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KonsumMindesthaltbarkeitsdatum sorgt für Wegwerfreflex

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Nur gerettete Lebensmittel

Wir leben alle in unserer eigenen Filterblase. Wenn wir irgendetwas aus Trump, Brexit und der desaströsen Bundestagswahl gelernt haben, dann das. Die Bubble ist schuld. Sie existiert in den verschiedensten Bereichen: Politik, Gesellschaft, Sport, Kultur. Jeder Mensch hat eine, seine ganz individuelle Blase, die an verschiedenste Merkmale gekoppelt ist. Sie lässt nur die Informationen durch, die ins eigene Weltbild passen. Dieses wird durch Bildung, Erfahrung, das soziale Umfeld und alles, was einen Menschen so ausmacht, geformt.

Die Annahme Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit, Saisonalität, Regionalität und Respekt vor Lebensmitteln wären mittlerweile fest verankert im öffentlichen Bewusstsein, ist ein Trugschluss. Zumindest wird nicht danach gehandelt. Menschen in Deutschland produzieren mit 618 Kilogramm pro Kopf (im Jahr 2014) mehr Müll, als die meisten ihrer europäischen Nachbarn. Der EU-Durchschnitt liegt bei 474 Kilogramm pro Einwohner. Das steht im direkten Widerspruch zur jüngsten Umfrage des Umweltbundesamtes. Darin benennt die deutsche Bevölkerung den Umweltschutz als eines der wichtigsten Probleme. Wir trennen Müll mit großer Ernsthaftigkeit und fragen im Auslandsurlaub regelmäßig, ob Pfand auf der Flasche sei, um anschließend in verständnislos starrende Gesichter zu blicken. Im Bereich „ungeliebte Plastiktüte“ machen wir im EU-Schnitt eine gute Figur.

Diskrepanz in Deutschland

Deutschland ist vorbildlich mit einem der niedrigsten Werte bei einmal verwendeten und weggeworfenen Plastiktüten je Verbraucher. Trotzdem: Die Deutschen verursachen zu viel Müll. Und das, obwohl sie eine negative Einstellung zum Wegwerfen und dem Verschwenden von Ressourcen haben. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären? Der mündige Konsument, der aufgeklärte Besserverdiener, macht alles richtig, aber der Rest nicht?

„Umweltschutz muss man sich erstmal leisten können“ oder „Nachhaltigkeit ist ein Luxusprojekt“ sind viel gehörte Sätze. Sie dienen leicht als Ausrede;, und wer wollte elitär oder paternalistisch wirken? Auch das Nachhaltigkeitsbewusstsein urbaner Mittelständler zu belächeln ist bequemer, als Gewohnheiten zu ändern. Die Öko-Hipster mit ihrem Gutmenschentum, die in der breiten Bevölkerung überhaupt nichts bewirken, die globalen Verzweigungen der Industrie nicht verstehen und mit Fair-Trade-Kaffee und handgeklöppelten Tassenwärmern gegen Windmühlen kämpfen.

Der Müll der Anderen

Noch vor dreißig Jahren hielt sich die Mehrheit die Bäuche über das Auftreten und die Inhalte der Grünen. Heute gehören sie völlig selbstverständlich zur Regierung und Deutschland zählt in umweltpolitischen Fragen zu den führenden Nationen. Die Idee vom Atomausstieg galt lange als hanebüchen und restlos illusorisch. Er ist beschlossen. Autos mit E-Antrieb waren in der Kfz-Republik lange die ganz große Lachnummer. Das Lachen wird leiser. Filterblasen können sich verändern. Dafür brauchen sie Zeit.

Wir nehmen uns als mündige Verbraucher wahr. Wir wissen genau was richtig und was falsch ist. Im Jahr 2015 fielen in Deutschland 5,92 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Etwa 84,5 Prozent davon entstanden nach dem Gebrauch der Kunststoffe. Die restlichen 15,5 Prozent fielen bei der Herstellung und vor allem bei der Verarbeitung von Kunststoffen an.

