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3-Sterne-RestaurantJoachim Wissler kocht in Bensberg seit 20 Jahren auf Topniveau

Lesezeit 8 Minuten
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Vorfreude: Am 1. September kann Joachim Wissler endlich sein Drei-Sterne-Restaurant Vendôme im Althoff Grandhotel Schloss Bensberg wieder eröffnen.

  1. Am 1. September öffnet das Drei-Sterne-Restaurant Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg wieder.
  2. Joachim Wissler ist noch keine 30 Jahre alt, als er den ersten Stern erkocht.
  3. Was zeichnet die Küche des bodenständigen heute 57-jährigen aus?
  4. Was in 20 Jahren hinterm Herd des Vendôme passiert ist und was noch alles passieren soll in der Spitzenküche.

Der Mann wirkt entspannt. Beim Fototermin wird gescherzt. Immerhin steht nach über fünf Monaten Corona-Schließung endlich die Rückkehr ins Kreativleben an; am 1. September öffnet das Drei-Sterne-Restaurant Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg wieder. Der Chef gibt sich locker und zuvorkommend, unkompliziert. Doch in der Sache ist Joachim Wissler knallhart. Nach 20 Jahren an der Spitze der Sterneküche muss er keine Kompromisse mehr machen.

„Ich habe als fertiger Koch mein Profil immer weiter geschärft,“ erklärt Joachim Wissler die Strategie seines Erfolgs. „Man wird im Lauf der Zeit minimalistischer, formuliert die Idee klarer und klarer.“ Wie sich Produkte und Aromen zueinander und miteinander verhalten, das ist eines der bevorzugten Experimentierfelder des Bauernsohns – der auf seine kindlichen Lehrjahre in der Landwirtschaft seiner Eltern stolz ist.

Die Wurzeln seiner Küche

Die Verbundenheit mit der Natur, die Bodenständigkeit sind die Wurzeln seiner Küche geblieben. Das klingt paradox angesichts der Komplexität der Kreationen, für die der 57-Jährige mit schönster Regelmäßigkeit von den Granden der Restaurantkritik in den Himmel gehoben wird.

Doch wer so beharrlich nach dem besten Gemüse, Fisch oder Fleisch sucht, die Forelle aus dem bayerischen Lechtal dem Steinbutt ebenbürtig sieht oder das Landei mit Kaviar veredelt, der baut sein Essen systematisch von ganz unten auf. „Wie Picasso schüttelt er das alles aus dem Ärmel,“ war einmal im Restaurantführer Gault-Millau zu lesen, der bekannt ist für blumige Formulierungen. Doch der Vergleich hinkt, denn Wisslers Kunst ist keineswegs Ergebnis eines spontanen Geniestreichs. Der Koch selbst sagt es lieber so: „Ein Gericht ist wie ein modernes Designstück. Es entsteht aus Erfahrung, Wissen und Intuition.“

Erste Sterne im Schloss Reinartshausen

Joachim Wissler ist noch keine 30 Jahre alt, als er in Schloss Reinartshausen im Rheingau den ersten Stern erkocht, bald den zweiten. Der Wechsel nach Bensberg im Jahr 2000 wird zum Abenteuer. Hotelier Thomas H. Althoff hat gerade das Grandhotel im Schloss nobelst renoviert, und die Ambitionen sind groß. Wenige Kilometer entfernt in Schloss Lerbach – ebenfalls ein Luxushotel der Althoff-Gruppe – wirkt Dieter Müller, mit drei Michelin-Sternen der unumstrittene Platzhirsch der Gastronomie im Rheinland und darüber hinaus. In dessen Dunstkreis wagt sich Joachim Wissler, damals schon mit dem entsprechenden Selbstvertrauen, aber auch dem nötigen Respekt.

Bergisch Gladbach Hochburg der Sternegastronomie

Dann geht alles ganz schnell: 2001 ist das Vendôme in der Gourmetzeitschrift „Der Feinschmecker“ bereits Restaurant des Jahres, es gibt den ersten Michelin-Stern, ein Jahr darauf den zweiten, 2006 den dritten. Tatsächlich geht die Hoffnung Althoffs auf: In den 2000er Jahren wird Bergisch Gladbach die absolute Hochburg der nordrhein-westfälischen Sternegastronomie mit zwei sehr unterschiedlichen Handschriften, hier die große Oper, dort der moderne Minimalismus.

