Das Original hat sich rar gemacht, dafür ist die Szene der detailverliebten Imitatoren umso lebhafter: Wohl keine Rockband weltweit wurde und wird so häufig kopiert wie AC/DC. Eine Expedition ins Reich der Cover-Acts zum 50-jährigen Bandgeburtstag der Australier.
50-jähriges Band-JubiläumAC/DC – Eine Expedition ins Reich der Cover-Acts
Angus heißt heute Eugen. Er trägt eine Schuluniform in Samtgrün und kann den Duckwalk. Er formt die Zeigefinger an seinen Schläfen zu Hörnern, zieht die Oberlippe hoch und lässt die Beine tanzen, als folgten sie ihrem eigenen Willen. Mit seinen Händen knetet er Riffs und Soli aus seiner Gitarre, als wäre er der Leibhaftige.
Von Charlie Chaplin sagt man, er habe mal bei einem Charlie-Chaplin-Ähnlichkeitswettbewerb nur den dritten Platz erreicht. Gut möglich, dass Angus Young bei einem Angus-Young-Contest das gleiche Schicksal ereilen würde. Die Welt, sie ist voller Angusse. Heute heißt er Eugen, er wird in den kommenden Wochen aber auch noch Mark, Dennis und Jakob heißen.
Ein Freitagabend im November, Oberhausen, Barock spielen heute in der Turbinenhalle. Nebenan, im ersten von zwei Sälen, gibt Mia Julia ein Konzert, ehemaliger Porno- und nun Ballermannstar. Sie zieht an diesem Abend die Jugend an und sich vermutlich mal wieder aus, so läuft das bei ihren Shows. Aber auch drüben wird gestrippt. Eugen, der Angus des Abends, legt bei „Bad Boy Boogie“ erst die Krawatte ab, dann das Hemd. Nur die Pennälerhose bleibt an, trotz angesetzten Daumen am Bündchen. Alles für die Illusion. Der Echte macht es schließlich auch so.
Angus Young für zwei Stunden
Es geht hier nicht um Barock. Die Band ist nur ein Vehikel, ihre Mitglieder sind Hard-Rock-Surrogate, für zwei Stunden verwandeln sie sich in möglichst detailgetreue Versionen von Angus Young, Malcolm Young, Cliff Williams, Phil Rudd und Brian Johnson. Barock ist eine AC/DC-Coverband. Eine von vielen in diesem Land.
Dass sie Konjunktur haben, hängt auch damit zusammen, dass das Original allmählich ausgraut. AC/DC, der Donnerschlag aus Down Under, der sich in der Silvesternacht 1973 in einem kleinen Club in Sydney der Welt vorstellte, ist zum 50. Geburtstag allenfalls noch ein Grollen. Es gibt zwar Gerüchte über eine Tour, sie schwelen seit dem Livecomeback auf dem Power-Trip-Festival in den USA im Oktober, der ersten Show seit sieben Jahren. In München ist wohl bereits das Olympiastadion für sie reserviert, in Wien das Ernst-Happel-Stadion, in Dublin der mehr als 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer fassende Croke Park. Noch einmal die ganz großen Arenen, die Fans warten sehnsuchtsvoll. Sie ahnen aber auch: Es könnte dann wirklich das letzte Mal sein.
Angus Young, der ewige Schuljunge, ist 68. Cliff Williams, der Mann am Bass, ist 74, 2016 hatte er sich eigentlich schon in den Ruhestand verabschiedet. Brian Johnson, seit 1980 als Nachfolger des an seinen Exzessen zugrunde gegangenen Bon Scott am Mikro, ist 76 und kann nur dank Medizintechnik noch auf der Bühne stehen, mit einem künstlichen In-Ear-Trommelfell, das sein eigenes nahezu zerstörtes vor dem Komplettausfall bewahren soll. Es funktioniert. „Die Säfte fließen wieder“, sagte Johnson im Umfeld der „Power Trip“-Show. Spritzig geht dennoch anders.
Das deutsche Down Under
AC/DC wird es, das ist der unvermeidliche Lauf der Dinge, als aktive Band nicht mehr ewig geben. Und doch sind AC/DC für immer. Das Schaffen der wohl größten, einflussreichsten, in jedem Fall meistkopierten Hard-Rock-Band des Planeten hat Raum und Zeit längst überwunden.
