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Glaube, Steine, HoffnungWer dem Esoteriktrend blind vertraut, kann viel Geld verlieren

Lesezeit 5 Minuten
Edelsteine auf einer Tierkreiszeichen-Unterlage

Aktuelle Krisen wie Krieg und Pandemie haben den Trend zur Spiritualität verstärkt

Das Geschäft mit Edelsteinen und Mineralien, die heilende Wirkung haben sollen, boomt. Belegt ist ihr Effekt jedoch nicht.

Bergkristall gegen Rückenschmerzen, Rubin bei Grippe und Citrin gegen Depressionen – Kristalle, Mineralien und Edelsteine sollen bei unterschiedlichen Gesundheitsbeschwerden helfen. Schon seit Jahren boomt der Markt für Esoterikprodukte, zu denen auch die „Heilsteine“ gehören. Schätzungen zufolge setzt die gesamte Branche in Deutschland zwischen 20 und 30 Milliarden Euro jährlich um.

Aktuelle Krisen wie Krieg und Pandemie haben den Trend zur Spiritualität verstärkt, weil sich Menschen von den mystischen Kräften Halt und Sicherheit erhoffen. Neu ist der Glaube an die Heilwirkung von Steinen aber nicht. Die Schönheit der Farben und Kristallformen von Edelsteinen und Mineralien, die unter hohem Druck im Erdinneren entstehen, hat die Menschen seit jeher fasziniert.

Ein Stein speichert keine Energie, die er auf den Menschen übertragen kann.
Bernd Harder, Sprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften

Fast überall auf der Welt finden sich deshalb auch historische Belege dafür, dass Steine zu Heilzwecken eingesetzt wurden. Davon zeugen etwa medizinische Schriften aus dem alten Ägypten, Aufzeichnungen aus dem indischen Ayurveda oder Medikamente aus zerriebenen Steinen in der römischen Heilkunde. Auch die alten Griechen schrieben Steinen eine Wirkung zu. Erkennbar wird das zum Beispiel im Namen des Steins Amethyst, der im Griechischen „dem Rausch entgegenwirkend“ bedeutet.

Auch Hildegard von Bingen beschrieb im zwölften Jahrhundert die Wirkung verschiedener Edelsteine. Von der Äbtissin stammt wohl auch die Idee, Steine wie Rosenquarz und Bergkristall ins Wasser zu legen, um es zu „energetisieren“. Solche Wassersteine sind aktuell stark im Trend. Angeblich soll das Edelsteinwasser den Körper entgiften, beruhigen und für reine Haut sorgen. Apropos Haut: Auch die Beautyindustrie hat die magische Welt der Steine für sich entdeckt. Bei der Massage mit „Gua Sha“-Steinen oder Rollern aus Rosenquarz oder Jade sollen Falten verschwinden, ebenso wie Rötungen, Schwellungen und Unreinheiten.

Einheitliches Regelwerk fehlt

Die Wirkung der Steine auf die Gesundheit erklären sich Fans mit Schwingungen und Energien, die sich von den Steinen auf den menschlichen Körper übertragen sollen. Wissenschaftliche Belege für diese Theorie gibt es allerdings nicht. Laut der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) kann eine Wirkung von Edelsteinen sogar ausgeschlossen werden.

Zwar gebe es tatsächlich Schwingungen innerhalb der Kristalle, erklärt Pressesprecher Bernd Harder: „Die Atome fester Stoffe bleiben nicht starr an einer Stelle, sondern vibrieren auf ihren Gitterplätzen.“ Das gelte allerdings auch für alle anderen Materialien, die aus Atomen bestehen, so Harder. Bei diesen Gitterschwingungen werden auch winzige Mengen von Energie freigesetzt.

