Tierschützer und Hundetrainer beklagen immer öfter mangelnde Hunde-Erziehung. Nach einer Beißattacke in Bremen werden nun die Rufe nach einer Prüfung für Halter lauter. Wie sinnvoll ist das?
KontroverseMuss es einen Führerschein für Hunde geben?
Hunde, die bellen, beißen nicht, heißt es. Doch was ist, wenn der angeblich beste Freund des Menschen nicht nur bei jeder Gelegenheit kläfft, knurrt, an der Leine zerrt, sondern andere Menschen willkürlich angreift?
Erst kürzlich war ein sechsjähriges Mädchen in Bremen von einem Rottweiler, der sich losgerissen hatte, in den Kopf gebissen worden. Die Politik reagierte prompt: Noch in diesem Jahr soll es in der Hansestadt einen Gesetzentwurf zum Ablegen einer Sachkundeprüfung für Hundehalter geben. Der Bremer Beißvorfall ist ein besonders tragisches Beispiel für problematisches Hundeverhalten. Viele Missstände beginnen allerdings im Kleinen.
In der Bundesrepublik leben laut des Zentralverbands Zoologischer Fachbetriebe (ZZF) 10,6 Millionen Hunde. Sie sind damit das zweitliebste Haustier der Deutschen – nach Katzen (15,2 Millionen). In knapp jedem fünften Haushalt lebt ein Hund. Umso wichtiger ist, dass das Zusammenleben mit den Tieren harmonisch abläuft.
Hans-Joachim Czirski, Vorsitzender des Berufsverbands ProHunde für professionelles Hundetraining, Verhaltensberatung und Dienstleistungen, kennt die Probleme, die viele Menschen mit ihren Hunden haben. Einige Tiere können nicht allein bleiben und reagieren mit lautem Bellen, wenn ihr Halter die Wohnung verlässt. Andere können schlecht mit Frustration umgehen: Der Hund schnappt zu, wenn er sich bedrängt fühlt. Zuweilen haben die Tiere auch keine Impulskontrolle und jagen Fahrradfahrern hinterher. „Fehlen bei der Erziehung wichtige Lerninhalte wie Impulskontrolle, der Umgang mit Frustration und auch dem Alleinbleiben, kann ein Hund es kaum ertragen, wenn etwas nicht nach seinem Willen geht“, erklärt Czirski.
Führungsrolle nicht eingenommen
Das grundlegende Problem sei nicht, dass die Tiere keine Kommandos erlernt hätten, sondern dass ihre Besitzer nie die Führungsrolle in der wechselseitigen Hund-Mensch-Beziehung übernommen haben. „Sitz, Platz und Aus ersetzen keine Erziehung“, fasst Czirski zusammen. Er fordert zum Umdenken auf. „Nicht nur die Halter sind mit den Hunden überfordert, sondern viele Verhaltensweisen entstehen durch die Überforderung der Tiere“, erklärt er. „Die dadurch entstehenden unerwünschten Verhaltensweisen überfordern wiederum die Hundehalter. Aber nur, wenn man die Ursachen erkennt und beseitigt, wird man auch diese Verhaltensweisen korrigieren können“, weiß der Experte.
Seiner Ansicht nach sollten Hundebesitzer verstehen, „dass eine wohlwollende und konsequente Erziehung nicht nur für das Wohl des Hundes, sondern auch für ein harmonisches Miteinander unerlässlich ist“. Konkret heißt das: Die Menschen müssen sich die Zeit nehmen, um ihre Tiere kennenzulernen, um sie zu verstehen. Einem impulsiven, unsicheren Hund kann es beispielsweise helfen, wenn sein Halter problematische Situationen beim Spaziergang erkennt – und ihm alternative Handlungsmöglichkeiten anbietet. Welche Reaktion die richtige ist, hängt auch ein Stück weit vom Charakter sowie der Impuls- und Frustrationskontrolle des Hundes ab. „Eine einfache Möglichkeit wäre, mit dem Hund einen Bogen zu laufen oder leicht an die Seite zu gehen und abzuwarten, bis der andere Hund vorbeigegangen ist. Gerade mehr Distanz kann hier helfen, um die Situation aufzulösen“, erläutert Czirski.
