Britischer Starkoch im Interview3 Rezepte von Nigel Slater zum Nachkochen
- Star-Koch Nigel Slater setzt in der Krise auf Gerichte mit Substanz und Süßes.
- Erinnerungsgenuss und Wohlfühl-Küche bilden für ihn die Ess-Regeln der Stunde.
- Sein neues Buch hält dafür einiges bereit. Daraus hat er uns drei Rezepte zum Nachkochen mitgebracht.
Köln – Star-Koch Nigel Slater setzt in der Krise auf Gerichte mit Substanz und Süßes. Ein Interview über sein erstes vegetarisches Kochbuch „Greenfeast“.
Mr. Slater, Essen und Trost, tröstlicher Genuss – haben diese Begriffe für Sie in der Corona-Krise eine besondere Bedeutung?
Nigel Slater: Auf jeden Fall. Wir sind alle sehr verunsichert über das, was momentan in der Welt geschieht. Wir erleben etwas, was wir noch nie so erlebt haben. Für mich bilden in dieser Zeit besondere Geschmackserlebnisse eine Art Wohlfühlraum. Dinge, die ich sonst nicht mehr esse, sind mir wieder in den Sinn gekommen. Dinge, die in meiner Kindheit sehr wichtig für mich waren – viel Süßes und Milchprodukte, Eis und Schokolade. Wenn ich es recht bedenke, erinnert mich diese unwohle Situation an manches als Kind. Auch da wurde üppige Süße zu einem sicheren, ruhigen und beruhigenden Ort.
Aber Sie ernähren sich jetzt sicher nicht ausschließlich von Süßigkeiten. Kochen Sie Rezepte aus Ihrem jüngsten Buch „Greenfeast“? Man kann sich die Paprika-Kichererbsen-Creme zu warmem Fladenbrot oder die Gnocchi auch als recht tröstlich vorstellen?
Slater: Absolut. Sehr einfache Dinge, sättigend und substantiell, mit Frische – es sind tatsächlich viele Gerichte in dem Buch, die zu diesem Zweck jetzt passen, auch mit Pasta und Kartoffeln. Besonders Kartoffeln empfinde ich persönlich als wohltuend, tröstlich und immer passend in unsicheren Phasen.
Das dürfte einigen Ihrer Lesern in Erinnerung sein: In dem vorangehenden Band „Ein Jahr lang gut essen“ schreiben Sie „an einen alten Freund“ sogar einen Brief: „Liebes Kartoffelpüree, ich treffe dich nicht mehr oft, aber ich denke immer noch an dich…, das Gericht, das mich kurierte, das meine Welt wieder einrenkte und mich abends kuschelig warm einmummelte.“ Hält die Liebe noch?
Slater: Aber ja!
Gerade der Gedanke an ein schlechtes Kartoffelpüree erinnert mich daran, dass die britische Küche sehr, sehr lange einen verheerenden Ruf hatte. Heute sind viele der in Europa einflussreichsten Köche Briten, sowohl was die populäre als auch die Hochküche betrifft. Angefangen bei Jamie Oliver und Yotam Ottolenghi bis Isaac McHale und James Lowe, deren Londoner Restaurants und ihre Modern British Cuisine zu weltweit beachteten zählen. Wie sehen Sie das?
Slater: Ja das stimmt. Ich wuchs in einer Zeit auf, in der wir zwar wussten, dass es sehr gutes Essen gab, aber nicht gerade in Großbritannien. Man kann schon sagen, dass wir aus kulinarischer Sicht aus einem ziemlich peinlichen Zustand rausgewachsen sind. Niemand kochte in meiner Jugendzeit gewagt oder experimentell. Erst als man begann, über die Grenzen zu blicken, auf die japanische Küche und viele andere Länderküchen, wurde auch die hiesige Kochweise ideenreicher. Mit der Zeit nahmen Köche Inspiration aus der ganzen Welt in ihre Küchen auf und ich bin sehr überrascht und erfreut, dass sich das so entwickelt hat.
Was beeinflusst Sie?
Slater: Ach, ich mache eigentlich nur mein eigenes Ding. Ich weiß ziemlich genau, was ich essen will und ich kenne ziemlich genau die Art von Essen, über die ich schreiben will. Ich schaue nicht danach, was gerade fashionable ist, oder was die anderen machen.
Aber „Greenfeast“ ist ein vegetarisches Kochbuch. Ihr erstes, das vielleicht doch einem Trend folgt?
