Ein Bandennetzwerk mit Sitz in Köln soll alte und demente Menschen abgezockt haben. Mit der Beute und Sozialleistungsbetrug soll sich die Familie eine Villa in Ostheim finanziert haben.
Rechtsrheinische BandeWie ein Kölner Clan mit einer gekauften Braut Senioren ausraubte
Der Brautpreis für die 16-jährige Jelena war abgemacht: 85.000 Euro soll der Kölner Clan der Michailovic (beide Namen geändert) dem Vater 2016 gezahlt haben. Die Hochzeitsfeier mit einem Spross der rechtsrheinischen Sippe soll nochmals 40.000 Euro gekostet haben. Offenbar nicht zu viel für eine „gute Diebin“, die sehr professionell arbeite. Mit diesen Worten soll der Vater seine minderjährige Tochter dem Käufer angedient haben.
So steht es nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der Anklage gegen fünf führende Köpfe des Kölner Clans. Dabei geht es um eine international weitverzweigte Großfamilie, die von der Rheinmetropole aus auf Beutezug gegangen sein soll. Die Vorwürfe reichen von Bildung einer kriminellen Vereinigung, schwerem Bandendiebstahl, Sozialleistungsbetrug im großen Stil, Geldwäsche sowie dem Menschenhandel durch die Ausbeutung einer Minderjährigen. Die Ermittlungen in diesem Fall führen in eine kriminelle Schattenwelt mit archaischen Sitten, die ans Mittelalter erinnern.
Braut musste noch Jungfrau sein
So entdeckten die Ermittler bei einer Razzia im Juni 2020 auf dem Handy eines Familienmitglieds einen Blanko-Vertrag über Heiratsverpflichtungen. In dem einseitigen Papier sind Rubriken aufgeführt. Darin bestätigt der Verkäufer für die Tochter eine entsprechende Zahlung. Allerdings fließt zunächst nur ein Teil der Summe. Der Rest erfolge, wenn der Beischlaf vollzogen sei. Der Käufer mahnt im Gegenzug, dass sich die Braut im neuen Haushalt den Regeln zu fügen und zu gehorchen habe. Zudem müsse die künftige Schwiegertochter noch Jungfrau sein.
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Die Ermittler sind sich nicht sicher, ob dieser Vertrag für Jelena aufgesetzt wurde. Aus ihrer Sicht aber passt die Vereinbarung zu dem Martyrium, das die junge Frau fortan ertragen haben soll. Den Kaufpreis sollte der Teenager laut Anklage für den Michailovic-Clan durch Diebestouren wieder hereinbringen. Dabei soll Jelena wie eine Sklavin gehalten worden sein. Als sie zwei Kinder zur Welt brachte, habe die Sippe die Nachkommen als Druckmittel gegen die junge Mutter eingesetzt.
Wenn Jelena ohne große Beute nach Hause kam, soll es Schläge gegeben haben. Die Schwestern des Ehemannes hätten gedroht, ihr die Haare abzuschneiden, ihr die Kinder abzunehmen und rauszuwerfen, sollte sie nicht gehorchen. Nie durfte das Mädchen allein die weiße Villa verlassen, so die Staatsanwaltschaft. Demnach wurde Jelena stets überwacht, ihr Handy sowie ihr mazedonischer Reisepass konfisziert.
Junge Mutter wurde zu Diebestouren gezwungen
Ein Jahr nach der Heirat floh die Minderjährige zu ihren Eltern. Ein Mob aus Clan-Mitgliedern soll ihren Fluchtort gestürmt und die junge Frau wieder zurück in die weiße Villa verschleppt haben. Fortan musste Jelena mit anderen Kölner Clan-Größen auf Diebestour gehen.
