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Rheinland für EntdeckerSchnaufend durchs Heinsberger Land mit der Selfkantbahn

Lesezeit 6 Minuten

Marina Meffe ist mit Tochter Lavinia unterwegs, der Fahrtwind kitzelt den beiden in der Nase.

Die Hauptattraktion ist 62 Jahre alt, wiegt knapp sieben Tonnen und raucht. „Wow“, sagt ein Junge begeistert, als die Dampflok in den Bahnhof Schierwaldenrath einfährt. Ein älteres Ehepaar zückt die Fotoapparate. Ihre Tickets für die nächste Fahrt haben sie schon griffbereit. Sonntags ist am Kleinbahnmuseum Selfkantbahn in Gangelt viel los. Auf mehr als 100 Jahre alten Schienen tuckert hier die letzte schmalspurige Kleinbahn Nordrhein-Westfalens.

Selfkantbahn

Die Bahn fährt regulär an Sonn- und Feiertagen zwischen dem 1. April und dem 30. September, jeweils fünf Mal pro Tag. Dazu kommen Sonderfahrten, zum Beispiel zum Herbstfest Ende September, oder die Nikolausfahrten im Winter. Hin- und Rückfahrt 6,60 Euro, Tageskarte 12,50 Euro, Kinder 3,30 Euro, unter fünf Jahren kostenfrei, ebenso Schwerbehinderte mit Begleitperson, Familienkarte 18 Euro. Gruppenrabatt ab 20 Personen.

www.selfkantbahn.de

Möglich macht das der Verein Interessengemeinschaft historischer Schienenverkehr (IHS), der die Museumsbahn seit fast 50 Jahren betreibt. „Die Geschichte dieser Bahn ist etwas ganz Besonderes“, sagt der Vorsitzende Bernd Fasel. Die sechs Kilometer lange Strecke wurde nämlich bereits 1900 von Dampflokomotiven und Zügen der Geilenkirchener Kreisbahnen befahren – „sowohl für den Personen- als auch für den Gütertransport“. Im Zweiten Weltkrieg wurden Fahrzeuge und Anlagen stark beschädigt, danach stiegen immer mehr Fahrgäste auf Autos um. 1960 wurde der Personenverkehr auf der Strecke endgültig eingestellt.

An jedem Sonn- und Feiertag unterwegs

Das Ende der Kreisbahn war das aber nicht: Immer noch wurden Güter wie Zuckerrüben und Kunstdünger transportiert.  Als eine der wenigen Bahnen in Deutschland, deren Spur nur einen Meter breit ist, fuhr die Kreisbahn noch bis Anfang der 70er Jahre. Schnell gab es Überlegungen, den Dampflokbetrieb als Museumsbahn aufrecht zu erhalten. Und das Vorhaben gelang: Bis heute fährt die Selfkantbahn zwischen April und September an jedem Sonn- und Feiertag zwischen Schierwaldenrath und Gillrath.

Vor der Abfahrt wird Kohle und Wasser geladen – für die Ehrenamtlichen ist das Schwerstarbeit.

Seit 1996 gibt es zudem ein Kleinbahnmuseum mit rund 50 Exponaten, unter anderem von der Sylter Inselbahn. Dazu kommen eine eigene Werkstatt und ein Kohlebunker. „Unsere Dampfloks werden traditionell mit Kohle betrieben“, erklärt Bernd Fasel. Zur Lok kommen mehrere Personen- und ein Buffetwagen. Gefahren wird bei Regen wie bei Sonnenschein. Die erste Fahrt geht um 11.15 Uhr ab Schierwaldenrath. Bis zum Zweitbahnhof Gillrath, an dem es ebenfalls Tickets zu kaufen gibt, dauert es hin und zurück eineinviertel Stunden.

Pro Fahrtag braucht es zwölf Mitarbeiter, sagt IHS-Gesellschafter Detlef Böttcher, der an diesem Sonntag in glattgebügelter blau-roter Eisenbahneruniform Fahrkarten verkauft: „Unser Verein hat 80 aktive Mitglieder, aus denen sich die ehrenamtlichen Lokführer, Schaffner und Fahrdienstleiter rekrutieren.“ Diese müssen zuvor sogar eine Ausbildung absolvieren, schließlich werden Personen befördert.

Detlef Böttcher verkauft in glattgebügelter  Eisenbahneruniform Fahrkarten.

Auch Christoph Sega hat sich beim IHS ausbilden lassen: erst zum Heizer, dann zum Schaffner, schließlich zum Lokführer. Eigentlich ist der 26-Jährige aber Jurist, bereitet sich auf sein zweites Staatsexamen im Herbst vor. Sega stammt aus Birgden, das an der Strecke liegt. Schon seit seiner Kindheit begeistert er sich für Eisenbahnen. „Erst aus Holz, dann kam die erste Modelleisenbahn , und mit zwölf habe ich angefangen, hier mitzuarbeiten“, erzählt Sega während einer 15-minütigen Verschnaufpause zwischen zwei Fahrten. Schon nach einer Fahrt ist er völlig verschwitzt. Kein Wunder: Im Kesselraum der Dampflok herrschen Temperaturen um die 50 Grad.

