Was ist der Reiz daran, frühmorgens aufzustehen und Vögel zu beobachten? Wir haben Kölnerinnen und Kölner beim Birdwatching begleitet.
Birdwatching in Wahner HeideWarum Vogelbeobachtung bei Jüngeren plötzlich angesagt ist – auch in Köln
Gerade noch war das Gespräch im vollen Gange. Doch mitten im Satz hört Volker Brinkmann auf zu sprechen und zeigt nach links. „Habt ihr das gehört? Eine Heidelerche!“ Jana Romero und Michelle Etienne spitzen die Ohren. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stehen ganz aufrecht, der Kopf leicht geneigt, und lauschen konzentriert. „Ja, aber es sind zwei, oder?“, fragt Jana Romero. Brinkmann horcht noch einmal und nickt. Die Heidelerche, erklärt Brinkmann der ahnungslosen Journalistin, höre sich an „wie ein Glöckchen“. Das hilft nicht viel. Denn überall um einen herum piepst und zwitschert es und alle paar Minuten legt sich das Dröhnen eines startenden oder landenden Flugzeugs über die idyllische Szenerie.
Wir sind unterwegs in der Wahner Heide östlich von Köln, der Flughafen ist nicht weit. Die Ornithologen des Naturschutzbundes (Nabu) Köln nehmen uns mit zu einer ihrer Expeditionen. Birdwatching, so nennt man das heutzutage, ist wieder modern – besonders bei jungen Leuten und vor allem bei Frauen, sagt man. Doch: Ist das wirklich so? Und was ist der Reiz daran, Vögel zu suchen?
Jana Romero weiß es. Sie gehört zu diesen jungen Frauen. Romero ist Mitte 30 und lebt in Köln, kommt aber vom Land. Schon als Kind hat sie sich für die Vogelwelt interessiert, gefördert durch die Großeltern. Seit acht Jahren geht sie gezielt raus und beobachtet Vögel, vor allem im Frühjahr und Sommer, etwa einmal pro Woche. „Ich verbinde mit bestimmten Vogelgesängen auch Jahreszeiten und damit automatisch Stimmungen. Wenn die Mauersegler zurückkommen, freue ich mich immer richtig, weil ich weiß: Jetzt ist endlich Sommer.“ Auch berufsbedingt ist sie viel draußen, sie arbeitet für die Nabu-Geschäftsstelle in Köln. Ihre Erfahrung, wenn sie mit Freundinnen in der Natur unterwegs war, die sich eigentlich nicht für Ornithologie interessieren: „Am Ende des Tages wollen die doch wissen, was wir da alles gesehen und gehört haben.“ Birdwatching sei eine Art Volkssport geworden, findet Romero.
Die Zahlen belegen das. So ruft der Nabu schon seit 2006 Privatleute zweimal im Jahr dazu auf, Vögel in Parks und Garten zu zählen – und die Zahl der Menschen, die das tun, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, heißt es aus der Pressestelle des Nabu Deutschland. 2023 machten bei der „Stunde der Gartenvögel“ knapp 60.000 Menschen mit, zehn Jahre zuvor waren es knapp 46.000. Noch deutlicher fallen die Zahlen bei der „Stunde der Wintervögel“ aus: 130.000 Teilnehmende gab es in diesem Jahr im Vergleich zu 76.000 im Jahr 2014. Ungeschlagen wird aber wohl diese Zahl bleiben: Mehr als 160.000 Menschen machten bei der Zählung im Mai 2020 mit – der Corona-Lockdown lässt grüßen.
Die versierten Hobby-Ornithologen hingegen melden ihre Zahlen nicht einfach dem Nabu. Sie führen Listen, erzählt Jana Romero. Darauf halten sie fest, wie viele Vögel sie schon gesehen haben. Teilweise treffen sie sich auch, wie zuletzt Anfang Mai, zu „Birdraces“, also zu einem Wettbewerb, bei dem an einem Tag möglichst viele verschiedene Vogelarten gezählt werden. Auf Jana Romeros Liste stehen zurzeit 111 Arten. „Ich habe aber auch erst vor einem Jahr mit dem Aufschreiben angefangen“, fügt sie hinzu, beinahe so, als müsse sie sich rechtfertigen. Denn das Ziel ist groß: der „Club 300“. Was sich nach Geheimbund anhört, beschreibt eigentlich nur die Anzahl an Vogelarten, die man im Laufe seines Lebens gesehen haben kann, wenn man in Deutschland wohnt und in Europa unterwegs ist. Ungefähr 500 unterschiedliche Vogelarten gibt es in ganz Europa.