Slater: Das Buch ist ein Bericht, es folgt keinem wirklichen Konzept. Es ist ein Bericht darüber, was ich täglich so koche – meine Essweise in Worte und Bilder übersetzt. Ich habe mich niemals hingesetzt und gesagt: So, jetzt ändere ich meine Ernährungsweise und esse mehr pflanzliche Kost. Das verlief über die Jahre ganz natürlich und unbewusst, bis ich realisierte, dass ich wesentlich weniger Fleisch als früher aß. Dieser Prozess passierte einfach. Das hat nichts mit Lifestyle zu tun.
In der Einführung zu dem Buch beschreiben Sie sich selbst als Sammler von Schalen und Schüsseln, sprechen ausführlich über Haptik und Sensitivität von Geschirr und Material. Im gleichen Atemzug sagen Sie, man solle nicht zu viel Gewese um die Wahl der Dinge machen. Man solle auch das „Spiel, den passenden Wein zu wählen“ nicht zu ernst nehmen. Machen Sie sich lustig über eine Art des ernsthaften Genusses?
Slater: Ganz sicher nehmen hier viele Menschen Essen und Trinken sehr, sehr ernst. Mein Problem damit ist, dass es sich nicht natürlich anfühlt, eher wie eine Qual – sehr anstrengend. Für mich soll Essen immer etwas Leichtes haben, etwas Entspanntes und es soll auch entspannt aussehen. Ich kann Essen nicht so gut genießen, über das jemand zu lange und zu gewichtig nachgedacht hat. Ich bin ziemlich für spontanes Kochen, ich gehe zum Schrank, schaue, was da ist und lege los – nicht wirklich nach einem Rezept – das ist mein Ding.
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Gehen Sie denn aus?
Slater: Ja, durchaus. Aber wenn ich zum Dinner ausgehe, mache ich das nur, um Spaß zu haben. Nicht, um zu sehen, was andere kochen oder gar, um inspiriert zu werden. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, vielleicht den ganzen Tag geschrieben – das allerletzte was ich jetzt tun möchte ist, wieder an die Arbeit zu denken und ans Kochen. Niemals würde ich in ein Restaurant gehen und über Rezepte nachdenken. Ich habe einfach eine gute Zeit mit Freunden.
Kochen ihre Freunde für Sie oder haben sie Angst vor Ihrem Urteil?
Slater: Ich gehe nicht gerne zu Leuten nach Hause zum Essen. Das wissen meine Freunde, also laden sie mich nicht ein.
Warum?
Slater: Ich mag einfach keine Dinner Partys.
Die Nigel Slater-Kochweise beinhaltet viele Einflüsse, mediterrane und arabische etwa. Aber auch immer wieder spielt Japan eine betonte Rolle. Haben Sie eine besondere Beziehung zur Japanischen Küche?
Slater: Schon seit einigen Jahren, ich glaube ungefähr zehn, verbringe ich jedes Jahr einen Monat dort. Und obwohl ich auch bei diesen Reisen nicht besonders auf Rezepte oder Inspiration aus bin, bemerke ich, dass mein alltägliches Kochen eine japanische Note bekommt, eine japanische Anmutung. Deshalb finden sich auch im neuen Buch wieder einige japanische Gerichte. Es stimmt schon - ich liebe die Japanische Küche.
Ist Tradition für Sie in irgendeiner Form wichtig?
Slater: Auf eine gewisse Weise schon, auch wenn sie bei meiner Arbeit eigentlich keine Rolle spielt. Aber wenn schon Tradition, dann bitte auf klassische Art. Wenn man ein Rezept entwickelt, ein Rezept erfindet – gut. Aber niemals darf man diesem Rezept einen bekannten Namen geben. Ich mag Gerichte, deren Zubereitungsart seit Jahrhunderten überliefert wurde und immer dieselbe bleibt. Man weiß einfach, was einen erwartet. Nehmen Sie ein Coq au vin. Möchten Sie so etwas berühmtes wie Coq au vin bestellen und etwas komplett anderes bekommen?
Nein.
Slater: Ich auch nicht.
Wie sieht es mit der britischen Tradition aus?
Slater: Ja, die gibt es. Aber wenn ich es mir recht überlege, esse ich kein traditionell britisches Essen.
In Ihrem Schreiben spielt Genuss-Erinnerung immer wieder eine große Rolle. Kommt die Küche da gar nicht vor?
Slater: Ich erinnere mich besonders an Kuchen und Süßigkeiten, die ich als Kind gegessen habe. Das sind Geschmäcker, die ich auch heute noch präsent habe. Und mit ihnen kommen mir Dinge in den Sinn, die ich vielleicht vergessen habe. Vielleicht kommen mir wieder Menschen in den Sinn, die ich vergessen habe. Manchmal wenn ich schreibe, kaufe ich mir Süßigkeiten, die ich vielleicht 20 oder 30 Jahre nicht kostete. Und kaum probiere ich, oder packe etwas nur aus und sofort kommt die Erinnerung – dann weiß ich manchmal sogar, was ich gerade getan habe, als ich diese Art Süßes aß. Gleiches kann alleine durch den Geruch von Essen bei mir ausgelöst werden. Plötzlich kehren Erinnerungen zurück. Essen ist einfach eine sehr gute Art, die Tür in die Vergangenheit zu öffnen. Und manchmal nutze ich es genau zu diesem Zweck.