Und damit zurück nach Oberhausen, zu Barock. Die Band aus Bayern – so etwas wie das deutsche Down Under – gilt als eines der am aufwendigsten gestalteten Produkte im Regal mit dem AC/DC-Fleischersatz. Ihre Show ist ein eklektisches Kunstwerk, zusammengezimmert aus dem, was das Vorbild optisch ausmacht: aufgetürmte Marshall-Verstärker, funkenspeiende Kanonen, über den Köpfen des Quintetts schwebt die „Hells Bells“-Glocke. Und Musik machen können sie auch.
„We are back!“, schreit der Sänger ins Mikro, der, so versichern es sich Konzertgäste, kurz vorher am Eingang, „sehr authentisch“ klinge. Weil Authentizität in diesem Fach eine harte Währung ist, ist das die höchste Form der Anerkennung. Beim Opener „Hell Ain’t a Bad Place to Be“ von der famosen Platte „Let There Be Rock“ (1977) gehen Dutzende Smartphones hoch, bannen den Moment in Bewegtbild, ganz als stünde da oben das Original. Dass sie hier gerade eine Coverband filmen – geschenkt.
Um AC/DC ist ein Livegeschäftsmodell entstanden. Die Szene derer, die sich einzig dem Werkkatalog der Anfang der Sechzigerjahre mit ihrer Großfamilie von Schottland nach Australien ausgewanderten Young-Brüder und ihrer Kollegen verschrieben haben, ist riesig. In Deutschland heißen sie Dirty Deeds, Powerage oder Sin City, Hellfire, High Voltage oder AB/CD, es gibt komplett weibliche Acts wie Black/Rosie oder Hell’s Belles. Bei Youtube gibt es Videos von Kindern, die AC/DC covern, es gibt sogar Videos von einem zu AC/DC Bassdrum spielenden Hund. Dass er nicht Hells Bello heißt, ist die einzige Enttäuschung daran.
Die Sache mit dem möglichst originalgetreuen Faksimile ist wie ein kollektives Methadonprogramm für AC/DC-Abhängige. Bei Barock ist selbst das Intro, der unmittelbar vor der Show vom Band gelassene Song, auf AC/DC abgestimmt, es ist „School Days“ von Chuck Berry. Was insofern ganz nett ist, weil man hier jetzt zwei Geschichten über die Youngs erzählen kann.
Die Musik von Chuck Berry, das war für Angus und Malcolm immer der wahre Rock ‚n‘ Roll, die Essenz von allem. „School Days“ ist der erste Song, den sie jemals als AC/DC live gespielt haben. Als Coverversion hat er es auf das ausschließlich in Australien veröffentlichte Album „T.N.T.“ (1975) geschafft. Die Blues- und Jazz-Elemente jener Anfangstage haben sich bis in die Gegenwart in der Musik von AC/DC erhalten, von Album zu Album wurden sie weitergereicht, zuletzt zum unerwartet guten „Power Up“ von 2020.
Eine weltumspannende Marke
„Rockmusik“, schrieb der große Produzent Rick Rubin im „Rolling Stone“ vor einigen Jahren, „beginnt für AC/DC mit Chuck Berry und hört ungefähr mit Elvis auf. Sie haben ihre Seele an diesen Groove verkauft – und sie beherrschen ihn wie keine andere Band.“ Dieser Groove hat AC/DC zur weltumspannenden Marke gemacht. Und diese Marke haben sie gepflegt, auf sie eingezahlt, nicht nur mit wilder, zu Gitarrenriffs geronnener Energie, sondern auch mit ihrem hohen Live-Wiedererkennungswert.