Das Schwingen der Atome im Kristall entscheidet darüber, welche Lichtfrequenzen absorbiert und welche reflektiert werden – und damit über die Farbe des Edelsteins. Das Entscheidende aus Sicht von Harder: Es wird nicht mehr Energie abgegeben als aufgenommen. „Das wiederum bedeutet, dass ein Stein keine Energie speichert, die er auf den Menschen übertragen kann.“

Ein weiterer Punkt, der gegen die Wirkung unterschiedlicher Steine spreche: „Rosenquarz, Amethyst und Bergkristalle bestehen im Wesentlichen aus demselben Stoff, nämlich Siliziumdioxid“, sagt Harder. Tatsächlich fehlt ein einheitliches Regelwerk darüber, welcher Stein was bewirken soll. Stattdessen wechseln und überschneiden sich die vermeintlichen Effekte je nach Buch, Poster oder Produktpalette. Während der Amethyst laut einer Quelle Kopfschmerzen lindern soll, wird ihm an anderer Stelle zugeschrieben, das Selbstvertrauen zu stärken. Diesen Effekt sollen aber auch Jaspis, Mondstein und Aquamarin besitzen.

Placebo kann letztlich alles sein
Stefan Schmidt, Professor an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg

Während eine tatsächliche Wirkung von Steinen auf die Gesundheit also unwahrscheinlich ist, könne durchaus ein Placeboeffekt eintreten, erklärt Stefan Schmidt, Professor an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Damit sich eine psychosomatische Wirkung entfalten könne, müsse nicht zwingend eine Tablette eingenommen werden: „Placebo kann letztlich alles sein“, sagt Schmidt. „Was es braucht, ist ein Anker, an dem ich eine Erwartungshaltung aufhängen kann.“

Dabei sei das Placebo umso wirksamer, je mehr auch der Körper in das entsprechende Ritual einbezogen sei, erklärt der Psychologe – zum Beispiel, wenn ein Stein in der Hand gehalten und gedrückt werde.

Entscheidend für den Effekt sei, dass das Placebo dem eigenen Weltbild entspreche. „Wenn jemand denkt, das ist totaler Unsinn, wird er kaum eine Wirkung spüren“, sagt Schmidt. Eine felsenfeste Überzeugung brauche es aber auch nicht zwingend. Eine ambivalente Haltung nach dem Motto „es kann nicht schaden“ könne unter Umständen sogar hilfreich sein.

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Fest steht aber auch: Heilsteine können keine ärztliche Behandlung ersetzen. „Was man nicht machen sollte, ist, das eine zu tun und das andere auszuschließen“, betont Schmidt. Vielmehr könne eine Kombination aus verschiedenen Behandlungsansätzen die Genesung begünstigen. Als Placebo könne ein Edelstein die Heilung also unterstützen, sich ausschließlich darauf zu verlassen, wäre aber fahrlässig.

Dass Esoterik derzeit boomt, beobachtet auch Björn Gatzer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Im Netz tauchen fast täglich neue Shops auf, die Heilsteine und andere Produkte verkaufen“, sagt der Jurist. Dabei werde teils versucht, arglosen Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Enorme Gewinnspannen für die Händler

Zwar ist es aufgrund fehlender wissenschaftlicher Nachweise verboten, mit einer Heilwirkung von Edelsteinen zu werben. Trotzdem beobachten Verbraucherschützer immer wieder, dass Anbieter unhaltbare Gesundheitsversprechen machen. Leichtgläubigen könne die Faszination für die bunten Mineralien daher teuer zu stehen kommen, so Gatzer. Ein Beispiel: Die Kosten für eine Heilsteinmatte mit Wärmefunktion als Unterlage fürs Bett oder den Massagetisch liegen bei 1800 Euro.

Die Verkäufer erzielten damit enorme Gewinnspannen, erklärt Gatzer. „Die Matten werden meist in China produziert und zu einem Bruchteil des Preises verkauft.“ Wer Pech habe, erhalte für den stattlichen Preis nicht einmal echte Edelsteine, sondern billige Fälschungen. „Dann ist man doppelt reingelegt worden“, folgert der Experte.

Edelsteinfans rät Gatzer deshalb, Kaufentscheidungen gut zu überdenken. „Ich kann es niemandem ausreden, wenn er daran glauben möchte, dass bestimmte Steine eine Wirkung haben“, sagt der Verbraucherschützer. Dennoch müsse zwischen Kosten und vermeintlichem Nutzen abgewogen werden: „Man sollte sich genau überlegen, ob man möglicherweise die eigene Gesundheit riskiert oder stattdessen ärztlichen Rat einholt.“


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.