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Serie

In einer Stunde von Köln nach Bochum
Kunst, Kultur, Currywurst und immer noch ein Stück Kohle

Lesezeit 7 Minuten
Die Kneipenmeile "Bermudadreieck" in Bochum ist abends zu sehen mit vielen Besuchern.

Im Ruhrpott bekannt und beliebt: die Kneipenmeile „Bermudadreieck“ in Bochum

In Bochum ist der Bergbau schon seit vielen Jahrzehnten Geschichte, natürlich Teil der Tradition, aber die Stadt hat den Strukturwandel längst hinter sich und glänzt mit ihrem kulturellen Angebot.

Natürlich wissen wir längst alles über Bochum. Zumindest die Älteren unter uns. Dank Herbert Grönemeyer. Wir wissen, dass auf der Königsallee keine Modenschauen stattfinden und wir uns in keiner Weltstadt befinden. Dass der VfL lange Zeit als unabsteigbar galt oder – eingeklemmt zwischen Schalke und Dortmund – als die graue Maus der Bundesliga bezeichnet wurde, bevor ihn auch die Fans der gegnerischen Mannschaften nach dem Einzug der Plastik- und Werksklubs in die Belle Etage des deutschen Fußballs in den Stand eines Traditionsvereins erhoben. Was er, Gründungsjahr 1848, zweifellos auch ist.

T-Rex-Skelett aus dem 3D-Drucker

Also, warum überhaupt noch hinfahren? Wer am Hauptbahnhof aus dem Zug fällt, der Regionalexpress braucht vom Köln laut Fahrplan (!) 73 Minuten, und den Vorderausgang nutzt, blickt direkt in die Augen eines Triceratops. Und schon ist die Frage beantwortet, ob Bochum was für Kinder ist. Unbedingt. Zumindest noch bis zum 27. August. Bis dahin können bei einem Rundgang durch Bochum an mehr als 40 Stellen vor allem in der Innenstadt im Rahmen von Dino City III lebensgroße Sauriermodelle und das weltweit größte T-Rex-Skelett aus einem 3D-Drucker entdeckt werden.

Vor dem Hauptbahnhof wird man noch bis 27. August von einem Triceratops begrüßt.

Willkommen in Bochum: Vor dem Hauptbahnhof wird man noch bis 27. August von einem Triceratops begrüßt.

Vor dem Rathaus steht vor einem Plateosaurus außerdem der 8,80 Meter breite und 2,20 Meter hohe Bochum-Schriftzug, der sich für einen Schnappschuss ebenso bestens eignet. Damit man am Ende nicht vergisst, wo man gewesen ist. Egal, wohin man tritt. Die Urviecher sind nicht übersehen. Sie stehen vorm Planetarium, vor dem Bergbau-Museum, bei der Knappschaft im Stadtteil Ehrenfeld, bei Möbel Hardeck und Schley’s Blumenparadies. Vom Großstadtdschungel schwärmt man bei Bochum-Tourismus. „Geschmack is‘ ja schon Bandbreite“ darf man in Anlehnung an den Allzeit-Ruhrpott-Rentner Herbert Knebel durchaus kritisch anmerken, wenn einem die Dino-Suche eher auf die Nerven geht. Im Ruhrgebiet schätzt man klare Ansagen.

Ein Plateosaurus Dinosaurier steht aktuell hinter dem Bochum-Schriftzug.

Bald sind die Dinos verschwunden, dann bleibt immer noch der überdimensionierte Schriftzug für ein Erinnerungsbild.

Dinos hin oder her. Ab 28. August sind sie für ein paar Jahre eh wieder ausgestorben und vier Millionen Touristen, die jährlich nach Bochum kommen, können sie schließlich nicht irren.

Oder höchstens mal verirren. In der Innenstadt – oder genauer gesagt – im Bermudadreieck, ein Ort, wie es ihn in einer Stadt dieser Größenordnung wohl kein zweites Mal gibt. Zwischen Südring und Konrad-Adenauer-Platz ist hier in mehr als 40 Jahren etwas gewachsen, das längst über die Grenzen des Ruhrgebietes hinaus Kultstatus genießt. Ein Gastrolandschaft mit rund 80 Lokalitäten. Egal ob Snack, gehobene Küche, Shopping, Clubbing, Entertainment oder Kultur – hier gibt es alles, nach jedem Geschmack und an einem Platz.

Eine Imbiss-Currywurst ist vor dem Bratwursthaus in Bochum zu sehen.

Im Ruhrgebiet legendär: das Bochumer Bratwursthaus neben dem Union-Kino

Natürlich auch die „echte“ Kultwurst von Dönninghaus. Im Bratwursthaus neben dem Union-Kino kann das von Herbert Grönemeyer besungene Kulturgut als unvergessliches Original genossen werden.