Das Gespräch führte Maria Dohmen
Rezepte aus „Greenfeast":
Paprika, Kichererbsen, Knoblauch
Erdig und knoblauchig. Eine samtige Creme zu warmem Fladenbrot.
Zutaten, für 4 Personen, als Beilage
Rote Paprikaschoten – 500 gOlivenölKnoblauch – 6 ZehenKichererbsen – 2 Dosen à 400 gThymian – 4 ZweigeLorbeerblätter – 2Paprikapulver – 1-2 Prisen
Zubereitung
Den Backofen auf 200 Grad vorheizen. Die Paprikaschoten längs halbieren, entkernen und die Hälften mit der offenen Seite nach oben in eine Backform legen. Ein wenig Olivenöl über die Paprika träufeln – gerade gut, um sie zu befeuchten – und die ungeschälten Knoblauchzehen hineinlegen. Ungefähr 40 Minuten backen, bis die Paprika weich sind und die Haut schwarz anläuft. Aus dem Ofen holen und die Haut abziehen. Den Knoblauch und den Saft aus der Backform beiseitestellen.
Die Kichererbsen abtropfen lassen, abspülen, wenn Sie mögen, aus den Häuten drücken, und in einen Topf kippen. Thymian und Lorbeer zugeben und mit Wasser bedecken. Zum Kochen bringen, die Temperatur herunterschalten und 15 Minuten köcheln lassen.
Die gekochten Kichererbsen abgießen, den Thymian beiseitelegen (den Lorbeer wegwerfen) und die Kichererbsen bis auf eine Handvoll mit den gebackenen, gehäuteten Paprika in einen Stabmixer geben. Wer mag, hebt noch eine zum Dekorieren der fertigen Creme auf.
Die Thymianblätter und die gebackenen, aus ihren Häuten gedrückten Knoblauchzehen mit dem Backsaft dazugeben. Zu einer glatten Creme pürieren und großzügig mit Salz und Pfeffer würzen. Die Paste auf eine Platte geben und mit einem Löffelrücken eine Mulde in die Mitte drücken.
Die restlichen Kichererbsen mit etwas Olivenöl in einer Pfanne erhitzen und ein paar Minuten anbraten, bis sie anfangen, sich goldbraun zu verfärben. Ein wenig Olivenöl über die Paste gießen und in die Mulde sickern lassen, die heißen Kichererbsen – und eventuell die geröstete Paprika – darüber verteilen und dünn mit Paprikapulver bestäuben.
- Eine Art Hummus. (Mir ist nicht wohl dabei, etwas so zu bezeichnen, das mehr enthält als Kichererbsen, Knoblauch, Zitrone und Öl.) Ich glaube wirklich, dass es sich lohnt, die Kichererbsen zu häuten (ich weiß, ich weiß, aber wenn Sie es einmal probiert haben, werden Sie vielleicht nie wieder umkehren). Sie können das sorgfältig machen, Erbse für Erbse, oder Sie reiben sie einfach zwischen den Handflächen, immer eine Handvoll auf einmal. So oder so entsteht ein glatteres Püree. Ihre Entscheidung.
- Ich sitze des Öfteren mit dieser Creme und einem Stapel warmem türkischem Pita-Brot am Esstisch, aber sie ist auch eine gute Beigabe zu kaltem Braten, gegrillten Auberginen und meinem Lieblingsessen, frittierten Artischocken.
Gnocchi, Tomaten, Radieschen
Heiße, knusprige, elastische Gnocchi. Eine knackige, erfrischende Salsa.
Zutaten für 2-3 Personen
Fertige Gnocchi – 500 gBunte Tomaten – 400 gRadieschen – 8Frühlingszwiebeln – 4Petersilie – 1 kleine HandvollKnoblauch – 2 ZehenOlivenöl – 3 EsslöffelButter – 40 g
Zubereitung
Einen großen Topf Salzwasser zum Kochen aufsetzen. Sobald das Wasser wild brodelt, die Gnocchi hineingeben. Kochen lassen, bis sämtliche Klößchen zur Oberfläche aufgestiegen sind. Mit einem Schaumlöffel herausheben und in einem Sieb abtropfen lassen.