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Krummes Gemüse

Wer ist es also, der immer häufiger beim Online-Versand bestellt und so Unmengen an vermeidbarem Müll verursacht? Wir sind es. Wer ist es denn, der sich von der psychologischen Obsoleszenz, also dem Wunsch nach einem neueren Modell, obwohl das alte Gerät noch nutzbar ist, nicht freispricht? Sind nicht wir es, wir, die die Vermarktungsstrategien doch klug durchschauen? Oder sind das mit dem Müll die Anderen? Die im Discounter Billigfleisch kaufen, zum Frühstück Cola trinken und vor ihren Kindern rauchen. Die sind doch sicher auch dafür verantwortlich, dass im Durchschnitt jeder Bundesbürger im Jahr circa 80 Kilogramm genießbare Lebensmittel wegschmeißt. Sie wissen es ja nicht besser. Außerdem tragen Industrie und Politik schließlich auch noch Verantwortung für die Missstände. Sogar für das ganze System. Ausweglosigkeit als generelle Antwort. „Bringt ja eh nix.“

Perfektes Gemüse

Es gibt genug Anlass für Verbitterung. Die Industrie verringert bewusst die Nutzungsdauer ihrer Produkte. Reparieren ist für den Konsumenten selten eine Option, weil die Reparatur wahlweise unmöglich oder zu teuer und der Besitz des neuen Modells zum Statussymbol geworden ist. Der unfassbare Verpackungswahnsinn der Industrie ist ein Kapitel für sich. Die ohnehin schon ungewollte Postwurfsendung, die dann auch noch in Folie eingeschweißt im Briefkasten landet, sorgt regelmäßig für Tobsuchtsanfälle im Hausflur. Ein kleines Beispiel aus dem Alltag mit vielen großen Nachzüglern.

Die Lebensmittelindustrie vermarktet seit Jahrzehnten perfektes Gemüse. Es gibt EU-Richtlinien über Gurkenlänge, -krümmung und -Durchmesser. Diese Verordnungen existiert für jedes Gewächs. Alles was durch die Sortiermaschine fällt, landet in der Verarbeitung oder im Müll. Wir sind dazu erzogen worden, ausschließlich perfektes Gemüse im Handel zu erwarten. Krumm gleich Tonne.

Wegwerfreflex

Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist eigentlich ein Instrument zum Schutze des Konsumenten, bei genauer Betrachtung dient es allerdings dem Schutz des Lebensmittelherstellers und sorgt für absurde Auswüchse. Für den Verbraucher ist das MHD ein Fixwert. Wird es überschritten, setzt der Wegwerfreflex ein. Steht ja quasi drauf, dass das Produkt schlecht ist. Dabei könnte man auch seinen angeborenen Sinnen vertrauen und einfach mal am Joghurt riechen oder sogar probieren. Das Datum ist ein Richtwert und sagt nicht, dass Lebensmittel nach Ablauf automatisch ungenießbar sind. Das MHD ist an die sogenannte Produkthaftung gebunden. Der Hersteller haftet während dieses Zeitraums für die Verzehrtauglichkeit des Produkts. Nach Ablauf ist der Verbraucher auf sich gestellt.

Mindesthaltbarkeitsdatum für Himalaya Salz

„Es gibt ein Mindesthaltbarkeitsdatum für Himalaya Salz, was seit Millionen von Jahren in den Bergen lagert. Ist es verpackt , muss es für den Verbraucher ein Haltbarkeitsdatum bekommen“, erklärt Konsumexperte Stefan Wahlen. Die Extreme der Produkthaftung sorgen in Deutschland dazu, dass Supermärkte genießbare Lebensmittel wegschmeißen und ihre Mülltonnen mit Vorhängeschlössern versehen.

In Frankreich hält die Regierung seit 2015 Supermarktketten dazu an, überschüssige Lebensmittel gemeinnützigen Organisationen zu spenden. Es gibt sie also, die Veränderung. Es gibt Menschen, die dem großen Gewohnten etwas entgegensetzen.

Kleine Projekte wie der Unverpackt-Laden im beschaulichen Familienviertel werden nicht dafür sorgen können, dass sich die 140 Millionen Tonnen Plastik in den Weltmeeren in Luft auflösen. Aber an den acht Millionen Tonnen, die jährlich hinzukommen, ändern sie etwas. Auch wenn es nur 500 Gramm sind. Nachhaltige Lebensstile gehören zu den ersten Schritten einer politischen Konsumbewegung. Der Wegwerfgesellschaft so lange auf den Wecker gehen, bis das Thema alltäglich wird. Trumps Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen ist ein Grund für gnadenlose Resignation, aber was ist die Alternative? Depression? Dann bin ich lieber ein idealistischer Gutmensch, der die Realität verdrängt und Gemüse rettet.

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