Auf der Bühne war das Schema immer gleich: Malcolm links, Cliff rechts, Angus überall. Angus, das ist die zweite Geschichte, dabei bis heute in Schuluniform. Schwester Margaret, 2019 gestorben, soll die Idee zu seinem Bühnenoutfit gehabt haben. War ja auch naheliegend – nach der Schule ließ Angus die Uniform häufig den ganzen Tag an, schmiss nur den Ranzen in die Ecke und sich die Gitarre über. Malcolm und er spielten dann stundenlang, inspiriert und gefördert von ihrem älteren Bruder George, der nach der Übersiedelung nach Australien als Teil der Easybeats ein Star wurde. Der Welthit „Friday On My Mind“ wurde vor einigen Jahren zum besten australischen Song aller Zeiten gewählt.
Von Margaret, der Schwester, kam auch die Anregung, die Brüder könnten ihre Band doch AC/DC nennen. Stand hinten auf ihrer Nähmaschine. Wechselstrom/Gleichstrom, auf Englisch kurz AC/DC – das Wort „perfekt“ wird heute allzu häufig benutzt. Aber es passte einfach: perfekt. AC/DC sind seit fünf Jahrzehnten die Nähmaschine des Rock ‚n‘ Roll, sie tackern unbeirrt durch die Zeitläufe, mit einer Überdosis Strom im Hintern.
Aber etwas ist aus dem Takt geraten zuletzt. Das Metronom ist ausgefallen. Malcolm, zwei Jahre älter als Angus, ist nicht mehr da. 2017 ist er gestorben, und mit ihm der Anführer, der heimliche Häuptling. Angus war immer der Vortänzer, der Derwisch, aber Malcolm war der Boss in Jeans und Turnschuhen. Er hielt das Gebilde mit seiner Rhythmusgitarre zusammen, seine mit penetranter Präzision gespielten Powerchords waren der Leuchtturm, an dem sich alles ausrichtete. Aber dieses Licht ist erloschen.
Es regiert die Herzlichkeit
Es fing schon während der „Black Ice“-Tournee von 2008 bis 2010 zu flackern an. Damals zeigten sich bei Malcolm bereits die ersten Anzeichen seiner Demenz. Er musste morgens die Lieder üben, die er am Abend spielen sollte. Lieder, die er selbst einst geschrieben hatte. 2014 verließ er die Band, es ging nicht mehr. Drei Jahre später starb Malcolm Young im Alter von 64 Jahren. Stevie Young, der Neffe, übernahm, mit dem Segen Malcolms sollten AC/DC weitermachen. Deshalb sind sie noch da. Ohne ihn. Aber auch wegen ihm.
Es ist mittlerweile fast Dezember, der Auftritt von Barock liegt einige Wochen zurück. Der Berliner Fanclub Guard of the Memory hat ins Lido in Kreuzberg geladen, um Malcolm kurz nach seinem sechsten Todestag zu gedenken, aber auch, um 50 Jahre AC/DC zu feiern, 20 Jahre Fanclub noch dazu. Ein Familientreffen in rustikaler Atmosphäre, draußen pinkelt einer hinter ein Auto, an die Fassade des Hauses um die Ecke hat jemand „Fickt euch alle“ gesprayt – spiegelverkehrt.
Drinnen aber regiert die Herzlichkeit, Menschen in Kutten liegen sich in den Armen. Man kennt sich. Und man steht sich auch in misslicher Lage mit Rat zur Seite. Ein Gast, völlig betrunken, bekommt von einem Bekannten einen liebevollen Klaps auf die Schulter: „Du hast dich in diesen Zustand gesoffen, und du säufst dich da auch wieder raus.“
Alkohol, ein Thema bei AC/DC, das ein ganzes Buch und etliche Scotch-Fässer füllen könnte. Den legendären Bon Scott, begnadeter Entertainer und berüchtigter Trinker, hat er dahingerafft, er hatte das mit dem „Highway to Hell“, dem Welterfolg von 1979, zu genau genommen. Er soff sich im Februar 1980 ins Grab, erstickt an seinem Erbrochenen, möglicherweise aber auch im Delirium erfroren in seinem Auto, bis heute ist das nicht genau geklärt. Nachfolger wurde der Brite Brian Johnson, ein Kerl wie eine Marke für sich, mit Reibeisenstimme und Ballonmütze. Sein Debüt bei AC/DC, „Back in Black“, fünf Monate nach Scotts Tod erschienen, wurde bis heute mehr als 50 Millionen Mal verkauft. Es ist damit auf Platz zwei der kommerziell erfolgreichsten Musikalben aller Zeiten hinter Michael Jacksons „Thriller“.
