Die Frühjahrs- und Sommermode 2024 hat nichts zu verbergen: Slips blitzen über dem Hosenbund hervor, Bustiers sind unter Blazern und Jacken zu sehen. Und schon jetzt kommen Unterröcke und das Korsett zum Tragen.
Drunter und drüberKorsetts und Unterröcke wieder Mode-Statements
Ob schlichte Bustiers wie bei Hermès, asymmetrische und mit viel Spitze versehene Lingeriekleider und -oberteile wie beim französischen Label Vaillant Studio oder auffällig gemusterte Bras wie bei Dries van Noten: Beim Blick auf die Kollektionen für Frühling und Sommer 2024 fällt auf, dass viele Looks von Dessousmode inspiriert sind. Drunter ist das neue Drüber.
„Unterwäsche will gesehen werden“, sagt auch Lena Roth. Sie arbeitet als Dozentin für Fashion Management an der privaten Hochschule Macromedia und leitet darüber hinaus die Abteilung für Produktentwicklung eines großes Unterwäsche-Labels. „Statt unter der Kleidung zu verschwinden, werden insbesondere BHs, Bodys und Korsagen deutlich sichtbar als Ergänzung oder als Ersatz für Oberteile getragen“, sagt sie.
Alltagstauglich sind insbesondere Modelle, die mehr als nur die Brust verbergen. „Eine Korsage kann man einfach so, aber auch unter einer Strickjacke, einem Blazer oder über einem Shirt beziehungsweise einer Bluse tragen“, beschreibt Roth die Wandlungsfähigkeit dieses Kleidungsstücks, das schon seit rund 500 Jahren durch die Damenmode geistert. Als einengend, gar gesundheitsschädlich galt es früher. Nun wird es schon seit einigen Saisons als modisches Highlight gehandelt. Ebenfalls wiederbelebt wurde der Unterrock: Diesen Winter sind sogenannte Silk Skirts nach seinem Vorbild angesagt, schmale Röcke aus Seide, Chiffon oder Satin. Wärmer als dieser Hauch von Nichts hält da der Long Bra – ein BH, der sowohl Brust als auch Oberbauch bedeckt. Er funktioniert als alltagstaugliche Alternative zum bauchfreien Top.
Die Grenzen zwischen Oberbekleidung und Unterwäsche sind fließend. „Ein ganz großer Trend ist Lingerie aus Spitze“, sagt Roth. Zu sehen ist das nicht nur in Form von Tages- oder Abendkleidern, sondern auch bei Entwürfen von Dessousmarken wie Hunkemöller, Triumph oder ThirdLove. Daneben etabliere sich zunehmend ein sportlicher Stil bei eigentlicher Unterwäsche, oft auch kombiniert mit femininer Spitze, so wie etwa beim Label Victoria’s Secret.
Stark im Kommen sind Roth zufolge auch semitransparente Stoffe und sogenannte Strapping Details. Das sind dekorative Bänder, die als Hingucker bei BHs und Slips dienen und die selbstverständlich unter der Kleidung hervorblitzen dürfen. Farblich geht es durchaus bunt zu: „Die Trendfarben für Unterwäsche diesen Winter sind Flieder, Rosttöne, Apricot, ein kräftiges Blau und ein zartes Salbeigrün“, so die Expertin.
Was die Materialien anbelangt, wird viel Wert auf Hautfreundlichkeit und Bequemlichkeit gelegt. „Gefragt sind flexible Dessous, die sich der Körperform anpassen und jede Bewegung mitmachen. Für den Frühling und Sommer sind deshalb sehr weiche, nachgiebige Materialien im Kommen, genau wie Materialien, die die Feuchtigkeit vom Körper weg transportieren und damit eine gewisse Atmungsaktivität garantieren“, erläutert Roth.
Trotz innovativer Ansätze gibt es jedoch auch einen nicht ganz so komfortablen Retrotrend: Zusammen mit der Neunzigerjahremode, die derzeit ein Comeback feiert, kommt auch der Push-up-BH wieder. „Insgesamt lässt sich aber sagen, dass sich viele Frauen gerade eher für unwattierte Modelle interessieren“, sagt die Modedozentin.
Integrierte falsche Brustwarzen
Passend dazu ist zudem die Sichtbarkeit der Brustwarzen gerade ein sehr präsentes Thema – auch wenn das mitunter etwas befremdliche Züge annimmt: Zu sehen war das im Herbst bei Kim Kardashian, deren Unterwäschelabel Skims einen Push-up-BH mit integrierten falschen Brustwarzen herausbrachte.
„Ich denke, der BH soll seinen Trägerinnen das Gefühl geben, dass die Brust noch etwas größer aussieht und eine schöne Form bekommt, dank der integrierten ‚Brustwarzen‘ aber trotzdem keiner sieht, dass sie einen BH tragen“, sagt Roth. Mit dem eigentlichen Gedanken hinter der „No Bra“-Bewegung – in Form gepresste Brüste aus der Enge der BHs zu befreien – hat Kardashians Kreation indes wenig zu tun. Dennoch erhielt ihr Modell zum Teil positive Rückmeldung aus ungeahnter Richtung: von Brustkrebspatientinnen, die sich einer Mastektomie unterziehen mussten, sowie von trans Frauen in der Transition.
Auch das Thema Nachhaltigkeit spielt in der Branche eine immer größere Rolle: So zeigte eine 2021von Modeexpertin Roth durchgeführte Analyse zu Nachhaltigkeit am Lingerie-Markt noch, dass viele Trägerinnen eher auf Transparenz hinsichtlich der Produktion und Materialien achteten als auf Umweltverträglichkeit. „Mittlerweile gibt es weitaus mehr recycelte Fasern und nachhaltig produzierte Materialien auf dem Markt, sodass Kundinnen oft gar keine große Preisdifferenz mehr sehen“, sagt Roth. Entsprechend wird es Käuferinnen leichter gemacht, ein umweltfreundliches Modell zu erwerben.
Wer selbst ein neues Teil kaufen will, kann auf verschiedene Dinge achten: „Bei den Materialien haben Hersteller etwa die Möglichkeit, eine Biobaumwolle zu verwenden oder auch Fasern wie Lyocell- oder Modalfasern, die aus auf Zellulose basiertem Regenerat hergestellt sind“, sagt Roth. „Eine weitere Möglichkeit sind ein möglichst hoher Anteil an recycelten Polyamid-, Polyester- oder Elasthanfasern.“
Peace Silk: Die Raupen werden nicht getötet
Vereinzelt setzen Hersteller auch auf Bambus, wie bei der Marke Boody zu sehen. Eine edle Variante stellt zudem sogenannte Peace Silk dar. Dabei werden die Seidenraupen, aus deren Kokon die Seide gewonnen wird, nicht getötet, sondern dürfen ausschlüpfen und als Falter weiterleben. Labels, die diese Seide bereits verwenden, sind etwa Studio Pia oder Ayten Gasson. Roth empfiehlt darüber hinaus Ware, die in Europa und nur mit europäischen Rohstoffen hergestellt wurde.
Nachhaltigkeit geht oft auch mit Qualität einher. „Hochwertige Produkte, die eine gewisse Langlebigkeit haben, bremsen vielleicht auch den ständigen Konsum“, glaubt Roth. „Wer wirklich auf Nummer sicher gehen will, sollte zertifizierte Ware zum Beispiel mit dem GOTS-Siegel oder der GRS-Zertifizierung kaufen“, rät sie.
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