Nachrichten aus Israel: In Nümbrecht war Niv Wiesel, Landrat von Mateh Yehuda, zu Gast. Der Wiehler Jokneam-Freundeskreis bekam eine bewegende Videobotschaft.
PartnerschaftBesucher aus Israel berichtet in Nümbrecht vom Gaza-Krieg
Ein Spaziergang durch das wunderschön verschneite Nümbrecht war am Wochenende eingeplant, damit die Besucher einmal den Kopf freikriegen. Aber es ist kein Winterurlaub, was Niv Wiesel und seine Begleiter aus Israel ins Oberbergische geführt hat. Sondern der Krieg.
Wiesel (62) ist Vorsitzender des Regionalrats von Mateh Yehuda. Der größte Regionalverband des Landes liegt westlich von Jerusalem und hat mehr als 60 000 Einwohner. Seit 2008 unterhalten die Israelis eine Partnerschaft mit der Gemeinde Nümbrecht. Niv Wiesel war mehrmals zu Besuch, doch diesmal ist alles anders. Die Besucher tragen Plaketten um den Hals, die militärischen Erkennungsmarken nachempfunden sind. „Mein Herz ist in Gaza“, ist darauf in Hebräisch zu lesen. Ein Zeichen der Verbundenheit mit den etwa 130 Geiseln, die von den Terroristen der Hamas noch gefangen gehalten werden.
Niv Wiesel will bei der im kommenden Monat anstehenden Wahl nicht mehr antreten, es ist sein Abschiedsbesuch in Nümbrecht. Er möchte sich bedanken für die Solidarität, die er und seine Landsleute derzeit erfahren. „Die Partnerschaft ist wichtig für uns, gerade mehr denn je“, sagt Wiesel auf Englisch.
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Auf allen Kanälen ist derzeit nur noch von den Zerstörungen und Todesopfern im Gaza-Streifen die Rede, Israel gerät unter wachsenden internationalen Druck. Im Pressegespräch im Parkhotel wird bald deutlich, dass es Wiesel bei seiner Deutschlandreise darum geht, bei den Deutschen die Erinnerung an den 7. Oktober als Ursprung aller Gewalt wach zu halten. Also an den Tag, als tausende palästinensische Terroristen aus dem Gaza-Streifen nach Israel eindrangen und 1200 Menschen bestialisch abschlachteten, vor allem Zivilisten, darunter alte Menschen, Schwangere und Babys, viele Friedensaktivisten.
Kriegsalltag im Nümbrechter Partnerlandkreis
Und Wiesel erinnert daran, dass noch immer Raketen aus dem Gaza-Streifen abgefeuert werden. Mateh Yehuda liegt mehr als 30 Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt, Hamas-Raketen gehen dort nur als Trümmer nieder, nachdem sie abgefangen wurden. Dennoch wird das Alltagsleben vom Krieg beherrscht. „Alle Familien haben Mitglieder in der Armee, viele haben Menschen verloren oder bangen um Geiseln.“ 130 000 Israelis, die an der Grenze leben, mussten aus Sicherheitsgründen ihre Häuser verlassen. In Mateh Yehuda wurden 2000 Menschen in Hotels untergebracht. Die Regionalverwaltung muss sich darum kümmern, dass die geflüchteten Kinder Schulunterricht bekommen und die traumatisierten Gewaltopfer psychologische Betreuung. Shiran Asraf-Michaeli und Liron Aharon, die Niv Wiesel nach Deutschland begleiten, sind mit diesen Aufgaben betraut.
