Der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil greift ein Motiv des Kölner Rosenmontagszugs auf. Am 20. Februar stellt er in Köln sein neues Buch vor.
Kolumne von Hanns-Josef OrtheilDas Faultierlächeln des Kanzlers
Ein Motivwagen des Kölner Rosenmontagszugs zeigt Bundeskanzler Olaf Scholz in Gestalt eines Faultiers, kommentiert von dem Shakespeare-Zitat „Der Rest ist Schweigen“ (Hamlet). Die karnevalistische Perspektive ist bekanntlich vieldeutig und selten plump, so auch in diesem Fall.
Zunächst lehnt sie sich an die hohe Wertschätzung der Faultiere im Kölner Zoo an, die zu den Besuchermagneten gehören und vor allem dadurch begeistern, dass sie nicht liegen, sondern kopfunter an Ästen hängen. In dieser Position träumen sie vor sich hin und entspannen gelassen, was jedoch nichts mit Faulheit zu tun hat, sondern mit dem Wissen darum, dass sich das anstrengende Leben nur mit innerer Ruhe und einem inneren Kompass bewältigen lässt.
Beides gewinnen Faultiere in Dämmerstunden scheinbarer Abwesenheit, in denen sie sich aber letztlich auf ihre nachtaktive Umtriebigkeit vorbereiten. Um in den Ruhephasen nicht zu erstarren, bewegen sie sich in regelmäßigen Abständen virtuos hangelnd von Ast zu Ast und lassen sich von ihren Pflegern die Nahrung per Hand so servieren, dass die Nahrungsaufnahme jedes Mal zu einer gymnastischen Übung wird.
Olaf Scholz im Gespräch mit Juli Zeh
In einem Gespräch mit der Schriftstellerin Juli Zeh in seinem Potsdamer Wahlbezirk hat Olaf Scholz den Faultier-Faden aufgegriffen und zu einem parteinahen roten entwickelt. Innere Ruhe und innerer Kompass seien das Erste und Wichtigste, sonst werde er nicht nur den Menschen, sondern auch sich selbst gegenüber unglaubwürdig. Beides beschere in der politischen Tageshektik die wohltuende Empfindung, „authentisch“ und damit „bei sich selbst“ zu bleiben. Was andererseits aber keine Absenz bedeute, sondern ein Hangeln von Sitzung zu Sitzung und ein ununterbrochenes, auch nachtaktives Sprechen mit den unterschiedlichsten Meinungsträgern.
In den alten Zeiten, fuhr der Kanzler fort, hätten solche Gespräche eine begrenzte Zeit erfordert und seien schon wegen des Überdrusses aller Beteiligten irgendwann zu Ende gewesen. In den digitalen Social-Media-Zeiten dagegen seien sie prinzipiell unendlich und wollten nie enden. Ist eine Argumentationskette ausdiskutiert, fällt irgendjemandem eine neue Variante ein. Im Grunde sei das in Ordnung, aber nervig und immens zeitraubend.
Seit Referendarzeiten immer dieselbe Aktentasche
Olaf Scholz steuert diesen Diskursen mit einer antrainierten Geduld entgegen, die ihn aus einer Hamburger Juristenkanzlei in SPD-Ämter führte und dort unter anderem einen nimmermüden Parteiweg vom stellvertretenden Vorsitzenden der Jusos zum Generalsekretär, Hamburger Bürgermeister, Minister, Kandidaten um den Parteivorsitz, Vizekanzler und Kanzlerkandidaten einschlagen ließ.
Um während dieser Stresstests „authentisch“ zu erscheinen, benutzt Scholz seit seinen Referendarzeiten immer dieselbe schwarze Aktentasche, in der er nicht das Grundgesetz, wohl aber sein Parteibuch mit sich herumträgt. Jeden Morgen wird diese Tasche für das Hangeln von Sitzung zu Sitzung gefüllt und am Abend wieder geleert. Dann schaut ihr Träger für einen langen Moment in die gähnende Leere und versteht genau, was sie ihm sagen will: Der Rest ist Schweigen.
Hamlet spricht diesen schweren Satz in Shakespeares Drama bekanntlich kurz vor seinem Tod. Es sind seine letzten Worte. Diesen Verweis aber will der Kölner Motivwagen schon aus Gründen des Respekts vermeiden. Weswegen Scholz auch nicht kopfunter am Ast hängt, sondern bequem und putzmunter darauf liegt und jenes schlumpfige Lächeln aufsetzt, aus dem Markus Söder bis heute nicht schlau geworden ist.
„Habt acht! Ich komme wieder“, sagt dieses Lächeln und erinnert an die Zeiten vor der letzten Bundestagswahl, als alle Welt die Kandidatur des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz für ein vollkommen aussichtsloses Bemühen hielt.
Kölner Premierenlesung mit Hanns-Josef Ortheil
Hanns-Josef Ortheils Kolumnen im „Kölner Stadt-Anzeiger“ sind wesentlicher Bestandteil seines neuen Buchs „Von nahen Dingen und Menschen“ (Verlag DuMont). In kurzen Prosatexten umkreist der Autor das Zeitgeschehen der vergangenen fünf Jahre. (jf)
Köln-Premiere am Dienstag, 20. Februar, um 19 Uhr im studio dumont, Breite Str. 72, Köln. Eintritt: 12 Euro.
Karten können Sie hier bestellen.