Eine, die über die Zahl 300 wohl nur müde lächeln kann, ist Mya-Rose Craig. Schon mit 17 Jahren standen auf ihrer Liste mehr als 5000 Arten. Damit hatte sie es geschafft, als jüngster Mensch die Hälfte aller Vogelarten auf der Welt zu sehen. Zu Hause in Großbritannien ist sie seither nur noch als das „Birdgirl“, das Vogelmädchen, bekannt. Um das zu schaffen, stand ihr Wecker regelmäßig auf zwei Uhr morgens, sie bereiste mit ihren ebenfalls vogelverrückten Eltern alle Kontinente der Welt und besichtigte Dschungel und Steppen statt Städten und Touristen-Attraktionen. Besonders nachhaltig klingt das nicht.
Albrecht Priebe schüttelt bei der Erwähnung ihres Spitznamens auch nur den Kopf. Er reist an die deutsche Nordseeküste, um Vögel zu beobachten. Schon als Jugendlicher war Priebe interessiert an der Ornithologie, studierte dann Biologie, seinen Schwerpunkt legte er jedoch auf die Botanik. Seit rund 20 Jahren widmet er einen Großteil seiner Zeit wieder der Vogelbeobachtung. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, Priebe ist Rentner.
Gerade baut er am Wegesrand sein Spektiv auf. Priebe ist jetzt hochkonzentriert und durchkämmt mit dem Beobachtungsfernrohr die Fläche der Wahner Heide, die dicht mit niedrigen Büschen bewachsen ist. Priebe hat etwas zwitschern gehört. Der Begriff „Birdwatching“, das wird schon nach kurzer Zeit klar, ist hier nur die halbe Miete: Denn es geht nicht nur um das Schauen, sondern vor allem um das Lauschen. Kurze Zeit später hat Priebe gefunden, was er sucht. Beim Blick durch das vergrößernde Spektiv präsentiert sich ein Schwarzkehlchen ganz nah: Rostrote Brust, schwarzer Kopf, weißer Hals, dunkle Flügel.
Das Schwarzkehlchen, ein Verwandter des besser bekannten Rotkehlchens, sei ein „Charaktervogel“ der Wahner Heide, erklärt Priebe, also ein Vogel, der ganz typisch für dieses eher trockene und buschige Offenland ist. Fünfmal pro Woche ist Priebe mit Fernglas und Spektiv unterwegs, die Wahner Heide kennt er wie seine Westentasche, ansonsten sei in Köln vor allem der Worringer Bruch ein ornithologisches Highlight.
Wer nun angefixt ist und schon den ersten Ausflug an einen dieser Hotspots plant, dem kann Michelle Etienne nur abraten. „Hier gibt es so viele besondere Arten, das überfordert am Anfang nur“, findet die 30-Jährige. „Am besten startet man ganz klein: Auf dem heimischen Balkon oder im Garten.“ Wer ein bisschen mehr will, kann die vielfältige Vogelwelt auf einem der Kölner Friedhöfe beobachten. So richtig mit dem Birdwatching angefangen hat Michelle Etienne auch erst vor vier Jahren. Damals studierte sie in Schweden Biologie und belegte Kurse zur Ornithologie. Ihre Masterarbeit schrieb sie über Steinadler.
„Ich gehe selten gezielt raus, um Vögel zu beobachten. Aber wenn ich spazieren gehe, beobachte und bestimme ich Vögel – und auch andere Tierarten. Das mache ich ganz automatisch.“ Sie findet es „entspannend“ draußen in der Natur zu sein. Was man für den Anfang braucht? „Ein Fernglas, ein Vogelbestimmungsbuch – und ein Handy.“ Etienne öffnet auf ihrem Smartphone die App „Merlin“, sofort schlagen mehrere Balken aus. Das Handy registriert und erkennt die Vogelstimmen in direkter Nähe. „Diese Apps erleichtern das Vogelbestimmen sehr. Früher, ohne Internet, muss das viel schwieriger – und auch frustrierend gewesen sein“, mutmaßt sie.