Drogen- und Alkoholprobleme
Schlagartig nüchtern war die Band durch die Scott-Tragödie aber nicht. 1988 verpasste Malcolm wegen seiner Alkoholerkrankung eine US-Tour, er wurde bereits da erstmals von Stevie ersetzt. Auch Schlagzeuger Rudd hatte immer wieder Drogen- und Alkoholprobleme, stieg auch deshalb 1983 aus und erst 1995 wieder ein.
2015 wurde er wegen Drogenmissbrauchs und Mordandrohung mit Hausarrest belegt, die „Rock or Bust“-Tour fand ohne ihn statt, erst zu „Power Up“ stieg er wieder ein, durfte zum Power-Trip-Gig aber offenbar wegen seiner Vorstrafen nicht in die USA einreisen. Probleme über Probleme. Umso bemerkenswerter, dass Angus Young, dieser wie besessen über die Bühne fegende Harlekin, dem Alkohol seit jeher lieber eine Tasse Tee vorzieht. Er führt ein skandalfreies, zurückgezogenes Leben mit seiner Frau in den Niederlanden.
Aber, wo waren wir? Lido, Berlin. Natürlich mit Livemusik, hier spielt heute die AC/DC Revival Band '89. Die Show fällt bei ihnen zwar etwas kleinformatiger aus als bei Barock. Trotzdem entwickeln sie Kraft, schmeißen die 250 Anwesenden in eine kochende Rock ’n‘ Roll-Waschmaschine, höchste Stufe, 120 Minuten Schleudergang. Angus heißt heute Mark, trägt eine Schuluniform in Weinrot, und geht so ab an seiner Gibson-SG, dass er hinterher einen Bademantel braucht, um den Schweißfluss in Frottee zu ersticken.
Er ist übrigens nicht der einzige Angus hier. Dennis, noch so ein Angus, seine Berliner Band BON ehrt die Scott-Jahre von 1974 bis 1980, ist privat vor Ort. Wir kommen zufällig ins Gespräch. Wie wird man zu Angus Young? Wie wird man zu AC/DC?
„Dit sollte“, berlinert er zum Bauplan einer gelungenen Imitation, „schon so dicht dran sein wie möglich. Aber Angus sein Timing is knifflig.“ Er selbst übe mit Videos, sagt Dennis, aber es gehe eben nicht nur ums Gitarrenspiel. Auch die einmalige Mimik Angus Youngs ist wichtig, die unentwegt arbeitende Oberlippe, das Sabbern, ohne geht’s nicht. Er selbst ziehe sie durch, „die janze Nummer mit sich Hinschmeißen, dat janze Ding“.
Auf dem Bon-Scott-Festival – das gibt es wirklich – im schottischen Kirriemuir, wo die Scotts bis zu ihrer Auswanderung in den Fünfzigern lebten, wurde Dennis mal als bester Angus ausgezeichnet. In dieser Szene gilt das was. Was ihm und seiner Band aber noch mehr gilt: eine Band zu sein. „Wir sind wirklich Freunde“, sagt er. „Man hört manchmal Geschichten von anderen Coverbands, die spielen total geil, aber denen geht das Familiäre ab. Bei einigen dieser Bands hast du nicht das Gefühl, dass sie intern harmonieren.“
Eine der größten Bands
Für viele ist die Sache offenbar einfach ein Geschäft. AC/DC sind eine der größten Musikbands aller Zeiten, ein finanzstarkes Imperium. Davon will mancher profitieren. „Natürlich musst du kieken bei Gagen“, sagt Dennis. „Aber wir wissen, wo wir herkommen. Wir sind ja nicht AC/DC. Wir Coverbands sind doch nur Möwen, die hinter einem riesigen Fischkutter hinterherfliegen.“
Schöne Metapher. Überträgt man sie auf die Truppe dieses Kreuzberger Abends, auf die AC/DC Revival Band ‘89, dann sind auch sie Möwen, aber dafür wilde, prächtige Exemplare, mit ordentlich Spannweite. Gitarrist Mark rennt wie ein Irrer von rechts nach links und dabei fast alles über den Haufen, während er und seine Kollegen ihren Instrumenten die großen Klassiker abringen, „If You Want Blood“, „Thunderstruck“, „For Those About to Rock“, zu „Whole Lotta Rosie“ wird die berühmte Frauenfigur aufgeblasen. Man darf hier „Sexismus“ schreien – und man hat natürlich recht. AC/DC und die Frauen, noch so ein Thema für sich. Lieder wie „Girls Got Rhythm“, „The Jack“ oder „Let Me Put My Love Into You“ sind, um die Sache mal beim Namen zu nennen, ziemlich offensichtliche Ficki-Ficki-Nummern, bei denen klar ist, wer das Subjekt ist und wer das Objekt.
