Trend aus Finnland„Hobby-Horsing“ – den Freizeit-Sport gibt es auch in Köln
Köln – Wenn Bruno, 11, zum Supermarkt am Blücherpark galoppiert, erntet er schonmal schräge Blicke. Auch der ein oder andere Kumpel versteht die Welt nicht mehr, wenn er die fünf Pferde in Brunos Zimmer erspäht – stets in greifbarer Nähe neben seinem Bett. Nur die Nachbarn, der Büdchen-Besitzer zum Beispiel, schütteln lange nicht mehr den Kopf, wenn sie den Jungen treffen, in Begleitung seines zwischen die Beine geklemmten Lieblingspferdes Bobby. Im Gegenteil: „Sie winken mir zu und fragen, wie's uns geht“, sagt der Sechstklässler, dessen Steckenpferd Steckenpferde sind. Handgefertigt aus einem Holzstiel, Stoff und Wolle.
Hobby-Horsing – ein finnischer Trendsport
„Hobby Horsing“ heißt der Freizeit-Trend, der aus Finnland zu uns kam und der Gymnastikelemente mit Leichtathletik und den wichtigsten Disziplinen des Reitsports vereint. Schon im antiken Griechenland sollen die Kinder aus Spaß auf einem Stecken herumgeritten sein. Warum es ausgerechnet die Finnen waren, die diese Leidenschaft in den 80er Jahren wiederentdeckten, ist nicht bekannt.
Fakt ist, dass der Film „Hobby Horsing Revolution“ dem Fun-Sport im Jahr 2018 zum Durchbruch als Volkssport verhalf, als er beim Filmfestival in Tampere zwei Auszeichnungen absahnte. Darin geht es um den therapeutischen Aspekt des Sports und darum, wie jugendliche Frauen mit dessen Hilfe ihre Seelen ins Gleichgewicht brachten. Inzwischen gibt es in Finnland geschätzte 10 000 Anhänger, besser gesagt: Anhängerinnen, denn die meisten sind Mädchen zwischen zehn und 18 Jahren. Regelmäßig werden regionale Turniere organisiert – einmal im Jahr gibt es eine nationale Meisterschaft. Viele Fans schätzen auch das kreative Element, Do-it-yourself wird groß geschrieben, industriell gefertigte Pferde sind verpönt.
Handgearbeitete Steckenpferde mit Liebe zum Detail
Auch bei Bruno, dessen hölzernes Gestüt von Hobby Horses Cologne stammt, einem kleinen Lövenicher Atelier, mit dem sich Jasmin Kraft zu Beginn des Jahres 2019 selbstständig machte. Dort produziert die 40-jährige, gelernte Tanzlehrerin in Handarbeit und mit viel Liebe zum Detail Steckenpferde samt Zubehör. Trensen, Decken, Fliegenohren. Möglichst naturgetreu, zwischen 150 und 250 Euro das Stück. Ihre Kunden stammen aus ganz Deutschland, inzwischen mehren sich auch die Anfragen aus Österreich und Dänemark.
Jasmin Kraft ist die Schöpferin von Brunos Pferden und sie ist seit Mai 2020 auch seine Trainerin, ihre Tochter Lara, 12, seine Mannschaftskollegin – wie 24 weitere Mädchen zwischen neun und 13 Jahren. Trainiert wird jeden Mittwoch, vorausgesetzt die Corona-Schutzmaßnahmen lassen es zu, in der Halle des TUS Brauweiler. Bei schönem Wetter geht's auf die Wiese hinter dem Vereinsgebäude – oder in die Prärie.
„Es gibt keinen reinen Mädchen- oder Jungen-Sport, so ein Blödsinn!"
Schließlich gehören Ausritte zum Trainingsprogramm wie Dressur- und Springreiten, Brunos Lieblingsdisziplin, egal ob auf dem Rücken eines Steckens oder eines echten Tieres. „Ich bin pferdevernarrt, seitdem ich klein bin, habe Reitunterricht und eine Reitbeteiligung“, schwärmt der Gesamtschüler, der für die Fragen vieler Mitschüler, ob er da nicht ein reines Mädchen-Hobby betreibe, nur minimales Verständnis aufbringt: „Es gibt keinen reinen Mädchen- und keinen reinen Jungen-Sport, so ein Blödsinn, Mädchen können Fußball spielen und Jungen eben reiten. Basta.“ Brunos Lieblingsdisziplin ist das Springreiten: „Ich finde es ist die sportlichste Disziplin, ich komme zwar noch nicht über 90 Zentimeter, habe aber im Stilspringen schon mal den ersten Platz gemacht.“
Während es beim Stilspringen vor allem um Eleganz und Körperhaltung geht, zählen beim Zeitspringen Geschwindigkeit und Geschicklichkeit. Bis zu 1,40 Meter springen die Profi-Hobby-Horserinnen hoch. Brunos großer Traum. Weshalb er es kaum erwarten kann, dass die Corona-Schutzmaßnahmen gelockert werden, damit er beim Training in Brauweiler an den von Jasmin Kraft aufgestellten Hundehürden, ein Stecksystem aus Kunststoffrohren, weiter an seinem Ziel arbeiten kann. Bis dahin bleiben ihm nur die Ausritte in den Blücherpark, oder über die Straßen seines Veedels.
Hobby Horsing fördert Koordination, Ausdauer und Kreativität
Team-Kollegin Lara liebt das Dressurtraining, weil es „so anmutig und sportlich zugleich ist.“ Ihr Lieblingssteckenpferd, den Schimmel Holly, lenkt sie dabei elegant von links nach rechts, durch die Halle, von Bande zu Bande, egal ob im Schritt, Trab oder Galopp, aber immer mit Bedacht und langen Fußspitzen. „Man lernt viel über die Anatomie der Pferde, schließlich müssen wir die Bewegungsabläufe ihrer Vorderbeine imitieren“, sagt Lara, die schon an zwei überregionalen Turnieren in Langenfeld und Kalletal teilgenommen hat. Und die ihr Hobby, wie sie selbst sagt, „im Inneren erfüllt“.
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Fehlt nur noch die Siegerschleife von einer deutschen Meisterschaft. Die könnte in nicht allzu weiter Ferne Laras Jugendzimmerwand zieren. „Man munkelt, dass die deutsche Reiterliche Vereinigung gerade an der Ausrichtung einer nationalen Meisterschaft arbeitet“, sagt Jasmin Kraft. Selbstverständlich wird sie mit ihrer Mannschaft daran teilnehmen, wie die circa 50 weiteren Kollegen, die bislang im deutschen Trainerzusammenschluss vereint sind.
Kraft erzählt von den vielen Kompetenzen, die das Hobby Horsing fördert. Neben Koordination, Ausdauer und Konzentration sind das auch Kreativität und Fantasie. Kraft zitiert aus einem Artikel des Bundesportmagazins, dessen Titel „Am Steckenpferd zu mehr Selbstbewusstsein“ lautet. Wer Bruno von seinem Hobby schwärmen hört, der ahnt, dass das nicht übertrieben ist: „Ich würde mich zwar freuen, wenn ich nicht der einzige Junge in der Mannschaft bleibe, aber wenn die Typen das weiterhin belächeln, ist mir das egal. Ich mache, was ich liebe“ - Hobby Horsing.