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Mehr Straftaten in NetzwerkenWie rechtsextreme Influencer über Tiktok Kinder und Jugendliche ködern

Lesezeit 7 Minuten
Das Logo der Social-Media-Platform TikTok

Rechte Milieus nutzen häufig soziale Netzwerke wie TikTok. Um Filtern, Moderation und Strafverfolgung zu entgehen, spielen Codes und Emojis eine große Rolle zur Verschleierung von Inhalten.

Wissen Sie, was Ihr Kind auf Tiktok sieht? Rechte Influencer haben im Netzwerk großen Zulauf – und tarnen ihre Absichten.

„Wisst ihr, was das Geheimnis ist, warum ich so gut aussehe?“, fragt der durchtrainierte Mann in die Kamera, „Chicken Nuggets und Milchshake von Netto.“ Dann endet das Sieben-Sekunden-Video auf Tiktok auch schon wieder. Alles wirkt normal, wie ein kleiner Witz eines beliebigen Fitness-Influencers für seine Community. Der Mann ist offenbar gut in Form, die Haare kurz, das Shirt straff über dem angespannten Bizeps.

Erst auf den zweiten Blick fällt auf, was da eigentlich spannt: Auf seinem Shirt steht „Europa Erwache“, der Kampfspruch einer rechtsextremistischen Kampagne aus der Neonazi-Szene. Und der Durchtrainierte ist auch kein beliebiger Influencer, sondern Steven Feldmann*, mehrfach vorbestrafter Neonazi-Kopf aus Dortmund.

Feldmann ist fast schon ein Popstar im großen Stroms der Neuen Rechten, die verstärkt seit Jahren auch auf soziale Medien setzt, um vor allem Kinder und Jugendliche für ihre Ideologie zu fangen. Die Gefahren hat auch der NRW-Verfassungsschutz sichtbar gemacht, der am Dienstag (12. Dezember) bekannt gab, dass die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative nun als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet wird.

Offen rechtsextrem sind aber die wenigsten Beiträge bei Tiktok: „Die Inhalte sind häufig stark verschleiert, die rechtsextreme Ideologie wird wie über ein trojanisches Pferd in die Timelines eingeschleust“, sagt Lara Franke. Die Journalistin und Medienpädagogin publiziert zu Rechtsextremismus auf Tiktok und hat kürzlich auch für die Bundeszentrale für politische Bildung vor Gefahren gewarnt.

Rechtsextremismus auf Tiktok: Viele unterschiedliche Accounts mit gleichen Zielen

Genau wie im analogen Leben gibt es auch auf Tiktok nicht die eine typisch rechte Gruppe. Stattdessen gibt es Bubbles, die zwar alle rechts zuzuordnen sind, dies aber ganz unterschiedlich ausdrücken. Forscherin Franke sagt: „Es gibt mehrere typische Milieus, die ideologisch Schnittpunkte finden, sich in ihrem Stil aber sehr unterscheiden.“ Ein Überblick zu rechtsextremen Szenen auf Tiktok:

  1. Die Influencerinnen und Influencer: Häufig junge Personen, die sich bestens auf Tiktok auskennen und auch jeden Trend und Challenge für ihre Zwecke aufgreifen. „Sehr geringe Einstiegshürde, nur sehr schwer von anderem Content zu unterscheiden. Beispielsweise Lipsync wird dann statt Pop mit Rechtsrock gemacht“, sagt Expertin Franke.
  2. Die Heimatverbundenen: Adler, Eichen, Alpen – Breiter, naturverbundener Patriotismus und ausgeprägter Konservatismus im Stile: „Früher war alles besser.“ Typische Hashtags sind #Patriot oder #Tradition.
  3. Die Kampfsportler: Fast ausschließlich männliches Milieu, das sich durch körperliche Fitness und die Vorbereitung zum Kampf auszeichnet – zur Not auch gegen politische Gegner. Starker Zusammenhalt in der Szene, propagieren Männlichkeit, Ehre und Stärke.
  4. Die „Trad Wives“: Begriff aus Tradition und englischem Wives (Ehefrauen) zusammengesetzt. Fast ausschließlich weibliches Milieu, das für klassische Rollenbilder wirbt. Häufiger Tenor: Eine deutsche Frau braucht einen deutschen Mann. Aber auch: Schmink-Trends, Haushaltstipps und Party-Outfits.
  5. Die Kriegsverherrlicher: Szenen aus Videospielen, Filmen oder Militär-Werbevideos werden entlehnt und mit neuer Musik und entsprechenden Texten veröffentlicht, Waffengewalt und völkische Kameradschaft im Vordergrund.
  6. Die Welterklärer: „Horror-Steuer“, „Gier-Staat“, „Asylanten-Flut“ – Milieu gibt sich seriös und nimmt Bezug zu aktueller Politik, verklärt aber Fakten und nutzt rechte Kampfbegriffe, um Angst, Neid oder Wut zu schüren. Enge Überschneidungen auch zu Parlamentarier-Accounts etwa der AfD oder Dritter Weg
  7. Die Parlamentarier und ihre Fans: Neben offiziellen Accounts von AfD-Politikerinnen und Politikern gibt es eine große Zahl an Unterstützerinnen und Unterstützern. „Um Alice Weidel gibt es beispielsweise einen regelrechten Fan-Kult“, so Expertin Franke. Milieu zeichnet sich durch hohe Aktivität aus, um Sichtbarkeit von rechten Beiträgen zu erhöhen

Was alle die Gruppen und Accounts eint: Offen rechtsextremistische Beiträge sind kaum zu finden. Auch, weil diese direkt von Tiktok gelöscht und Konten gesperrt werden. Stattdessen setzen Rechte und Rechtsextreme auf Verschleierung und Normalisierung ihrer extremistischen Position. „Hinzu kommt, dass in einer jungen Zielgruppe die Sinne für rechtsextremistische Inhalte noch nicht so scharf sind“, sagt Medienpädagogin Franke.

Shadowbans und KI-Hilfe: Wie Tiktok rechtsextreme Beiträge einschränkt

Viele Likes, viele Kommentare: die rechten Milieus zeichnen sich durch hohe Aktivität aus. Ständig wird geherzt, geteilt, weiterverbreitet. Auch weil die Szene erkannt hatte, dass Tiktok ein unbestelltes Feld war. Zwar buhlen auch die demokratischen Parteien um Reichweite, doch die höchsten Klickzahlen erreichen regelmäßig Videoschnipsel von AfD-Reden. Und das, obwohl die Social-Media-Plattform Anfang Mai 2022 das Konto den offiziellen Kanal der AfD gesperrt hatte. Beatrix von Storch nannte die Sperre einen Versuch, die AfD „mundtot“ zu machen.

Journalistin und Medienpädagogin Lara Franke bei einem Vortrag. Sie forscht zu Rechtsextremismus in sozialen Netzwerken, mit besonderem Fokus auf TikTok.

Journalistin und Medienpädagogin Lara Franke bei einem Vortrag. Sie forscht zu Rechtsextremismus in sozialen Netzwerken, mit besonderem Fokus auf TikTok.

Sperren sind eins der wichtigsten Werkzeuge für Tiktok, um gefährliche Inhalte zu bekämpfen. Auch Steven Feldmann, der rechtsextreme Chicken-Nugget-Liebhaber, wurde mehrfach gesperrt oder in der Sichtbarkeit eingeschränkt. Nach eigenen Angaben arbeiten 40.000 Menschen weltweit daran, Tiktok sicherer zu machen, heißt es in einer Antwort des sozialen Netzwerks auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Ein sicheres und positives Umfeld zu schaffen, sei „höchste Priorität“.