In Dutzenden Fällen plünderte die Bande betagte Bewohner von Seniorenresidenzen zwischen München und Hamburg aus. Noch heute leiden viele Opfer unter den seelischen Folgen. Die Masche war immer dieselbe: Tagelang klapperte die Bande die Wohnheime ab, lockte die alten Menschen vor die Tür, lenkte sie ab, während Komplizen die Wohnungen ausräumten. Allein im Dezember 2019 ließ man bei einer Rentnerin in Lüneburg Goldschmuck im Wert von 40.000 Euro mitgehen. Die Beute musste Jelena an den Clan ihres Gatten abgeben. Die zweifache Mutter scheint Täterin und Opfer zugleich gewesen zu sein. In einem ersten Prozess wurde sie mit fünf weiteren Komplizen wegen schweren Bandendiebstahls zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Fall belegt, wie kriminelle Familien-Syndikate im Rheinland agieren. Raub, Schutzgelderpressung, Geldwäsche, Eigentumsdelikte und Sozialbetrug im großen Stil. Die Vorgehensweise ist stets die Gleiche, nur die Namen sind austauschbar. Jahrzehntelang gingen kurdisch-libanesische Clans wie die Al Zeins oder die Großfamilie Gomann von Leverkusen aus ungehindert ihren illegalen Geschäften nach.
Die Michailovic-Sippe aus Köln soll laut den Ermittlern zu einem Netzwerk von Familien vom Balkan zählen, die bundesweit auf Diebestouren gingen und das Jobcenter neppten. Der Clan, so die ermittelnde Staatsanwältin, lebte einen Wertekanon, der auf Straftaten und einem internen Strafkodex im Falle von Verfehlungen ausgelegt gewesen sein soll. Das Rechtsverständnis der Angeklagten „war geprägt von einer Ablehnung (…) gegenüber der deutschen Rechtsordnung“, heißt es in der Anklage.
Angeklagte soll Witwer um 30.000 Euro gebracht haben
Eine Hauptakteurin soll auch demente Rentner abgezockt haben. So lotste sie einen vermögenden Witwer zwischen Mai und September 2019 gleich mehrfach zu seiner Bank und ließ ihn vierstellige Summen abheben. Gut 30.000 Euro soll die Angeklagte abkassiert haben. Die Einnahmen deklarierte sie durch gefälschte Schreiben ihres Gönners als Schenkungen, so die Ankläger.
Ferner soll die Großfamilie jahrelang den Sozialstaat betrogen haben. Die Überweisungen der Stadt Köln und der Agentur für Arbeit jedenfalls gingen stets pünktlich ein. Die Mietzuschüsse und sonstige Hilfen lagen zwischen 274 und 820 Euro monatlich. Sämtliche Sozialleistungen, insgesamt 109.670 Euro, wurden zu Unrecht bezogen, heißt es in der Anklage. Mit dem Geld soll die Familie auch das Darlehen für ihr Kölner Anwesen bedient haben, das sie vor 13 Jahren für 280.000 Euro erworben hatte. Zudem richtete man die Immobilie aufwändig her mit Marmor drinnen und einem Gartenhaus draußen.
Angeblich Bedürftige fuhren Porsche Cayenne
Niemandem fiel der Schwindel auf. Mit einfachen Tricks habe der Clan die staatlichen Behörden hinters Licht geführt. So soll die Tochter des Clanchefs beispielsweise zum Schein Mietverträge von Clanmitgliedern ausgestellt haben, die dann dem Jobcenter vorgelegt wurden, heißt es in Behördenpapieren. Und schon wurde gezahlt, bis zu elf Jahre lang. Keiner scheint das vor Ort überprüft zu haben. Sonst wären die Unstimmigkeiten zu Tage getreten. Zumal die Clan-Mitglieder offen mit ihrem Status protzten.
Da brauste der angeblich so bedürftige Clan-Chef aus Serbien entweder mit einem Porsche Cayenne oder einem Porsche Panamera durch die Gegend. Da prahlte seine Frau in abgehörten Telefonaten damit, dass für sie nur Porsche in Frage komme. Mit Pfandleihgeschäften soll der Chef zudem 87.000 Euro erzielt haben, die er den Behörden verschwieg. Bei der Razzia im Juni 2020 konfiszierten die Ermittler zudem teure Rolex-Uhren im Wert von 14.700 Euro, in einem Socken versteckt fanden sich knapp 17.000 Euro in bar und im Kinderzimmer nuckelte die jüngste Tochter der Familie an einem Schnuller mit einem Kettchen aus echtem Gold.