Die Tiere lernen neue Verhaltensweisen, indem sie mit einem bestimmten Vorgehen Erfolg hatten. Ein jaulender Hund, der in dieser Situation einmal etwas zu fressen vom Esstisch bekommen hat, könnte bei der nächsten Mahlzeit wieder jaulend am Tisch sitzen. Hundehalter sollten also versuchen, bei der Erziehung so konsequent wie möglich zu sein. „Als Faustformel kann man sagen, dass es etwa dreimal so lange dauert, einem Hund ein Verhalten abzugewöhnen, wie er es erlernt hat“, warnt Czirski. Hunde jeden Alters können erzogen werden, hier spielt die individuelle Lernerfahrung eine große Rolle.
Wird das Verhalten eines Hundes problematisch, melden sich einige Menschen bei einem professionellen Hundetrainer und holen sich Hilfe. Andere wollen ihren Hund schnellstmöglich wieder loswerden – die Folge sind Tierheime, die überfüllt sind.
Das Schicksal Tierheim trifft aktuell vor allem Hunde, die während der Corona-Jahre angeschafft wurden. Das bestätigt Lea Schmitz, Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes. Sie spricht von einem „Haustierboom“. Als Welpen noch plüschig und süß, wurden die Hundebabys oft als spaßiger Zeitvertreib während wochenlanger Lockdowns und Ausgangsbeschränkungen angeschafft. Doch süße Welpen wachsen schnell, Zeit für die konsequente Erziehung war aber keine. Je nach Rasse kann ein ausgewachsener Rüde aber mit 50 bis 60 Kilogramm schnell zu groß für die Dreizimmerwohnung in der City werden. Zeigt dieser dann auch noch ein problematisches Verhalten, sind viele Menschen überfordert und die Liebe zum Haustier ist schnell vorbei.
„Die Menschen haben sich während Corona oftmals aus dubiosen Quellen Hunde gekauft, die schlecht sozialisiert waren. Erschwerend kommt hinzu, dass sie keine Ahnung von der Erziehung hatten. Im schlimmsten Fall kommt noch Unkenntnis hinzu, wie man Hunde überhaupt hält“, berichtet Schmitz. Außerdem werden wichtige Faktoren wie Zeit und Geld unterschätzt. Hunde müssen jeden Tag vor die Tür – egal bei welchem Wetter – und der Tierarztbesuch kann schnell kostspielig werden.
Faktoren Zeit und Geld unterschätzt
Das Resultat: Die deutschen Tierheime quellen über mit Hunden, die schlecht erzogen sind oder problematisches Verhalten zeigen und dadurch schwer vermittelbar sind. Mittlerweile gibt es deshalb in vielen Städten einen Aufnahmestopp.
Der Deutsche Tierschutzbund fordert unter anderem ein Verbot des Onlinehandels mit Tieren, der den illegalen Welpenhandel fördere und zu spontanen und unüberlegten Anschaffungen verleite. Darüber hinaus wollen die Tierschützer einen verpflichtenden Sachkundenachweis für alle Tierhalter. „Die Menschen müssten dabei theoretisches Grundwissen über Haltung, Ernährung und Pflege von Hunden nachweisen“, führt Schmitz aus. Zwar gibt es den verpflichtenden Sachkundenachweis für die Haltung bestimmter Hunde schon jetzt, allerdings ist dieser nicht bundesweit einheitlich geregelt. Darüber hinaus bieten Vereine und Verbände Schulungen zum Hundeführerschein an. Dieser ist aber freiwillig.
Hundetrainer Czirski reichen Prüfungen allein nicht. Er fordert grundsätzlich eine bundesweite Leinenpflicht – „sofern hundeführende Personen die Fähigkeit, den Hund sicher zu führen, nicht nachgewiesen haben –, damit Schäden und Gefahren minimiert und vermeidbare Behinderungen oder Belästigungen unterbleiben“, sagt er. Damit die Tiere trotzdem die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen, schlägt er die Schaffung von Freilaufflächen und die Möglichkeit der Leinenbefreiung nach Hamburger Vorbild vor. Dort gilt: Wer mit seinem Hund eine Gehorsamkeitsprüfung abgelegt und gezeigt hat, dass er seinen Hund gut erzogen hat, darf auch ohne Leine unterwegs sein.
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