Starkoch Dieter Müller„Wir Deutschen haben großen Nachholbedarf beim Würzen”
- Vor zehn Jahren ließ Spitzenkoch Dieter Müller die Drei-Sterne-Küche in seinem Bergisch Gladbacher Restaurant hinter sich.
- Um dem harten Arbeitsalltag zu entkommen, hatten seine Frau und er eigentlich eine Kochschule in Köln geplant. Doch dann kam alles anders.
- Ein Gespräch über Tiefkühlware beim Kochen auf dem Kreuzfahrtschiff und über den deutschen Gaumen, der außer salzig, süß, bitter und sauer kaum andere Geschmäcker kennt.
- Müller erklärt aber auch, in welcher Hinsicht sich die Deutschen beim Thema Essen gebessert haben.
Herr Müller, Sie haben lange Jahre Spitzenküche im Schloss Lerbach geboten, waren kulinarisch auf See unterwegs und sind Ende August bei den Fine Food Days in Köln dabei. Ist Ihnen das Kochen auf höchstem Niveau in die Wiege gelegt worden?
Wir haben zu Hause immer mitarbeiten müssen, nebenbei so manches Mal in der Nachbarschaft bei Bauern geholfen und dadurch schon früh gute und vor allem frische Produkte gegessen. Nach meiner Kochlehre war für meinen Vater klar, dass ich erstmal zwei Jahre zu Hause in unserem Hotel-Restaurant mit anpacke, bevor ich mich in einer anderen Küche weiterbilden kann.
Wie kreieren Sie neue Kompositionen?
Ich habe schon mal nachts vom Kochen und von Gerichten geträumt. Die schmecke ich im Kopf ab, jedoch den letzten Pfiff erhalten die Speisen erst am Herd. Oder ich sitze entspannt auf einem Rückflug aus den Ferien oder auch auf einer Reise mit der MS Europa und mache mir Notizen, weil ich irgendwo auf schönen Märkten interessante Produkte entdeckt habe, zu denen mir ein Gericht einfällt.
Ein Beispiel bitte.
Im Urlaub mit meiner Familie auf Phuket in Thailand vor ungefähr 28 Jahren aßen wir in einem winzigen Thai-Restaurant ein Süppchen, das aus Hühnerbrühe, Zitronengras, Ingwer und Kokosmilch bestand und in einer Schale als ein wässriges Etwas serviert wurde. Daraus wurde dann mein Klassiker, der „Cappuccino“, der Einzug in alle Restaurants in Deutschland hielt. Weil die Suppe aufgeschäumt in einer Kaffeetasse serviert wurde, nannte ich sie Cappuccino. Außerdem sollte sie nicht gelöffelt, sondern aus der Tasse getrunken werden, da sich die Aromen im Mund intensiver entwickeln, wenn man ein „Maulvoll“ anstatt eines Löffels voll isst!
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Sie haben die Küchenleitung Ihres Drei-Sterne-Restaurants im Schlosshotel Lerbach vor zehn Jahren abgegeben. Hatten Sie genug von der Arbeit im Gourmettempel?
Der dritte Stern im Lerbach war für mich der berufliche Olymp! Meine Frau und ich wollten nach fast vier Jahrzehnten nicht mehr diesen harten Arbeitsalltag, wir wollten in unserem Alltag was ändern und hatten geplant, Lerbach zu verlassen. Dass dann einen Monat nach unserem Weggang das verlockende Angebot der MS Europa kam – damit hatten wir nicht gerechnet. Eigentlich hatten wir eine Kochschule in Köln geplant. Dass erstmalig ein Sternekoch an Bord eines Schiffes ein Restaurant seines Namens haben sollte, reizte mich sehr. Zumal ich die MS Europa schon als Gastkoch Jahre zuvor kennen und schätzen gelernt hatte.
Sie haben an Bord Ihr eigenes Restaurant?