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Die beiden Starköche treffen auch bei diversen Kochevents aufeinander, beim Festival der Meisterköche in Schloss Bensberg beispielsweise, einem Mega-Event des Althoff-Imperiums, bei dem bis zu 18 Köche mit insgesamt 29 Sternen ihre Muskeln spielen lassen. Hausherr ist Joachim Wissler. Aus ganz Europa kommen die Gäste nach Bensberg und stehen Schlange.

2007 hört Dieter Müller auf

2007 hört Dieter Müller in Lerbach auf und übergibt das Restaurant an seinen langjährigen Souschef Nils Henkel. Dieser behält zwar zunächst die drei Sterne, doch der Zauber bröckelt. Zu sehr ist das Landgut im Wald mit Müller verbunden, der noch heute nicht weit entfernt in Odenthal lebt. Henkels Küche, „pur nature“ genannt, hat nicht den gewünschten Erfolg. 2011 verliert Henkel den dritten Stern. 2014 schließt Althoff überraschend das Hotel Schloss Lerbach, damit ist das Ende dieser Sterne-Ära in Bergisch Gladbach besiegelt. Joachim Wissler ist jetzt ohne Konkurrenz, zumal es in Köln nach wie vor keine Drei-Sterne-Küche gibt.

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Das Drei-Sterne-Restaurant Vendôme im Grandhotel Schloss Bensberg.

Schon vorher hat er den Nerv der Zeit erkannt – und den der einflussreichen Gourmetkritik. Zusammen mit seinem Restaurantchef Miguel Calero baut er den Genusstempel der Moderne auf: Luxuriös, großzügig im Ambiente, perfekt im Service, lässig und persönlich im Ton – ein Non-Krawattenladen ohne Trödel und Tinnef. Immer wieder wird Joachim Wissler Koch des Jahres, Bester Koch Deutschlands, belegt Platz 10 in der sogenannten Pellegrino-Liste, die die 50 besten Köche der Welt kürt. 2012 wird er schließlich erstmals „Koch der Köche“, die Auszeichnung wird von den Profikollegen vergeben und gilt deshalb als besondere Ehre. Längst ist seine Küche in Bensberg in der Profiszene ein begehrter Ort zur Weiterbildung geworden. „Zwölf, 13 Praktikanten haben wir in der Regel“ berichtet Wissler. „Das sind ausgebildete Köche, die nach oben streben.“ Sie kommen für zwei, manchmal drei Jahre, um seine besondere Philosophie zu studieren und Techniken zu lernen, die über das „normale“ Maß hinausgehen. Nicht ohne Stolz sagt der Lehrmeister: „Wenn sie diese Schule durchlaufen sind, haben sie Chancen, in den besten Küchen der Welt eine gute Stelle zu bekommen.“

Vorbild für Jung-Köche

Stolz ist Joachim Wissler auch darauf, Trendsetter und Vorbild für eine ganze Generation junger Köche zu sein. „Schauen Sie sich die Speisekarten der modernen Restaurant an,“ empfiehlt er. „Das ist alles von uns abgeguckt.“ Die Idee, jedes Produkt eines Gerichts einzeln zu benennen, „das haben wir als erste gemacht, jetzt machen es alle“. Die Präsentation der Gerichte auf den ungewöhnlichsten Gründen, vom dicken Wackerstein bis zur Glasscheibe, gehört ebenso dazu. Und natürlich die Idee, Produkte und Aromen aus ihren traditionellen Kontexten zu lösen und die Karten neu zu mischen.

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Joachim Wissler, lange der einzige Drei-Sterne-Koch in NRW, bei der Arbeit.

Da trifft die Gänseleber auf Zartbitterschokolade, Himbeere auf Räucheraal, Kalbskopf auf Spreewaldgurken, Atlantik-Lotte auf Weinbergschnecken – um nur einige Beispiele aus dem Geburtstagsmenü zu nennen, mit dem im Restaurant das Jubiläum des Chefs gefeiert feiert wird. Das Menü „20 Jahre Joachim Wissler“ gibt es in diversen Varianten vom Viergang-Gourmet-Lunch (165 Euro) bis zum Zehngang-Menü für 320 Euro. Es ist ein Potpourri durch die Jahre. Immer dabei die Wissler-Klassiker: „Auf keinen Fall fehlen darf Toffee von der karamellisierten Gänseleber, und Schweinekinn vom Sonnenschwein, das lieben unsere Gäste und es ist ja auch so ein Signature dish von mir ,“ zählt Wissler auf.