Das war es. „Meiner Erfahrung nach kann man etwa eine Vogelstimme pro Jahr sicher lernen“, sagt Christina Wohlfahrt. Die Seniorin hat schon Vögel beobachtet, als die Ornithologie vorrangig ein Hobby der Männer war. „Als junge Erwachsene hatte ich ein Wochenendhaus in der Eifel und da sind mir die Vögel so nah gekommen, dass ich gar nicht aufhören konnte, sie zu beobachten und mich um sie zu kümmern.“ In ihrem Garten in Köln füttert Wohlfahrt rund 30 verschiedene Arten, zehn davon brüten sogar hier. „Es ist eine große Freude, eine Verbindung zu solchen wildlebenden Tieren zu haben, vor allem zu solchen, die frei fliegen können.“ Seit 15 Jahren engagiert Wohlfahrt sich im Arbeitskreis Ornithologie. Von den 40 Mitgliedern sind rund 25 Frauen, sagt Wohlfahrt. „In den vergangenen Jahren ist der Anteil der Frauen deutlich gestiegen. Aber trotzdem muss ich als Feministin zugeben: Die Cracks, die sich in diese Materie hineinknien, forschen und richtig gut sind, sind immer noch Männer.“
Einer, der zu diesen Cracks gehört, ist wohl Volker Brinkmann. Schon mit elf Jahren hat der gebürtige Hamburger auf dem Weg zur Schule fasziniert die Vögel im Park beobachtet. Seither ist er dem Hobby treu geblieben. Brinkmann hört Vogelstimmen nicht nur heraus, er kann sie auch nachmachen. So pfeift er den Gesang des Fitis nach und man fühlt sich, als würde man direkt neben dem Vogel stehen. „Einfach die Tonleiter abwärts“, sagt Brinkmann, als wäre das keine große Sache. Das Schönste für ihn ist: „An einem mir so bekannten Ort wie der Wahner Heide etwas zu erleben, mit dem ich nicht gerechnet habe. Das finde ich klasse“, sagt der ehemalige Gesamtschullehrer. Brinkmann ist „begeistert“, dass sich seit etwa 15 Jahren immer mehr junge Menschen für die Vogelwelt interessieren. Enthusiastisch erzählt er von der Begegnung mit einem elfjährigen Mädchen, die bei einer von ihm organisierten Vogelführung teilgenommen hat, und mit ihm über Vogelarten fachsimpeln konnte.
Mit Albrecht Priebe, Christina Wohlfahrt und anderen Nabu-Freunden, die nicht mehr „beruflich gebunden“ sind, trifft er sich regelmäßig zu privaten Exkursionen. Los geht’s dann aber nicht um sechs Uhr morgens, wie bei vielen Hobby-Ornithologen üblich, sondern um neun. „Wir haben einfach keine Lust, so früh aufzustehen.“ Was sie alle nicht verstehen können: Dass manche Menschen mit Kopfhörern in den Ohren durch die Natur laufen. „Mir tut es richtig weh, das zu sehen“, sagt Priebe. Und Christina Wohlfahrt ergänzt: „So ein Spaziergang durch den Frühlingswald ist doch wie ein Konzert in der Philharmonie.“
Falls Sie sich schon ein bisschen in der Vogelwelt auskennen, empfiehlt der Arbeitskreis Ornithologie des Nabu folgende Orte in Köln und der näheren Umgebung zum Birdwatching:
- Wahner Heide
- Worringer Bruch
- Friedhöfe Köln
- Königsforst
- Flittarder Rheinaue
- Dellbrücker Heide
- Rheinaue Langel (Nord)
- Stadtwald
- Kalscheurer Weiher
- Grube am Hornpottweg
- Chorbusch
- Schlosspark Brühl
- Entenfang Wesseling