Wie lange kann das noch so weitergehen? Niv Wiesel ist selbst ratlos. Natürlich will er auch, dass die Geiseln schnellstmöglich freigelassen werden. Aber darum die Angriffe auf die Terroristen einstellen? „Frieden wäre schön“, sagt Wiesel. „Aber wir müssen sichergehen, dass die Terroristen uns nicht nach einem Monat wieder überfallen. Es ist erst zu Ende, wenn es erledigt ist.“
Nümbrechter danken für „großes Geschenk“
Die dreiköpfige Delegation hat sich mit dem Nümbrechter Bürgermeister getroffen, war im Düsseldorfer Landtag und in der Kölner Synagoge und hat sich nun nach Würzburg aufgemacht, wo die Israelis eine zweite deutsche Partnerschaft betreiben. „Wir wussten von Anfang an, dass die Unterstützung nachlassen würde“, sagt Wiesel. „Aber den Terrorismus muss man stoppen, sonst wird er früher oder später auch Europa wieder erreichen.“ Seine Hoffnung setzt er langfristig auf Verhandlungen mit den arabischen Nachbarländern. „Ich habe selbst arabische Freunde. Die Araber sind nicht das Problem. Das Problem sind die Terroristen.“
Marion Reinecke, Vorsitzende des Freundeskreises Nümbrecht/Mateh Yehuda, berichtet, dass die Verbindung nach Israel in diesen schwierigen Wochen enger geworden ist. Man halte engen Kontakt über das Internet. „Wir wollen zeigen, dass wir da sind.“ Für die Gäste hat sie am Samstag zwei Schabbat-Feiern in unterschiedlicher Runde organisiert. „Dass unsere Freunde jetzt zu Besuch gekommen sind, ist für uns ein großes Geschenk.“ Auch sie trägt eine der Plaketten um den Hals, mit denen an die Geiseln erinnert wird.
Videobotschaft für Wiehl
Den Wiehler Freundeskreis hat aus seiner Partnerstadt Jokneam im Norden des Landes eine Videobotschaft erreicht. Die in der Stadtverwaltung für die Partnerschaft zuständige Mitarbeiterin Michal Faigenboom Kadishi schildert in 15 bewegenden Minuten die unvorstellbaren Gewalttaten, die am Anfang des aktuellen Konflikts standen. Zudem berichtet sie von der anhaltenden Bedrohung, die vom Gaza-Streifen ausgehe, wo Krankenhausdirektoren wüssten, dass in ihrem Keller ein Terroristenstützpunkt eingerichtet wurde. Dieser Hass richte sich gegen die gesamte westliche Welt: „Heute sind wir es, morgen seid Ihr es.“ Dem Terrorismus müsse man gemeinsam begegnen, darum sei sie froh über die Unterstützung aus der Partnerstadt Wiehl.
Das Video wurde am Ende eines Vortrags im Bielsteiner Burghaus vorgeführt, für den Freundeskreisvorsitzende Judith Dürr-Steinhart den Nahost-Experten Johannes Becke eingeladen hatte. Dürr-Steinhart merkte einleitend an, dass der Gaza-Krieg „gewaltige Druckwellen in die deutsche Gesellschaft“ aussende. Es gebe teils antisemitische Protestveranstaltungen, die weitaus größer ausfallen als die Aktionen der Israelunterstützer. Der Freundeskreis wolle dieser Entwicklung mit Information entgegenwirken und zur Versachlichung der Debatte beitragen.
Johannes Becke ist Professor für Israel- und Nahoststudien an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Er erläuterte zunächst, wie unvorbereitet Israel auf den Angriff der Hamas war und zog Parallelen zum Jom-Kippur-Krieg, bei dem das Land schon einmal einen Gegner sträflich unterschätzte. Am 7. Oktober habe sich ein „dramatisches Versagen der Armee, des Gemeindienstes und der Regierung“ gerächt. Die strategische Grausamkeit der Terroristen, die Becke anhand von Zahlen verdeutlichte, habe eine neue Dimension erreicht: „Man fragt sich, wie dieser Konflikt gelöst werden kann, wenn man sieht, dass die Hamas Babys entführt.“ Der Referent entschuldigte sich bei seinen Zuhörern dafür, dass er sehr pessimistisch auf die Lage in Gaza blicke. Laut einer Umfrage seien 70 Prozent der Palästinenser und sogar 57 Prozent der Bewohner des Gazastreifens noch immer der Meinung, dass der Anschlag richtig war. Die Hamas mit ihrer Vernichtungsagenda genieße weiterhin einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Bei einer Lösung des Nahostkonflikts komme es vor allem auf den Iran an.