Tiktok setzt auf Moderation, Sicherheit und KI-Hilfe bei Hassrede – Lob von Landesmedienanstalt

Dafür setzt Tiktok auf einen Mix aus menschlicher Kontrolle, etwa Moderation von Beiträgen, und technischer Hilfe, die Kommentare nach Schlagworten und Formulierungen durchkämmt. Tiktok gibt an, dass der Großteil der hasserfüllten Beiträge herausgefiltert werde, bevor sie jemals veröffentlicht werden: „89,9 Prozent der Inhalte, die wegen eines Verstoßes gegen unsere Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltes Verhalten entfernt wurden, erfolgten proaktiv (ohne Nutzer*innenmeldungen); 76,8 Prozent wurden entfernt, bevor der Inhalt aufgerufen wurde; und 87,4 Prozent wurden innerhalb von 24 Stunden entfernt“, heißt es in der Erklärung zum jüngsten Bericht für das Quartal 2023.

Absolute Zahlen zu gelöschten Beiträgen veröffentlichte das Unternehmen allerdings nicht.

Für die Kontrolle stellt die Landesanstalt für Medien (LFM) NRW Tiktok ein gutes Zeugnis aus: „Den Beobachtungen der LFM NRW zufolge ist die Plattform TikTok, was extrem gewalthaltige und volksverhetzende oder Holocaust-leugnende Inhalte angeht, sehr aufmerksam und blockiert sehr viel und schnell“, heißt es in einer Einschätzung.

LKA in NRW verzeichnet mehr rechts-motivierte Straftaten in sozialen Netzwerken

Obwohl Tiktok stark filtert und blockiert, steigen insgesamt in sozialen Netzwerken die Straftaten. Die Statistik des Landeskriminalamts (LKA) NRW, die sich auf alle Plattformen bezieht, verzeichnet einen Anstieg der Delikte: Im Jahr 2022 wurden 192 und im Jahr 2023 bislang 268 politisch motivierte Straftaten der Hasskriminalität in sozialen Netzwerken in NRW bekannt. Den Großteil machen Delikte der Volksverhetzung und Beleidigungen aus.

Seit 2015 kämpft das LKA in NRW mit einem eigenen Projekt gegen „rechte Internethetze“ und hat zur Strafverfolgung auch das Cyber-Recherche- und Fahndungszentrum eingerichtet. „Es ist eine zunehmende Verrohung der Kommunikation wahrzunehmen, die sich unter anderem auch direkt an gesellschaftliche und politisch engagierte Personen richtet“, schätzt das LKA ein, weswegen Beiträge häufiger auch verfolgt werden statt nur gelöscht. Die Polizei arbeitet dafür mit zahlreichen weiteren Projekten und zusätzlichen Dienststellen zusammen. Das LKA macht klar: „Wer hetzt, macht sich strafbar, auch im Netz.“

„Dogwhistles“ unter Rechten: Gleichgesinnte identifizieren sich mit Codes und Emojis

Wenn aber Tiktok stark filtert und die Polizei Beiträge verfolgt, wie macht sich dann immer wieder rechtsextremes Gedankengut breit? „Vor allem verschlüsselt“, erklärt Medienpädagogin Lara Franke. Dafür benutzen rechte Milieus sogenannte „Dogwhistles“ (dt. Hundepfeifen). Damit sind Zeichen und Codes gemeint, die nur Eingeweihte erkennen – wie der Hund, der den schrillen Ton der Pfeife hören kann, der Mensch aber nicht.

Und dabei werden viele Nutzerinnen und Nutzer kreativ: Von bekannteren, typischen Nazi-Codes wie „88“ (für 8. Buchstaben des Alphabets H, doppelt für „Heil Hitler“) über Bilder mit viel Schwarz-Weiß-Rot für die Reichskriegsflagge bis hin zu den verschlüsselten Emojis: Ein Schild-Symbol für die „Verteidigung Europas“, blaue Herzchen-Emojis für die AfD, ein Emoji-Männchen, das den rechten Arm hebt und Kiwi-Emojis, die für Transphobie stehen sollen, da Kiwis nur zwei Geschlechter haben – es gibt Hunderte Erkennungszeichen, um den Filtern und der Strafverfolgung zu entgehen.