Abstecher ins Ehrenfeld lohnt

Ein Abstecher von der Innenstadt lohnt sich ins Ehrenfeld, ein kleiner Kiez, wo viele inhabergeführte Läden und Cafés warten und auch das Schauspielhaus Bochum zu Hause ist. Aktuell ist das Theater in der Sommerpause, ebenso wie beim Anneliese Brost Musikforum Ruhr lohnt sich dennoch allemal ein Blick von außen. Das Schauspielhaus besteht seit 1919 als Städtische Bühne und feierte 2019 seinen 100. Geburtstag. Dank seiner legendären Intendanten ist das Haus eine der renommiertesten Bühnen Deutschlands, wurde zuletzt zweimal in Folge als bestes Theater in NRW und 2022 als Deutschlands Theater des Jahres ausgezeichnet.

Das Bochumer Schauspielhaus ist frontal zu sehen, mit zwei großen Foto-Bändern an den Seiten.

Ein renommiertes Haus: Das Bochumer Schauspielhaus

Das Anneliese Brost Musikforum Ruhr ist eines der neueren kulturellen Prunkstücke Bochums und beinhaltet doch jede Menge Tradition. Die Heimstätte der Bochumer Symphoniker wurde im Oktober 2016 feierlich eröffnet und besitzt zwei Aufführungssäle, von denen der größere rund 960 Zuschauer fasst.

Der Westpark war nach der Kohle lange eine Industriebrache

Raus aus dem Trubel und rein in die Natur geht es stadtnah in den Westpark. Im Westpark wird der Wandel Bochums vom Industriestandort zur modernen Kulturstadt greifbar. 150 Jahre Eisen- und Stahlproduktion haben ein spannungsreiches Gelände geschaffen, das mit verschiedenen Höhenstufen und zahllosen Reliquien aus dieser Zeit überrascht.

Der erste Bauabschnitt wurde im Jahr 1999 für Besucher freigegeben. Bis 2007 ist auf der ehemaligen Industriebrache des Bochumer Vereins nach und nach ein Landschaftspark entstanden, der als Freizeit- und Veranstaltungsfläche genutzt wird und seine industrielle Vergangenheit in die Gestaltung aufnimmt.

Außenansicht der Jahrhunderthalle: in ihr spiegelt sich Industriearchitektur

Ein Muss bei einer Tagestour: die Jahrhunderthalle im Westpark. Sie ist das ehemalige Gaskraftzentrale eines Stahlwerks.

Im Westpark ist auch die Jahrhunderthalle zu finden. Aus der Gaskraftzentrale eines Stahlwerks ist ein mit modernster Technik ausgestattetes Festspielhaus entstanden. Die Jahrhunderthalle Bochum ist Industriekathedrale und Energiezentrum der besonderen Art und hat dabei eine architektonisch beeindruckende Wandlung erlebt. Sie wurde 1902 vom Bochumer Verein für die Düsseldorfer Industrie und Gewerbeausstellung gebaut und anschließend als Gebläsemaschinenhalle für die Hochöfen Bochumer Vereins wiederverwendet.

„Die Jahrhunderthalle selbst war wie eine verbotene Stadt. Wenn man hierher kommt, sollte man reingehen, weil das eine Industriekathedrale ist“, sagt der Bochumer Romanautor und Kabarettist Frank Goosen. „Dieser Effekt war von Anfang an beabsichtigt. Damals hat man sogar noch einen Turm dazugestellt, um das Sakrale zu unterstreichen. Von einer Seite fällt manchmal das Licht genau so herein wie in einer Kirche.“

Die rötliche Fassade des Bochumer Kulturbunkers ist zu sehen an einer Straße.

Der Bochumer Kulturbunker kann nur nach vorheriger Anmeldung besucht werden.

Wenn man schon in der Gegend ist, liegt der Kunstbunker in Stahlhausen nicht weit entfernt. „Das ist ein alter Hochbunker, einer der ganz wenigen, wenn nicht sogar der Einzige mit einer Durchfahrt für Lastwagen. Das deutet darauf hin, dass die Nazis nach dem Krieg noch etwas anderes damit vorhatten. Der ist wunderbar renoviert worden“, sagt Goosen „Heute organisiert der Bochumer Künstlerverein dort regelmäßig Ausstellungen. Diese Wechselwirkung zwischen dem Bunkerbeton und den ausgestellten Kunstwerken ist einfach enorm. Man versucht im Ruhrgebiet grundsätzlich, die Stahl- und Betonvergangenheit in die Kunst einzubauen.“ Ohne vorherige Anmeldung ist eine Besichtigung nicht möglich.

Ein Abbauschacht im Bergbaumuseum

Viel Tradition und viel besucht: das Bergbaumuseum

Von hier geht es weiter Richtung Bergbau-Museum. Das weltweit größte Museum seiner Art erforscht, bewahrt und vermittelt die Geschichte der Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Georessourcen. Beim Besuch erlebbar wird dies auch im Anschauungsbergwerk mit Seilfahrtsimulator. Vom Fördergerüst, das aktuell leider gesperrt ist, reicht der Blick weit über das Ruhrgebiet.

