Wenig Fett und Kohlenhydrate, dennoch schmackhaft – und deshalb ideal zum Abnehmen. So lautet das Versprechen im Zusammenhang mit Geschmackspulver, das derzeit vor allem in den sozialen Medien angepriesen wird. Was steckt dahinter?
Kraft in der Prise?Geschmackspulver zum Abnehmen im Faktencheck
Kohlsuppe, Intervallfasten und Low Carb: Die Ratgeberbranche wartet mit immer neuen „Geheimtipps“ für die Diäten auf, die in kürzester Zeit zur Traumfigur verhelfen sollen. Der jüngste Trend heißt nun Geschmackspulver – und ist „erna¨hrungstechnisch das Schlimmste“, das Matthias Riedl, Mediziner und ärztlicher Leiter des Medicum Hamburg, in den vergangenen Jahren untergekommen ist.
Mehr als die Hälfte der Deutschen (53,5 Prozent) gilt als übergewichtig, heißt es beim Robert Koch-Institut. Betroffen seien 46,6 Prozent der Frauen und 60,5 Prozent der Männer. Viele dieser Menschen befinden sich in einer immerwährenden Schleife von Zu- und Abnehmen. „Durch solche Pulver wird die Zahl der übergewichtigen Menschen noch steigen“, ist sich Riedl sicher. Aber was genau steckt da drin?
Sogenannte Geschmackspulver (oder Aromapulver) sollen beim Abnehmen helfen, weil sie wenig Fett und Kohlenhydrate enthalten. Das Pulver wird anstelle von Süßungsmitteln in proteinhaltige Lebensmittel wie Quark oder Naturjoghurt eingerührt und soll diesen eher faden Sattmachern Geschmack verleihen. Antje Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hält den Hype um proteinreiche Lebensmittel ohnehin für überbewertet: „Erwachsene Breitensportlerinnen und Breitensportler benötigen keine erhöhte Proteinzufuhr“, sagt sie. Schon gar nicht mit Geschmackspulver.
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Den Nutzen der Geschmackspulver zweifelt auch Professor Johannes Georg Wechsler, Präsident des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner, an. Denn eines haben alle auf dem deutschen Markt erhältlichen Produkte aus diesem Bereich gemeinsam: Sie enthalten Süßstoffe. Und auch wenn gerne mit dem Gegenteil geworben werde: „Süßstoffe helfen nicht bei der Gewichtsreduktion“, betont Wechsler. Das Problem sei, dass Süßstoffe durch ihren Süßeffekt ein Kompensationsgeschäft sind. Wenn wir viel süß essen, schmeckt uns Süßes immer besser – so entsteht eine gewisse Abhängigkeit von der Süßempfindung fürs Gehirn. Aus diesem Grund empfiehlt die DGE den Verzehr von Süßstoffen in Maßen und nicht in großen Mengen „etwa über Getränke“, sagt Gahl.
Süßstoffe würden Wechsler zufolge in der Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gar nicht mehr zur Gewichtsreduktion empfohlen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihre Leitlinie ebenfalls erst kürzlich geändert und rät ausdrücklich von der Verwendung zuckerfreier Süßstoffe zur Gewichtskontrolle ab.
Neben Süßstoffen enthalten Geschmackspulver weitere Inhaltsstoffe, die Mediziner Riedl zufolge „reine Chemie“ seien. „Unsere Lebensmittelverordnung gibt vor, was Lebensmittel enthalten dürfen – auch Geschmackspulver halten sich natürlich an diese vorgegebenen Verordnungen“, erklärt Wechsler. Das heiße aber nicht automatisch, dass die Pulver gesund seien. „Die Pulver enthalten einen Mix aus künstlichen Süßstoffen und anderen künstlichen Substanzen – daher spricht medizinisch und wissenschaftlich nichts für deren Einsatz“, sagt Wechsler. Doch dass sie Vorteile haben, ist bislang nicht belegt.
Fans schwärmen vom intensiven Geschmack
Die in den Geschmackspulvern enthaltenen Süßungsmittel sollen Zucker ersetzen. Zucker sorge Wechsler zufolge dafür, dass im Gehirn Serotonin freigesetzt wird. „Was Süßstoffe im Gehirn freisetzen, wissen wir bislang nicht“, erklärt er. „Süßstoffe unterliegen einer Höchstmengenverordnung, und es ist erwiesen, dass ein Überschreiten der empfohlenen Höchstmenge krebserregend wirken kann“, sagt Wechsler. Das Problem: Die empfohlenen Mengen seien meist sehr schnell überschritten und daher könne der Verzehr grundsätzlich gefährlich sein. Vor dem Verzehr von Lebensmitteln, die Süßstoffe enthalten, sollten sich Verbraucherinnen und Verbraucher daher über die empfohlene Höchstmenge informieren. Etwa auf der Website der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (efsa).
Fans von Geschmackspulvern schwärmen vor allem vom intensiven Geschmack, der Quark und Joghurt verliehen wird. Er wird durch Aromen hergestellt. In Lebensmitteln dürfen zwar nur zugelassene Aromastoffe verwendet werden. Aber: „Aromen sind so schlecht untersucht, dass in den letzten Jahren immer wieder welche zurückgerufen wurden, weil sie Krebs auslösen können“, kritisiert Riedl. Die Aromen werden demnach nur in Tierversuchen und nicht ausreichend am Menschen getestet, bevor sie in den Handel kommen.
Auch das Magazin „Ökotest“ bemängelt, dass in Lebensmitteln mithilfe von Aromastoffen eine Qualität vorgetäuscht werde, die so nicht vorhanden ist, und dass ein Gesundheitsrisiko immer auch für Allergikerinnen und Allergiker besteht. „Wir wissen mittlerweile, dass Aromen mit der Darmflora interagieren“, erklärt Riedl. Das könne nicht nur fördernd für viele Krankheiten wirken – die Aromen könnten auch die Darmflora schädigen. „Das kann die Entwicklung von Diabetes und Fettlebern fördern und im schlimmsten Fall sogar Krebs verursachen“, sagt Riedl.
„Vollwertig essen und trinken hält gesund, fördert Leistung und Wohlbefinden“, heißt es bei der DGE. Das erreiche man etwa durch Lebensmittelvielfalt, Obst und Gemüse oder Vollkornprodukte. Der Hamburger Mediziner Riedl erklärt, dass es zum Abnehmen keine hoch verarbeiteten Lebensmittel wie Geschmackspulver braucht, und empfiehlt stattdessen einen selbst gemachten Shake. Dazu nehme man einen oder zwei Esslöffel Mandel- oder Cashewmus, eine Frucht seiner Wahl – am besten aber zuckerarme Früchte –, Haferflocken, je nach Geschmack Vanille oder Zimt und Milch oder einen Pflanzendrink. Das Ganze ordentlich durchmixen. „Dieser Shake ist lecker und enthält auch noch alle wichtigen Vitamine, Minerale, Spurenelemente, pflanzliches Eiweiß und gesunde Fette“, sagt Riedl. „Mit dem kann man problemlos eine Mahlzeit ersetzen.“
Grundsätzlich lohnt es sich, sich genauer damit zu beschäftigen, was ein Lebensmittel wirklich enthält. „Heute lässt sich der Konsum von Geschmacksverstärkern und Süßstoffen kaum noch vermeiden – aber man sollte sie nicht bewusst verzehren und sich vor allem keinen Vorteil davon versprechen“, sagt Wechsler.
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