Rechte Radikalisierung: Tiktok als Sprungbrett zu Telegram, Discord und Co.

„Es geht um Zugehörigkeit“, sagt Medienpädagogin Franke zu den „Dogwhistles“. Die Nutzerinnen und Nutzer zeigen ihr Insidertum, Zusammenhalt in der Gruppe und sie wollen sich darstellen als Masse. „Es geht darum, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Vor allem mit Beiträgen, die erst einmal gar nicht als rechte Ideologe zu erkennen sind. Es geht um Normalisierung“, so Franke. Entscheidend ist, dass viele Accounts Tiktok nutzen, um einen Erstkontakt herzustellen: „Bei sehr vielen Konten gibt es weiterführende Links etwa in Telegram-Gruppen oder Discord-Servern. Und hier besteht die eigentliche Gefahr der Radikalisierung. Tiktok und soziale Netzwerke sind häufig nur eine erste Anlaufstation“, erklärt Franke.

So lautet auch die Einschätzung der Landesmedienanstalt NRW: „Extremistische Botschaften und unterhaltsame Inhalte werden vermischt, um Normalität zu erzeugen und um überhaupt außerhalb der eigenen Blase wahrgenommen zu werden“, heißt es in einem Statement. Dies mache es besonders für Kinder und Jugendliche schwer, „unterschwellige und subtile Botschaften in unterhaltsamen Formaten zu entlarven“.

Strategien gegen rechte Beiträge: Was hilft gegen Nazi-Posts in sozialen Netzwerken?

Die Landesmedienanstalt sieht als ein erfolgreiches Mittel gegen rechte Radikalisierung kontinuierliche Bildungsarbeit: Kinder und Jugendliche sollten „bei ihrer Mediennutzung nicht alleine gelassen werden“. Das sei nicht nur Aufgabe der Kinder und Jugendlichen, sondern vor allem auch der Eltern. „Man muss im Gespräch bleiben“, sagt LFM-Sprecher Christopher Schmidt. „Der Einsatz für die Demokratie und für das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eine nie enden wollende Aufgabe, da nicht damit zu rechnen ist, dass die Feinde der Demokratie aussterben werden. Es aber nicht zu tun würde ja im Umkehrschluss bedeuten, die Freiheit und die Demokratie aufzugeben“, macht er deutlich. Dafür nimmt die Landesmedienanstalt an der EU-Initiative Klicksafe teil, die auch Eltern als Wegweiser für Rechtsextremismus dienen soll.

Auch Forscherin Franke sieht Aufklärungsarbeit als bedeutend an: „Wenn man erst einmal in eine Bubble geraten ist, und diese nicht sofort erkannt hat, ist es echt schwierig wieder da rauszukommen und schnell wird es Normalität“, sagt sie.

Für sie ist aber auch wichtig, Tiktok und andere soziale Medien nicht zu verteufeln: „Es gibt eine große LGBTQI+-Bewegung, viele Lernangebote für Schülerinnen und Schüler und auch tolle Pro-Demokratie-Projekte, das sollten wir nicht vergessen“, so Franke. Sie mahnt jedoch, dass die größte Gefahr besteht, wenn die rechte Ideologie auf Unwissenheit trifft. Und die versteckt sich eben manchmal sehr gut – vielleicht auch als muskulöser Chicken-Nugget-Fan.

*Hinweis der Redaktion: Der Redaktion ist bewusst, dass sie mit der Nennung des Namens von rechten Influencern ihnen eine Bühne bietet. Um über das Thema zu berichten, halten wir dies dennoch erforderlich.