AC/DC waren generell nie eine Band, die kompliziert gefaltete Gedankenlandkarten ausbreitet. Sex, Alkohol, die Herrlichkeit des Rock, das ist von alters her das inhaltliche Konzept. Ein philosophisches Proseminar muss man nicht erwarten. Und doch ist die Musik, gerade live, so unglaublich mitreißend. Dennis, der Herr der Möwen, schießt kurz nach dem Start der Show wie ein Albatros heran, drückt sich hastig durch die Leute, wirft im Vorbeiflug noch ein „Ey, dieser Angus, Wahnsinn!“ zu und verschwindet in der Menge, bis er irgendwann nach Mitternacht wieder ausgespuckt wird. Das Konzert ist vorbei, der Mann hinterm Mischpult zündet sich eine Kippe an. „Ich will die nächsten zwei Jahre kein AC/DC mehr hören.“
Zwei Wochen später, AC/DC-Tribute-Show Nummer drei. Es ist jetzt Mitte Dezember, zu diesem Zeitpunkt haben die Gerüchte um die Rückkehr der Band, also der echten, bereits an Kontur gewonnen. Offiziell bestätigt ist noch nichts, aber die Angelegenheit scheint nur noch Formsache zu sein. Sie kehren wohl noch einmal zurück, acht Jahre nach der seltsamen „Rock or Bust“-Tour, die mit Johnson begann und mit Guns’n’Roses-Frontmann Axl Rose am Mikro endete. Johnson musste die Tour abbrechen, weil er sonst sein Gehör riskiert hätte. Spötter unter den Besuchenden der Konzerte behaupten, sie hätten durch Rose ihr Gehör riskiert. Unbestritten ist: Auf der Verpackung stand AC/DC. Aber es war was anderes drin.
Ein explosives Gemisch
Man hätte damals auch einfach die Band auf die Bühne stellen können, die sich an diesem verregneten Samstag in einem Gewerbegebiet in Flensburg erfolgreich als Abbruchunternehmen verdingt. Mehr AC/DC-Attitüde war jedenfalls selten. Sie heißen, in Anlehnung an das 1995er-Album, Ballbreakers, und sie sind Rock ‚n‘ Roll. Nicht zuletzt, weil sie sich am Morgen im Rheinland ins Auto gesetzt haben, um 500 Kilometer nördlich kurzfristig als Ersatz für die eigentlich gebuchte, wegen Krankheit ausfallende AC/DC-Coverband einzuspringen. „Wisst ihr was?“, raunzt Sänger Martin, ein Modell vom Typ Brian Johnson, ins Mikro, „jeder scheiß verfickte Kilometer hat sich gelohnt!“
Diese Sprache versteht man hier. Die Band schmeißt „T.N.T.“ hinterher, in der Menge entsteht ein explosives Gemisch. Der Flensburger Bürgermeister nickt mit dem Kopf zum Takt, der Tresendame saust fast ihre „Layla Puffbrause“ um die Ohren, und draußen vor dem Eingang geht die einsame Topfpalme in Deckung vor der sich aufbauenden Druckwelle. Jakob, der Angus, feuert raus, was der Gitarrenhals so hergibt.
Und selbst das Malcolm-Imitat geht ab, anders als das stoische Original. Aber genau diese Brüche sind es, die es braucht. AC/DC waren nie perfekt. Ein perfektes Abbild von ihnen schaffen zu wollen führt letztlich ins Paradoxon. Wenn es eine Lehre aus den vergangenen Wochen gibt, dann ist es vielleicht diese: Die Starkstromimitate sind dann stark, wenn sie selbst echt wirken.