Luxus pur, und das unter den Augen der Sozialbehörden. Wie konnte das passieren? Zu Einzelfällen und laufenden Verfahren könne man schon aus datenschutz-rechtlichen Gründen keine Auskunft erteilen, heißt es bei den Kölner Behörden. Betrug bei Sozialleistungen sei „nicht der Regelfall“, betont Martina Würker, Geschäftsführerin des Jobcenter Köln: „Wenn wir aber einen Verdacht haben, klären wir den und verfolgen Betrug konsequent. Dabei ist es uns wichtig, zu Unrecht gezahltes Geld zurückzubekommen.“
Die erstmalige Gewährung von Sozialhilfe erfolge „immer im Vier-Augen-Prinzip“. Hierdurch sei „sichergestellt, dass alle einzelfallrelevanten Bedarfstatbestände korrekt berücksichtigt werden“, bekundet eine Sprecherin der Stadt Köln. Auch gebe es stichpunktartige Kontrollen. Zudem könne der „Bedarfsfeststellungsdienst“ des Sozialamtes im Einzelfall auch Hausbesuche durchführen. Im laufenden Jahr seien „13 Fälle mit Verdacht auf Leistungsmissbrauch identifiziert“ worden, führt die Sprecherin aus. 13 Fälle von mehr als 27.000 Personen, die Sozialleistungen kassieren. Allein im vergangenen Jahr wurden den Angaben zufolge gut 214 Millionen Euro ausgezahlt.
Luxusapartement mit staatlicher Stütze finanziert
Bei der Kölner Großfamilie Michailovic griffen die Kontroll-Mechanismen nicht. Genauso wenig wie im Falle der kurdisch-libanesischen Sippe Al Zein in Leverkusen. Erst kürzlich bekannte der angeklagte Chef in seinem Prozess, dass die Familien-Villa im Stadtteil Rheindorf vom städtischen Jobcenter bezahlt worden sei. Auch die Leverkusener Clan-Größe Michael Goman kassierte mit seiner Frau und den Kindern staatliche Stütze in sechsstelliger Höhe, während er seine Wohnung zu einem Luxusapartment ausbaute und mit anderen Familienmitgliedern durch Betrügereien Leute abzockte. Zugleich kaufte er über Strohmänner millionenschwere Immobilien und fuhr teure Sportwagen.
Im Groß-Komplex der polizeilichen Ermittlungen gegen mindestens 70 überwiegend syrische Flüchtlinge, die ein illegales Hawala-Bankensystem aufgebaut hatten, sollen die beiden Bosse von Düsseldorf aus gut 120 Millionen Euro in die Türkei und weiter in den Nahen Osten verschoben haben. Das Geld stammte teils aus kriminellen Quellen und wurde am Bosporus durch entsprechende Empfänger ausgelöst.
Die Chefs kassierten mitunter zwei Millionen Euro im Jahr. Und doch nahmen sie die staatliche Stütze gerne mit. Seit 2016 soll einer der beiden Chefs das Jobcenter um 138.000 Euro betrogen haben, zudem kassierte er fast 1600 Euro Kindergeld. Selbst das Schulessen finanzierte die öffentliche Hand. Wären nicht die Ermittler für Organisierte Kriminalität (OK) auf die Spur der Finanzschieber geraten, würde die Abzocke der Sozialbehörden heute noch weiter gehen.
