Immer wieder lösen Umbauprojekte auf innerstädtischen Straßen Proteste aus. Verkehrsversuche scheitern häufig schon kurz nach dem Start. Was nötig ist, damit der Umschwung gelingt.
KlimaschutzKann Deutschland überhaupt Verkehrswende?
Die Friedrichstraße in Berlin ist eine Verkehrsachse mit langer Geschichte: Ende des 17. Jahrhunderts wurde sie angelegt, bei der Märzrevolution 1848 war sie Schauplatz von Barrikadenkämpfen, zu DDR-Zeiten wurde sie geteilt, und 1997 sprintete Franka Potente mehrfach durch sie hindurch, für den Film „Lola rennt“.
Dieser Tage ist die Friedrichstraße vor allem für eines bekannt: Sie steht symbolisch für einen ziemlich holprigen und schließlich gescheiterten Versuch, das Auto aus der Innenstadt zu verdrängen. Gleich viermal innerhalb von drei Jahren hat sich die Verkehrsführung der Einkaufsstraße geändert. Zunächst im Rahmen eines Verkehrsversuchs der Grünen, der von Anfang an auf Kritik stieß. Dann versuchte es die Senatorin für Umwelt und Mobilität, Bettina Jarasch, mit einer Verfügung. Schließlich ließ die neu gewählte CDU die Straße wieder für den Autoverkehr öffnen. Der Fall sorgte auch außerhalb Berlins für Diskussionen.
Das ist kein Einzelfall. Die Liste gescheiterter Bemühungen, den Autoverkehr in Innenstädten zu reduzieren, ist in Deutschland erstaunlich lang. Eine lose Auswahl:
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Im Frühjahr 2023 richtet die Stadt Bochum provisorisch einen Pop-up-Radweg ein. Nur einen Monat später wird er wieder abgebaut, lange vor dem geplanten Ende des Verkehrsversuchs. Die neue Verkehrsführung führte zu brenzligen Situationen für Rettungskräfte.
In Aschaffenburg gilt der Versuch einer Umweltstraße ohne Autos als gescheitert, weil Autofahrer trotzdem durch die Straße fahren. Die Polizei hat keine Zeit zu kontrollieren.
Die Stadt Halle in Westfalen entfernt Parkplätze und richtet eine Tempo-30-Zone ein. Der Versuch sorgt für Empörung im Ort und wird zwei Wochen später vom Bürgermeister abgebrochen – unter anderem wegen Sicherheitsbedenken.
Köln: Verkehrsversuch auf der Venloer Straße geht nach hinten los
In Köln geht der Verkehrsversuch einer Tempo-20-Zone auf der Venloer Straße nach hinten los. Neue Markierungen für Radfahrer und Rechts-vor-links-Regeln sorgen für Chaos und gefährliche Situationen.
Die Stadt Bielefeld sperrt ihre Innenstadt für den Autoverkehr. Das sorgt für riesigen Protest unter Gewerbetreibenden, sie sprechen von Umsatzeinbußen bis zu 30 Prozent. Der Versuch wird planmäßig zu Ende geführt, dann werden die Straßen für Autos wieder freigegeben.
Diese Liste ließe sich fortführen. Häufig stoßen Verkehrsversuche auf massiven Protest der Bevölkerung, in vielen Fällen kommt es zum Streit. Projekte im Ausland scheinen da – zumindest von außen betrachtet – deutlich ruckelfreier über die Bühne zu gehen. Ljubljana in Slowenien schmiss die Autos schon 2007 aus der Innenstadt.
Gent in Belgien gilt heute als Vorbild für die Verkehrswende, obwohl es auch dort zunächst Proteste gab. Die Pariser Innenstadt soll langfristig autofrei werden. Und in Berlin, Bochum und Halle (Westfalen)? Da zofft man sich über ein paar Meter Radweg.
All das wirft die Frage auf, ob Deutschland so etwas wie eine Verkehrswende überhaupt zustande bringen wird und ob die Bevölkerung da mitziehen wird. Deutschland hinkt in vielen Bereichen der Infrastruktur hinterher. Das sieht man am maroden Zustand der Deutschen Bahn und des Internetausbaus. Gleichzeitig spielt die Autoindustrie eine große Rolle für den Wohlstand des Landes. Deutschland ist zudem das einzige EU-Land, in dem es kein generelles Tempolimit auf Autobahnen gibt. Versuche, dieses einzuführen, sorgen seit Jahrzehnten für Diskussionen und wurden stets im Keim erstickt.
Kann es der Verkehrswende in der Innenstadt ähnlich ergehen?
„Das Thema ist nicht so kontrovers, wie es häufig diskutiert wird“, meint der Verkehrsforscher Andreas Knie. Ein Großteil der Bevölkerung habe längst begriffen, „dass es so nicht weitergehen kann. Wir haben in den Innenstädten heute viel zu viele Autos – und davon sind selbst die Autofahrer genervt, wenn sie mal wieder im Stau stehen.“
Dass eine Veränderung langfristig auch auf die deutschen Innenstädte zukommen wird, daran hat Knie keinen Zweifel. Es liege nicht an der Zustimmung in der Bevölkerung – diese ist laut Knie längst da. Vielmehr liege es an der Planung. Viele der Verkehrsversuche seien schlichtweg „zu kleinteilig“, sagt er – und damit zum Scheitern verurteilt. „15 Meter Fahrradweg hier, ein paar Parkplätze weg – das wird dann im Alltag ganz schnell von Gegnern zerrieben.“ Kein Wunder: Verkehrsroutinen würden unterbrochen und es rege sich Widerstand. Was es brauche, seien ganzheitliche Konzepte.
