Nach fast 35 Jahren im All kämpft „Hubble“ erneut mit Technikproblemen. Wie groß seine Überlebenschancen sind und warum das Teleskop eigentlich unersetzbar ist, erklärt Jennifer Wiseman.
Nasa-ForscherinDas Hubble-Teleskop wäre ein schrecklicher Verlust für die Wissenschaft
Frau Wiseman, welche technischen Probleme gibt es zurzeit?
Jennifer Wiseman: Wir haben sechs Gyroskope an Bord von „Hubble“, mit denen die Ausrichtung des Teleskops gesteuert wird. Von denen funktionieren nur noch drei. Und eines dieser drei Gyroskope hat zuletzt nicht so gearbeitet, wie es sollte. Also haben wir beschlossen, es abzuschalten. Das hat zwar zur Folge, dass wir uns nicht mehr so effizient am Himmel bewegen können, aber es sorgt für mehr Stabilität.
Das heißt, „Hubble“ kann trotz alldem weiter durchs All fliegen und muss nicht abgeschaltet werden?
Nein, im Gegenteil. „Hubble“ ist noch immer sehr leistungsfähig. Wir sind heute sogar wissenschaftlich produktiver als je zuvor, obwohl die Mission 34 Jahre alt ist. Das liegt daran, dass wir im Laufe der Jahre eine Reihe von Astronauten-Wartungsmissionen hatten, und jedes Mal, wenn die Astronauten zu „Hubble“ flogen, reparierten sie Geräte oder setzten neue, verbesserte Instrumente ein. Aber natürlich: Dadurch, dass das Teleskop älter wird, haben wir gelegentlich technische Probleme. Dennoch gehen wir davon aus, dass es noch viele Jahre lang, hoffentlich bis in die 2030er-Jahre hinein, wissenschaftlich produktiv sein wird.
Welche Folgen hat es, dass das Teleskop mit noch einem Gyroskop weniger auskommen muss?
In gewisser Weise ist das eine gute Nachricht. Mit dem defekten Gyroskop kam es immer wieder vor, dass „Hubble“ automatisch in den Sicherheitsmodus gewechselt ist. Der schützt das Teleskop davor, dass es versehentlich auf die Sonne oder etwas anderes gerichtet wird, das ihm schaden würde. Ohne diese Störung lassen sich Beobachtungen wieder besser planen – obwohl es Projekte gibt, die schwieriger umzusetzen sind.
Nämlich?
Es wird schwieriger sein, Kometen und Asteroiden zu beobachten, die sehr schnell und nah an der Erde vorbeiziehen. Aber für solche Beobachtungen wird „Hubble“ grundsätzlich selten genutzt. Die meisten Beobachtungen betreffen das äußere Sonnensystem und Dinge jenseits des Gas und Staubs zwischen den Sternen und Galaxien. Schwieriger wird es auch sein, schnell einen Punkt am Himmel zu fixieren, wegen eines Ereignisses wie etwa einer Supernova-Explosion.
Könnten die Gyroskope nicht von Astronautinnen und Astronauten repariert werden?
Wir haben im Moment keine Möglichkeit, Astronauten zum Teleskop zu schicken. Das wurde mit einem Spaceshuttle gemacht, aber das Spaceshuttle-Programm wurde eingestellt. Aktuell sehe ich auch keine Notwendigkeit dafür, weil „Hubble“ weiterbetrieben werden kann, ohne dass die Gyroskope repariert werden. Dafür haben wir talentierte, technische Experten auf der Erde, die Probleme durch Befehle vom Boden beheben.
Hätten Sie gedacht, dass „Hubble“ fast 35 Jahre lang unser Auge im Universum sein würde?
Als „Hubble“ gestartet ist, waren wir uns nicht sicher, wie lange die Mission überdauern würde. Sie war so konzipiert, dass sie mit dem Spaceshuttle gewartet werden musste. Das hieß, dass das Teleskop so lange aktiv sein würde, wie es die Menschen wollten.
Welche Entdeckung von „Hubble“ hat Sie am meisten überrascht?
Das waren „Hubbles“ Deep-Field-Beobachtungen. Sie waren die ersten Aufnahmen, die den Reichtum des Universums enthüllten. Sie zeigten Tausende von kleinen Lichtpunkten. Das waren alles Galaxien. Und jede Galaxie enthält Hunderte von Milliarden von Sternen.
Was macht diese Entdeckung so besonders?
Ich denke, diese Aufnahmen sind wissenschaftlich tiefgreifend, weil sie uns zeigen, dass sich Galaxien im Laufe der Zeit verändert haben. „Hubble“ war das erste Teleskop, das gezeigt hat, dass Galaxien häufig mit anderen Galaxien verschmelzen – so auch wahrscheinlich unsere Milchstraße. Die wissenschaftliche Betrachtung dieses Vorgangs hat uns geholfen, zu verstehen, wie sich das Universum im Laufe von Milliarden von Jahren verändert hat.
Was könnte „Hubble“ in Zukunft noch entdecken?
Ich glaube, „Hubble“ wird für drei Bereiche wichtig bleiben. Erstens: Wir werden weiterhin herausfinden, dass unser Sonnensystem dynamisch ist, dass wir eine erstaunliche Anzahl von Planeten und ihren Monden sowie Kometen, Asteroiden und andere Phänomene in unserem eigenen Sonnensystem haben. Der zweite Bereich ist die Beobachtung von Planeten um andere Sterne, sogenannten Exoplaneten – und drittens die Erforschung der Galaxienentwicklung. Mit dem James-Webb-Weltraumteleskop, „Hubbles“ Nachfolger, können wir einige der am weitesten entfernten frühen Galaxien sehen, aber nicht viele Details. „Hubble“ kann Galaxien sehen, die näher an der Erde sind, aber viel detaillierter und im ultravioletten Licht, das uns zeigt, wie die Sternentstehung dort abläuft.
Könnte das nicht in Zukunft das James-Webb-Teleskop übernehmen? Wozu noch das alte „Hubble“ nutzen?
Weil „Hubble“ einzigartig ist. Es ist das einzige Teleskop, das sichtbares Licht über größere Sichtfelder mit hoher Detailgenauigkeit beobachten kann, so wie ultraviolettes Licht. „Hubble“ ist ein Flaggschiff-Observatorium. Das einzige Teleskop, das „Hubble“ übertreffen könnte, ist das „Habitable Worlds Observatory“, an dem die Nasa arbeitet. Es wäre so was wie das „Super-Hubble“. Doch das wird wohl erst in einigen Jahren an den Start gehen.
Zur Person
Jennifer Wiseman ist Astrophysikerin am Goddard Space Flight Center der Weltraumbehörde Nasa in Greenbelt im US-Bundesstaat Maryland, wo sie als leitende Projektwissenschaftlerin für das Hubble-Weltraumteleskop tätig ist. Sie hat die Aufgabe, sicherzustellen, dass das Teleskop wissenschaftlich so produktiv ist wie möglich. Ihre Forschung konzentriert sich vor allem auf Sternentstehungsgebiete in unserer Galaxie.
Was würde es bedeuten, wenn „Hubble“ abgeschaltet würde?
Es wäre ein schrecklicher Verlust für die Wissenschaft. Das starke Interesse von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt an der Nutzung von „Hubble“ hat sich nicht geändert. Unsere größte Herausforderung ist die Finanzierung, um die Mission und das technische Team vor Ort sowie die wissenschaftliche Analyse der Ergebnisse zu unterstützen.
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