Frank Goosen: „Die klassische Ruhrpott-Kneipe gibt es kaum noch“

„Den Tag beschließen kann man in einer klassischen Ruhrpott-Kneipe, die es ja kaum noch gibt“, empfiehlt Goosen. „Grob Richtung Bergbaumuseum liegt die Trinkhalle. Die heißt zwar Trinkhalle, das ist eine moderne Kneipe, in der Tische und Bänke aus Europaletten gezimmert sind. Da kann man wunderbar versacken. Da gibt es sehr seltene Sorten, die nicht im Supermarktregal zu finden sind.“

Alternativ kann es von der Innenstadt auch Richtung Norden zum höchstmodernen Planetarium, ins Kunstmuseum, in den Stadtpark, zum Ruhrstadion des VfL Bochum und zum Starlight Express gehen.

Das Musical Starlight Express von Andrew Lloyd Webber ist ein absoluter Publikumsmagnet. Seit der Premiere im Jahr 1988 schreibt die Ausnahmeproduktion Weltgeschichte und Rekord um Rekord.

Auch ganz nah: viel Natur!

Mit dem Rad lohnt sich auch ein Ausflug in den Bochumer Süden, mit dem Zisterzienserkloster, der historischen Stiepeler Dorfkirche, dem grünen Ruhrtal, dem Eisenbahnmuseum und dem Kemnader See, ein idyllisches Naherholungsgebiet, das von Mitte August bis September auch das Zeltfestival Ruhr beheimatet. Ersprießliche Strecken mit dem Drahtesel sind zum Beispiel der Ruhrtal-Radweg und die Erzbahntrasse.

Wer Natur erleben will, sollte auch den Botanischen Garten der Ruhr-Universität auf über 13 Hektar Fläche nicht verpassen. Integriert sind auf dem Gelände ein Tropenhaus, die geobotanische Abteilung und der in Zusammenarbeit mit der Universität Shanghai angelegte Chinesische Garten.


Der Geheimtipp

Frank Goosens Geheimtipp ist das Zeitmaul-Theater. „Das ist das Theater eines polnischen Autors und Regisseurs, Witek Danielczok, der dort nur Werke lebender Autoren einschließlich seiner eigenen auf die Bühne bringt. Dort finden abgefahrene Sachen statt. Das ist die ehemalige Kapelle des Kinderheimes St. Vincenz.

Der Autor Frank Goosen sitzt auf einer Bank und lächelt in die Kamera.

Buchautor, Kabarettist und Bochumer: Frank Goosen liebt das Zeitmaul-Theater.

Das ist das kleinste und atmosphärisch schönste Theater in Bochum mit 80 Plätzen. Da kriegt man ungewöhnliche Theater- und Musikveranstaltungen geboten.

Es gibt da eine Reihe, die sich ‚Wire Wagna‘ nennt und bei der einmal im Monat drei absolute Spitzenmusiker improvisieren. Dazu kommt immer eine Person aus einer anderen Kunstform, die ebenfalls improvisiert, vom Schwarzlicht-Theater bis zu Yoko Ono-Sachen.“

Die Adressen

Anneliese Brost-Musikforum Ruhr, Marienplatz 1, www.bochumer-symphoniker.de

Botanischer Garten an der Ruhr-Universität, N-Südstraße 6, täglich 9-18 Uhr, Schauhäuser bis 17 Uhr, boga-ruhr-uni-bochum.de

Bratwursthaus Dönninghaus, Imbiss Bermudadreieck, bratwursthaus.com

Deutsches Bergbaumuseum, Am Bergbaumuseum 28, Di-So, 9.30-17.30 Uhr, bergbaumuseum.de

Eiscremebar Kugelpudel, Dorstener Straße 1, kugelpudel.com

Eisdiele I AM LOVE, Dibergstraße 2, i-am-love.de

Eisenbahnmuseum Dahlhausen, Dr. C.-Otto-Str. 191, Di-So, 10-17 Uhr, eisenbahnmuseum-bochum.de

Jahrhunderthalle Bochum, An der Jahrhunderthalle 1, jahrhunderthalle-bochum.de

Kunstbunker Bochum, Baarestraße 68, kunstbunker-bochum.de

Kunstmuseum, Kortumstraße 147, Di-So, 10-17, Mi auch bis 20 Uhr, kunstmuseumbochum.de

Musical Starlight Express, Stadionring 24, Infos und Tickets und www.starlight-express.de

Planetarium, Castroper Straße 67, täglich außer montags zu den Veranstaltungen, Infos unter www.planetarium-bochum.de

Schauspielhaus, Königsallee 15, schauspielhausbochum.de

Trinkhalle, Herner Straße 8, Öffnungszeiten Mi + Do 18-0 Uhr, Fr + Sa, 18-1 Uhr, So bis Di geschlossen

Zeitmaul-Theater, Imbuschplatz 11 (Zugang vom Nordring), zeitmaultheater.de