Die Tomaten würfeln und in eine Schüssel geben. Die Radieschen in Scheiben schneiden, die Frühlingszwiebeln in dünne Ringe. Die Petersilienblätter fein hacken. Tomaten, Radieschen, Zwiebeln und Petersilie vermengen und kalt stellen.
Die Knoblauchzehen schälen und in feine Scheiben schneiden. Das Olivenöl in einer Pfanne erwärmen, dann die Butter bei mäßiger Hitze darin zerlassen. Den Knoblauch in die Öl-Butter-Mischung rühren. Die abgetropften Gnocchi dazugeben. Knoblauch und Gnocchi gut 10 Minuten anbraten, bis jedes einzelne Klößchen außen goldbraun und leicht knusprig ist. Der Knoblauch sollte satt walnussbraun sein. Die Gnocchi auf eine Servierplatte kippen, den Knoblauch und die Tomatenmischung dazugeben und sanft vermengen.
- Die Konsistenz der gekochten Gnocchi ist am erfreulichsten, wenn sie außen knusprig und innen zäh wie Kaubonbons sind. Sie sollten beim Anbraten scharf bewacht und hin und wieder mit einer Grillzange gewendet werden, damit sie gleichmäßig knusprig werden. Wenn sie fertig sind, sollten sie einen goldbraunen Haselnusston haben. Der Kontrast zwischen den heißen, weichen Klößchen und den knackig-kalten Tomaten funktioniert am besten, wenn der Salat gründlich gekühlt wird, bevor man ihn mit den dampfenden heißen Gnocchi vermischt.
- An kühleren Tagen könnten Sie die Tomaten 15 Minuten in ein wenig Olivenöl dünsten, damit sie zu einer improvisierten Soße zerfallen. Wenn sie fast weich sind, einen Spritzer Rotwein zugeben. Die heißen Gnocchi erst in letzter Minute mit der Soße vermengen, damit sie möglichst knusprig bleiben.
Kirschen, süßer Teig
Eine weiche, zarte Kruste für Kirschen, Beeren oder Pflaumen.
Zutaten für 6 Personen
Für den Teig:Mehl – 230 gButter – 140 gPuderzucker – 50 gEigelb – 1 großesEin wenig verquirltes Ei zum Verschließen und GlasierenFür die Füllung:Kirschen – 800 gBlaubeeren – 200 gMaisstärke – 3 EsslöffelUnbehandelte Zitrone – 1Zucker – 100 g (und noch ein wenig)
Zubereitung
Sie brauchen eine hochwandige Pie- oder Tarte-Form aus Metall von ungefähr 26 Zentimetern Durchmesser (am Rand gemessen).
Für den Teig das Mehl in eine Küchenmaschine geben und die in Stücke geschnittene Butter unterkneten, bis die Zutaten aussehen wie feine, frische Semmelbrösel. Alternativ die Butter mit den Fingerspitzen ins Mehl kneten. Puderzucker und Eigelb untermischen. Den Teig in eine Schüssel geben und mit den Händen zu einer glatten Kugel verkneten. In Backpapier oder Frischhaltefolie wickeln und 20 Minuten kalt stellen.
Die Kirschen in eine Schüssel entsteinen, die Blaubeeren und die Maisstärke dazugeben. Die Zitronenschale fein darüberreiben, dann die Zitrone halbieren und auspressen. Den Saft über die Früchte träufeln und mit Zucker bestreuen. Alles vermengen und beiseitestellen.
Ein leeres Backblech in den Ofen schieben und auf 200 Grad vorheizen. Den Teig in zwei Hälften schneiden. Die eine so ausrollen, dass sie Boden und Seiten der Backform bedecken, und vorsichtig hineinlegen; überstehenden Teig hängenlassen. Die Füllung mit einem Löffel darauf geben, dabei den Teigrand frei lassen. Diesen Rand mit ein wenig verquirltem Ei bestreichen.
Den restlichen Teig ausrollen und über die Pie legen, dabei den Rand fest zudrücken. Überstehenden Teig abschneiden. Den Teigdeckel mit verquirltem Ei bestreichen, in der Mitte ein kleines Loch hineinstechen, damit der Dampf austreten kann, und dünn mit Zucker bestreuen. 25 bis 30 Minuten auf dem vorgeheizten Blech backen, bis der Teigdeckel goldbraun ist.
- Mit einer Küchenmaschine ist der Teig in 5 Minuten fertig; wenn Sie ihn lieber von Hand machen, dauert das nicht viel länger. Der Teig ist extrem mürbe und seine Shortbread-artige Zartheit passt auch gut zu Aprikosen, Pflaumen oder Beeren.
Das Buch: Nigel Slater: „Greenfeast: Frühling / Sommer“, DuMont, 336 Seiten, 28 Euro