50 Jahre AC/DC. Alles Gute, alte Ikone. Bis ganz bald – und danke für die Musik. Man wird auf sie schon aufpassen. Es bleibt laut. Auch wenn du irgendwann verstummst.
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Alben von AC/DC für Einsteiger
High Voltage, 1976
Mitten in der Punkwelle taucht da diese Band aus Australien auf, und sie spielt Hard Rock, die verstaubte Musik prätentiöser Genregrößen wie Led Zeppelin. Ihr internationales Debüt (eine Kombination der nur in der Heimat erschienenen Alben „High Voltage“ und „T.N.T.“ von 1975) tritt den Arrivierten dermaßen in den Hintern, dass selbst das musikalische Antiestablishment aufhorcht. AC/DC verheiraten den alten Rock?’n’?Roll mit neuer, schroffer Härte. „High Voltage“ ist reduziert aufs Wesentliche, das aber mit einer Kompromisslosigkeit gespielt, dass man nie wieder weghören will. Allein der erste Track, „It’s a Long Way to the Top“, eine stoische Powerchord-Kaskade wie ein religiöses Mantra – und wenn der Dudelsack einsetzt, wird man endgültig zum Gläubigen.
Powerage, 1978
Es gibt populärere Alben aus der Bon-Scott-Ära, etwa „Let There Be Rock“ (1977) oder „Highway to Hell“ (1979), die Reliquie jeder gut sortierten Plattensammlung, aber „Powerage“, das Zwischenwerk, ist trotzdem im Stand eines Klassikers. Das Album klingt cool, angenehm laid back. Mit einer Nummer wie „Down Payment Blues“ im Autoradio auf Repeat würde man am liebsten für immer um den Block fahren. „Riff Raff“ ist die Abrissbirne des Albums, mit „Sin City“ befindet sich einer der großen Hits der Band auf der Scheibe.
Back in Black, 1980
Brian Johnson, der Neue, tritt nach dem Tod von Bon Scott das schwerste Erbe der Rockgeschichte an – und nimmt mit AC/DC eines der berühmtesten Musikalben auf. Es beginnt mit den 13 Glockenschlägen von „Hells Bells“ und endet mit „Rock and Roll Ain’t Noise Pollution“, bei dessen Intro man Johnson dabei hört, wie er sich im Studio eine Zigarette anzündet. Zwischen diesen beiden Klassikern nur Klassiker: „Back in Black“, „Shoot to Thrill“, „You Shook Me All Night Long“. Zu Recht ist das Album über 50 Millionen Mal verkauft worden.
The Razors Edge, 1990
Die AC/DC-Achtziger beginnen stark, bauen nach „For Those About to Rock“ (1981) aber genauso stark ab. Drei mediokre Studioalben später steht die Band da und scheint ihr Mojo verloren zu haben. Was dann folgt, ist aber nicht weniger als ein Befreiungsschlag. „The Razors Edge“ ist, passend zum Titel, messerscharf gespielt und glänzt nicht nur mit dem notorischen „Thunderstruck“, sondern auch mit einer atmosphärischen Bandbreite, die von der Gute-Laune-Nummer „Moneytalks“ bis zum bedrohlichen Titeltrack reicht. They’re breathing down your neck / You’re running out of lives – Yeah!
Black Ice, 2008
Nie hatte ein Album von AC/DC mehr Spielzeit (56 Minuten), nie hatte man so lange auf neues Material warten müssen (seit „Stiff Upper Lip“ sind fast neun Jahre vergangen). Und es ist das beste Album seit Ewigkeiten. In „Stormy May Day“ etwa greift Angus zur Slide Guitar, „Anything Goes“ lässt Johnson Höhen erklimmen, die er wohl selbst nicht gekannt hat. Für Malcolm Young ist es das letzte Album seiner Karriere, bald schon wird die Demenz ihn zum Rückzug zwingen. „Black Ice“ ist ein Abschiedswerk, das seiner würdig ist.