Ja sicher! Das Restaurant Dieter Müller mit seinen 30 Plätzen ist das einzige der Welt auf einem „Fünf-Sterne-plus-Kreuzfahrtschiff“. Ich bin jährlich 70 bis 80 Tage an Bord gewesen, aufgeteilt auf verschiedene Reisen, die acht bis 14 Tage dauern. Und ich habe mit meiner kleinen Mannschaft alles getan, um die Gäste und meine Fans – und das waren viele, die aus der Lerbach-Zeit auf dem Schiff waren – glücklich zu machen.
Zur Person
Spitzenkoch Dieter Müller, 71, verheiratet, drei Kinder, lebt mit seiner Frau Birgit in Odenthal. Geboren wurde Müller in Süddeutschland, lebt aber schon an die dreißig Jahre im Rheinland. Müller erhielt 1974 den ersten Stern und hat die kulinarische und gastronomische Entwicklung Deutschlands maßgeblich geprägt. Von 1992 bis 2009 war er Küchenchef und Patron im Gourmet-Restaurant Dieter Müller im Schlosshotel Lerbach. 1997 erkochte er seinen dritten Michelin-Stern. 2010 übergab er an Nils Henkel und eröffnete ein Restaurant seines Namens auf der „MS Europa“ der Reederei Hapag Lloyd. Das Engagement endet im Herbst. In Odenthal führt Müller mit seiner Frau eine Kochschule; seit Januar 2019 zudem als Patron in Berlin das Restaurant „POTS by Dieter Müller“ im Hotel Ritz Carlton.
Müller ist auch bei den „Fine Food Days Cologne“ dabei, einem Festival mit Spitzenköchen aus Köln und der Region und besonderen Genuss-Events vom 31. August bis 8. September.www.finefooddays.cologne
Ihren qualitativ hohen Anspruch konnten Sie also auch auf dem Schiff beibehalten?
Natürlich habe ich den beibehalten. Wenn man so viele Jahre auf so hohem Niveau gekocht hat, gibt man sich nicht mit weniger Qualität zufrieden. Und außerdem bin ich sehr ehrgeizig. Ich habe den Einkauf vorgegeben, aber dennoch ist auf einem Schiff nicht alles so zu realisieren wie an Land. Das musste ich akzeptieren. Vieles muss tiefgefroren angeliefert werden und man hat auf See natürlich nicht den Zugriff auf die vielen hervorragenden frischen Produkte, die mittlerweile vor allem auch in Deutschland auf jedem Markt zu erhalten sind. Innerhalb der Reisen in Europa ist das kein Thema, aber fahren Sie mal von Neuseeland durch die Südsee – da gibt es Herausforderungen für die Küche!
Weiß der Gast die Sterneküche heute mehr zu schätzen als noch vor Jahren oder müssen wir noch Defizite aufarbeiten?
Ja, ich denke, vor allem beim Würzen und dem Schmecken der Gewürze haben wir noch Nachholbedarf. Das ist generell ein Problem bei uns Deutschen. Wir kennen oft nur salzig, süß, bitter, sauer. Aber sowohl Salz als auch Zucker sind lediglich Geschmacksverstärker, mehr nicht. Es bedarf, wie immer beim Würzen, der richtigen Dosis. Raffiniert werden Gerichte erst durch die Würze mit diversen Kräutern, verschiedenen Pfeffersorten, einem Hauch Chili und vielen Aromen mehr. In Japan, Thailand, Vietnam, Indien und anderen Ländern habe ich begeistert gestaunt und erfahren, was geschmacklich alles möglich ist.
Sind wir in Deutschland auf dem Weg, echte Genießer zu werden?
Ja, deutlich mehr Menschen gehen heute in Sterne-Restaurants und auch in viele gute andere Restaurants ohne Stern. Die Schwellenangst, die man noch vor 30 Jahren vor Sterne-Restaurants hatte, braucht heutzutage keiner mehr zu haben. Es ist alles lockerer und selbstverständlicher geworden. Auch, dass Familien mit ihren Kindern ausgehen und ihnen vermitteln, dass es noch was anderes gibt als Pommes und Schnitzel oder Pizza. Und vor allen Dingen, dass man lernt zu Hause selbst Frisches zu kochen, gemeinsam am Tisch zu sitzen und miteinander die Mahlzeiten einzunehmen.