Dies alles findet man so oder so ähnlich vielfach imitiert auf den Karten der Republik. Joachim Wissler selbst hat vor zehn Jahren ein wegweisendes Kochbuch geschrieben, und im Internet pflanzt sich das Erfolgsrezept auch ungefiltert weiter.

Die Vorreiterrolle der Hochküche ist Fluch und Segen zugleich, wenn sie einerseits Aufregendes produziert, andererseits als Trendsetter haufenweise Nachahmer mit geringerer Sensibilität hervorbringt, die den Ruf der Lehrmeister schon zerstört haben, bevor der interessierte Esser überhaupt je beim „Original“ gelandet ist.

„Die Unruhe bleibt,“ beschreibt Joachim Wissler seinen kreativen Gemütszustand. „Nur wenn ich gefordert bin, bringe ich die beste Leistung.“ Im Lockdown hat er mit den Hufen gescharrt. Ungewohnt, eine so lange Zeit nicht zu arbeiten. Haben die Monate ihn auf ein anderes Gleis gesetzt? „Wir fangen da an, wo wir aufgehört haben,“ sagt er sehr bestimmt. „Ich muss mich nach dem Lockdown nicht neu erfinden. Ich muss keine alten Zöpfe abschneiden, um neu anzufangen, weil ich immer selbstkritisch bei der Arbeit bin.“

Jeder Teller muss makellos sein

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Landei und Imperialkaviar, 2020

Und perfektionistisch. Der Chefkoch gilt als unermüdlicher Arbeiter, der überall Hand anlegt. Manche sagen: Der mischt sich überall ein. Aber das Team weiß auch: schludern geht nicht. Jeder Teller, der die Küche verlässt, muss makellos sein, optisch wie geschmacklich. Auch das erwarten die Gäste, die viel Geld für ihr Erlebnis bezahlen. „Wenn ein Menü wie eine kulinarische Karussellfahrt ist, dann habe ich alles richtig gemacht.“ Gemeint ist damit vermutlich nicht die magenquirlende Achterbahn, sondern eher das entspannt rotierende Riesenrad mit seinen facettenreichen Weit- und Nahblicken.

Ökologischer Fußabdruck soll kleiner werden

Für die Zukunft sieht sich Joachim Wissler ganz selbstbewusst auf dem richtigen Weg, und zwar in Bensberg. „Ich habe es im Vergleich zu vielen Kollegen ja auch leicht,“ gibt er zu. Eingebettet in ein großes Hotel, muss er sich keine wirtschaftlichen Sorgen machen. „Ich habe die komplette Logistik und Buchführung zur Verfügung.“ In Sachen Ökologie geht noch was. Schon immer hat er seine Produzenten und Lieferanten handverlesen. „Ich will sehen, dass der ökologische Fußabdruck noch kleiner wird,“ fasst er ins Auge. „Das heißt nicht, dass wir nur noch regionale Küche anbieten werden, wie das jetzt Mode ist“, betont er. „Auf Meerestiere oder Atlantikfisch zu verzichten, wäre ein großer Verlust,“ findet er. Dennoch: Das Weidelamm vom Gutshof Poltingen aus Niederbayern ist qualitativ vermutlich besser als jenes aus Neuseeland, und wenn man einen Landwirt in der Eifel findet, der Flusskrebse exklusiv züchtet, dann wächst das Regionale über sich hinaus.

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Atlantik-Lotte und „Wilde Heimat“, 2020

Als künftigen Volkspädagogen in Sachen guter Ernährung sieht Wissler sich jedenfalls nicht. Das Vorbild von Kollegen, die sich in Schulen oder in der Öffentlichkeit dementsprechend engagieren, findet er gut. „Aber für mich ist das nichts.“ Ebenso wenig wie ein Engagement als TV-Koch. Lieber kümmert er sich um den professionellen Nachwuchs und die Philosophie des Kochens und Genießens. Er ist halt eher der Intellektuelle am Herd, vergleichbar mit einem Konzeptkünstler, für den das sichtbare Werk nicht vollständig ist ohne den gedanklichen Unterbau .

Deshalb ist es kein Zufall, dass er in Medien wie etwa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung fast schon heilig gesprochen worden ist. Die Geschichte, hieß es dort, werde ihm einst vielleicht die höchste Ehre erweisen: den Gang der Dinge in eine Zeit vor und nach ihm einzuteilen. Da ist die Rede von „schicksalhaftem Moment“ und „Zeitenwende in unserer kulinarischen Hochkultur“. Ob ihm solche Elogen schmeicheln oder eher unheimlich sind, darüber äußert sich Joachim Wissler klugerweise nicht.