Wie ein solches aussehen kann, lässt sich mancherorts beobachten. Der Hamburger Jungfernstieg etwa wird nach einer provisorischen Sperrung für Autos Anfang 2024 endgültig umgebaut – hier war das Projekt trotz anfänglicher Kritik erfolgreich. Auch Hannover ist laut Verkehrsforscher Knie auf einem guten Weg, wenngleich auch hier die Umbaupläne auf Kritik stoßen.
Auch im nordrhein-westfälischen Wuppertal ließ sich kürzlich ein erfolgreiches Projekt beobachten. In gleich mehreren Vierteln der Stadt wurden sogenannte Mobilstationen eingerichtet. Das ist eine Art Knotenpunkt, an dem Menschen zwischen ÖPNV, Leihrädern, E-Scootern oder anderen Sharing-Angeboten wählen können. Was bei einer solchen Station wegfällt: jede Menge Parkplätze für Autos.
Der Mobilitätsforscher Oscar Reutter war am Projekt im Stadtteil Elberfeld beteiligt. „Wir haben von Anfang an auf eine große Koalition aus ganz unterschiedlichen Bereichen gesetzt“, sagt er. Mit im Boot gewesen seien neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch die Landesregierung mit ihrem Verkehrsministerium, die Stadtverwaltung und vor allem: die Zivilgesellschaft. In einem Viertel habe man eng mit einer Gruppe zusammengearbeitet, die sich seit Jahren für den Stadtteil engagiert.
Umgestaltung: Anwohner einbeziehen
„Viele Anwohnerinnen und Anwohner haben über den starken Autoverkehr geklagt“, sagt Reutter. „Es war gefährlich, die Straßen waren ständig zugeparkt. Viele waren sich einig: Es muss was getan werden.“ Also habe man Pläne erarbeitet, und die eigenen Bürgerinnen und Bürger hätten schließlich dafür im Viertel geworben. So habe es etwa Stadtspaziergänge gegeben und Bürgerveranstaltungen. „Dadurch ist eine gewisse Grundstimmung für die Projektidee entstanden“, so der Forscher. „Nur deshalb haben wir sie schließlich realisieren können.“
Umgesetzt wurde das Verkehrsprojekt in einer Rekordzeit von nur 15 Monaten. Und das nicht als Verkehrsversuch, sondern als dauerhafte Maßnahme.
Der Rückhalt in der Bevölkerung ist laut Reutter einer der wichtigsten Faktoren, um so ein Projekt realisieren zu können. Daher sei gute Kommunikation wichtig. „Wenn die Leute morgens aufwachen und plötzlich ist die Straße gesperrt, dann ist der Ärger programmiert“, sagt der Experte. „Wenn Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung allerdings an einem Strang ziehen, dann ist die Lage ganz anders. Dann hat man die Bevölkerung nicht als Gegner, sondern als Bündnispartner.“ Beim Wuppertaler Projekt habe es durchaus kritische Stimmen gegeben. „Aber es gab genauso auch zusätzlich Kräfte, die das Projekt erklären konnten und den Leuten klarmachten, dass die Welt davon nicht untergeht. Das ist eine Kommunikation auf Augenhöhe und nicht von oben herab.“
Reutters Berliner Kollege Andreas Knie wünscht sich für die Zukunft vor allem eine Änderung der Gesetzeslage. Derzeit sei eine konkrete Gefahrenlage notwendig, um etwas an einer Straße zu ändern, erklärt er. Präventive Änderungen seien nicht möglich. „Platt gesagt kann die Verkehrspolitik nur dann handeln, wenn es schon Tote gegeben hat“, kritisiert Knie.
Klimaschutz Teil des Straßenverkehrskonzepts
Die Politik hat den Stein für eine Änderung inzwischen ins Rollen gebracht. In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, FDP und Grüne Ende 2021 vereinbart, dass im Straßenverkehrsgesetz künftig neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs auch die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden sollten.
Diese Vorgabe will Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun umsetzen. Knie sieht die geplante Änderung als „Gamechanger“ für die Verkehrswende, wie er sagt. Dann sei „viel mehr möglich“.
Zudem plädiert der Experte für eine realistische Planung. „Wir sind hier nicht in Bullerbü“, sagt er. Auch bei zukünftigen Verkehrskonzepten spiele das Auto weiter eine Rolle, sei aber nicht mehr Maß aller Dinge. „Wir haben einen Lieferverkehr, der passieren muss, wir haben Menschen mit Schwerstbehinderung, wir brauchen Rettungswege. Die Zugänglichkeit fürs Auto ist weiterhin notwendig“, sagt der Verkehrsforscher. „Es ist keine gute Idee, ganze Stadtviertel abzuschotten.“
Es müsste aber neue Spielregeln geben: „Wer mit dem Auto in diese Zonen fahren will, muss Schrittgeschwindigkeit fahren. Und er darf sein Auto dann dort nicht abstellen.“ Stattdessen müsse das Fahrzeug künftig in einem Parkhaus, einer Tiefgarage oder auf einem Parkplatz abgestellt werden, für dessen Kosten der Autohalter selbst aufkommen müsse. Von dort aus könne er zu Fuß, mit Fahrrad, Scooter oder dem ÖPNV vor seine Haustür fahren.
Wenn all dies beachtet werde, dann könne es klappen mit der Verkehrswende. Selbst im Autoland Deutschland. (RND)
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