Führt das zu einer anderen Lebenskultur und einem anderen Blickwinkel auf Lebensmittel?
Davon bin ich überzeugt. Es ist doch wunderbar, wenn Eltern mit ihren Kindern einfach nur so und ohne Plan über die Wochenmärkte schlendern. Wenn sie sich alles anschauen und sich vorstellen, was man daraus zaubern kann. Nur so lernt man zu schmecken, dass ein Bio-Ei ein großer Genuss ist. Mittlerweile geben mehr Menschen beim Einkauf mehr Geld für gute Ware aus.
Ist das nur ein Trend oder mehr?
Die Menschen sind qualitätsbewusster als noch vor Jahren. Und sie realisieren, dass es reicht, nur ein- oder zweimal pro Woche hochwertigen Fisch oder sehr gutes Fleisch auf dem Teller zu haben. Die anderen Tage kann man mit Gemüse und einfachen Gerichten genießen. Es darf auch ruhig mal „Himmel un Ääd“ sein. Und man sollte sich klar machen, dass wir gute Lebensmittel vor Ort haben. Wir haben beispielsweise in Deutschland den besten Spargel. Ich muss also keinen argentinischen kaufen. Diese Erkenntnis und danach zu handeln, das ist ein guter Trend.
Auch in den angesagten Restaurants?
Dort bevorzugt man mittlerweile ebenfalls das Regionale, serviert auch nicht mehr so viele Gänge. Wir wollen glückliche Gäste und wir wollen unsere Gäste nicht belehren, sondern Genuss und Qualität lehren, ihnen vermitteln, dass sie sich auf die Kreativität des Küchenchefs verlassen, sich auf die Empfehlung des Sommeliers einlassen können, um so den Geschmack für Neues zu entdecken.
Bei den Fine Food Days Ende August sind auch junge Kollegen von Ihnen dabei. Was halten Sie von der jungen Kochszene in Köln?
In Köln haben wir sehr gute, junge Köche, die in ihren Restaurants ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bieten, selbst wenn sie noch keinen Stern erkocht haben. Ich bin überzeugt, dass die Kölner Fine Food Days eine Bereicherung für die Gastro-Szene sind, dass sie wiederholt und wachsen werden. Ich jedenfalls freue mich sehr auf dieses Event und darauf, an zwei Tagen dabei sein zu können in der Wolkenburg.
Um den Nachwuchs müssen wir uns also keine Sorgen machen?
Leider hängen immer noch viel zu viele junge Köche ihren Beruf an den Nagel; in der Ausbildung brechen sogar 30 bis 50 Prozent ab. Der Hauptgrund sind Arbeitszeiten und Bezahlung. Deshalb muss der Nachwuchs motiviert werden, zum Beispiel über Wettbewerbe. Ich engagiere mich seit Jahren ehrenamtlich beim „Koch des Jahres“ . So kann man jungen Menschen eine Plattform bieten, um auf sie und deren Betriebe aufmerksam zu machen.
Sie verlassen im Oktober die MS Europa und haben neue Pläne?
Schon seit Januar bin ich immer wieder in Berlin im Restaurant „POTS by Dieter Müller“ im Hotel Ritz Carlton am Potsdamer Platz. Dort wird in einem jungen, stylischen Ambiente eine zeitgemäße moderne deutsche Küche angeboten. Alte Gerichte neu inspiriert und so serviert, dass man sie teilen kann – zum Beispiel Königsberger Klops mit „Berliner Hummer“.
Sie werden also zukünftig zwischen Odenthal und Berlin pendeln?
Ja, und zu anderen Stationen, wo ich als gefragter Gastkoch Events bekoche oder Kochkurse gebe. Ich fühle mich topfit und mein Alter ist nur eine Zahl. Ich tue einiges dafür, und wenn es die Zeit erlaubt, radel ich durchs Bergische, gehe regelmäßig schwimmen und im Winter Skifahren. Dass ich mal keine Lust mehr auf Kochen, Genießen und Gastronomie haben könnte, kann ich mir gar nicht vorstellen.