Ein Blick auf die Fall-Rate von Sozialleistungsbetrug in NRW bestätigt die Misere. Laut dem Innenministerium sanken die Zahlen seit 2016 von gut 3.300 Verfahren auf knapp 2100 im vergangenen Jahr. Oliver Huth, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in NRW, geht von einer deutlich höheren Dunkelziffer vor allem im OK-Bereich aus. „Leider kommt es häufiger vor, dass auf der einen Seite kriminelle Familienstrukturen bestehen, in der alle erdenklichen Straftaten begangen werden, weil der Rechtsstaat nicht akzeptiert wird.“ Auf der anderen Seite aber werde der Sozialstaat „dann ausgenutzt und zu Unrecht abkassiert“. Dass die Jobcenter oder das Sozialamt in solchen Fällen nicht immer genau hinschauen, sei „leider ein virulentes Thema“.
Huth führt mehrere Gründe an. Zum einen stehe oft kein Personal zur Verfügung, um beispielsweise einmal einen Hausbesuch zu machen. Gelegentlich aber fehle auch das Problembewusstsein. „Da verstehen sich die zuständigen Ämter schlichtweg als eine Art Bewilligungsbehörde, die Aufdeckung von Betrug interessiert die nicht.“ Im derzeit in Düsseldorf laufenden Prozess gegen Mitglieder des Al-Zein-Clans beispielsweise habe sich herausgestellt, „dass Anträge groteskerweise sogar genehmigt wurden, obwohl die Papiere noch nicht einmal eine Unterschrift hatten“.
Auch der Datenschutz und das in Deutschland geltende Sozialgeheimnis spiele den Tätern „in die Karten“, betont der Kriminalbeamte. So zahle beispielsweise das Sozialamt gelegentlich Kindergeld, obwohl das Schulamt wisse, dass diese Kinder in keiner Schule angemeldet sind. „Wenn die Daten aber vernetzt wären, würde schnell klar sein, dass die subventionierten Kinder gar nicht in Deutschland leben“, so Huth.
Auch Menschen, die Hilfe wirklich brauchen, geraten in Veruf
Die Polizei erhalte Informationen über Sozialhilfeleistungen zu Verdächtigen erst dann, „wenn wir sie über die Staatsanwaltschaft anfordern, also bereits einen entsprechenden Betrugsverdacht begründen können“. Letztlich bringe der organisierte Schwindel auch „die Menschen in Verruf, denen die Unterstützungen zustehen“, ärgert sich Huth: „Am Ende haben wir damit dann ein Riesenproblem mit dem Rechtsfrieden und der Akzeptanz der Demokratie, wenn der Staat an dieser Stelle nicht funktioniert.“
Im Kampf gegen den organisierten Sozialleistungsbetrug hat das Landeskriminalamt NRW das Modell „MISSIMO“ entwickelt. Das Projekt soll insbesondere Kindergeldmissbrauch von Zuwanderern aus südosteuropäischen EU-Ländern beleuchten.
Auf diese Weise wurde eine rumänische Bande in Wuppertal ausgehoben, die für 96 Kinder Zuwendungen bezog, obwohl diese gar nicht in Deutschland lebten. Im April 2022 verurteilte das Landgericht Köln eine Familie aus Rumänien wegen Steuerhinterziehung und dem unrechtmäßigen Bezug von Kindergeld. Insgesamt erschlichen sich die Täter über gefälschte Meldepapiere mehr als 700.000 Euro.
Der Prozess gegen die Angeklagten aus dem Michailovic-Clan steht noch an. Längst wurden die Verdächtigen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen. Ihre Anwälte wollten sich auf Anfrage nicht äußern. Nach längerem rechtlichem Hick-Hack vor den Sozialgerichten und Berechnungsfehlern des Amtes hat das Job-Center laut Staatsanwaltschaft nur einen Bruchteil der erschlichenen Hartz-IV-Zuwendungen zugesprochen bekommen.
Die Angeklagten leben nun wieder in der vom Job-Center gesponserten Villa im Rechtsrheinischen. Die Strafverfolger haben im Grundbuch ein Veräußerungsverbot eintragen lassen. Inzwischen, so die Schätzungen, hat sich der Wert des Anwesens auf gut 600.000 Euro verdreifacht. Wovon die Familie nach dem Streichen der Leistungen lebt, ist unbekannt.