Auch der Nikolaus ist dabei

Davon bekommen die Gäste nichts mit. In den gemütlichen Personenwagen, die zwischen 60 und 100 Jahre alt sind, sind alle Fenster geöffnet. An Bord sind viele Familien mit Kindern, aber auch Reisegruppen, die teils von weither gekommen sind. Hannelore Meinzenbach genießt den Ausblick von einem kleinen Austritt. Die 78-Jährige ist aus Dormagen angereist und fährt zum ersten Mal mit der Selfkantbahn. Enkel Christian hat ihr die Fahrt geschenkt. Die beiden sind auf Genusstour unterwegs – mit der Bahn von Gillrath nach Schierwaldenrath, leckeres Essen in der Bahnhofsgaststätte und wieder zurück. „Eine tolle Kombination“, sagt Meinzenbach, „perfektes Wetter, schöne Landschaft und leckerer Spargel.“ Solche Themenfahrten gibt es nicht nur im Frühjahr, sondern auch im Herbst. Zu den beliebtesten gehören IHS-Vorsitz Bernd Fasel zufolge die Nikolausfahrten im Dezember. Bis zu 400 Personen fahren dann in den beheizten Wagen mit, die Schaffner patrouillieren in dicken Wintermänteln und mit historischen Laternen. „Und der Nikolaus kommt auch“, sagt Fasel.

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Im Buffetwagen gibt es Kaffee, Kuchen – und gute Laune. Die Tische sind voll besetzt, ab und zu wird sogar ein Lied angestimmt. Genau wegen dieser Stimmung, sagt Kellner Jan van Klink, arbeitet er hier. Der Niederländer ist wie alle ehrenamtlich an Bord.  „Letztes Jahr kam ich als Passagier“, erzählt der 46-Jährige, „aber dann fand ich es so super, dass ich mithelfen wollte.“ An zehn bis zwölf Wochenenden im Jahr kommt er aus Zeeland nach Gangelt. Er sei technikbegeistert – „und hier stimmen auch Stimmung und Aussicht“.

Draußen zieht das Heinsberger Land vorbei: Ab und zu kann man Störche auf ihren Nestern beobachten, Kinder winken den Reisenden zu. Die Fenster sind geöffnet, der Fahrtwind kitzelt in der Nase. Urlaubsstimmung – und das auf schmaler Spur.

Alles rund um ihren Ausflug

Anreise: Die Selfkantbahn verkehrt zwischen den Bahnhöfen Schierwaldenrath (Am Bahnhof 13a, 52538 Gangelt) und Gillrath (Bergstraße 1, 52511 Geilenkirchen). An beiden kann man Tickets kaufen und einsteigen. Mit dem Auto über die A 44 bis zur Ausfahrt Aldenhoven, dann auf der B 56 bzw. B 221 in Richtung Geilenkirchen bis zur Abfahrt Sittard; oder auf der A 46 bis zum Autobahnende, und dann auf der B56n weiter bis zur Ausfahrt Waldenrath/Birgden. Die Wege zu den Bahnhöfen Schierwaldenrath und Gillrath sind – aus Richtung Sittard – ausgeschildert.

Einkehr: Direkt am Bahnhof Schierwaldenrath gibt es die Gaststätte „Gleis 3“, die einfache, regionale Küche sowie Kaffee, Kuchen und Eis im Angebot hat. Nahe des Bahnhofs in Gillrath befinden sich die Restaurants „Pfefferkorn“ (gutbürgerlich, Pfarrer-Lowis-Straße 5, 52511 Geilenkirchen) und „Il Genio Gillrath“ (italienisch, Karl-Arnold-Straße 146, 52511 Geilenkirchen).Mit Kindern: Die Bahnfahrt ist auch für Familien ein Erlebnis und mit knapp über einer Stunde auch nicht zu lang. Dazu bietet das Kleinbahnmuseum einmal pro Monat sonntags Kinderführungen an, in diesem Jahr noch am 12. August und 23. September.

In der Nähe befindet sich außerdem der Wildpark Gangelt (Schinvelder Straße, 52538 Gangelt, bei Vorlage des Bahntickets gibt es Rabatt), einer der größten Wildparks Europas. Hier gibt es Wölfe, Bären, Luchse und Wisente zu sehen, dazu eine Falknerei und einen Streichelzoo.Bei schlechtem Wetter: Im Bauernmusem Tüddern (Kämpchen, 52538 Selfkant) gibt es bei Vorlage des Bahntickets einen kleinen Rabatt. Auch das Korbmachermuseum (Nohlmannstraße 2, 41836 Hückelhoven und das Rheinische Feuerwehrmuseum (Hauptstraße 23, 41812 Erkelenz) sind einen Besuch wert. Für Familien bieten sich die Indoorspielplätze Alpimaro (Industriestraße 9, 41844 Wegberg) und Fridolino (Linnicher Straße 40, 41836 Hückelhoven) an.Übernachtung: Gemütlich ist es im Hotelrestaurant „Brommler Mühle“ (Schinvelder Straße 51, 52538 Gangelt), etwas edler ist das Vier-Sterne-Haus „Mercator“ (Burgstraße 10, 52538 Gangelt), das auch einen Wellnessbereich hat.Für Sportliche: Reiten, Fahrradfahren, Wassersport: Im Heinsberger Land geht es sportlich zu. Bei Ullas Reiterhof (Pilsstraße 21, 52538 Gangelt) kann man zum Beispiel Ausritte in Kleingruppen buchen, an bestimmten Tagen werden auch lange Distanzritte angeboten. Beim Anbieter „Mit Paddel und Pedale“ kann man auf der Rur ab Linnich (Startpunkt Rurstraße in 52441 Linnich, 0 24 56-50 48 60) Touren mit dem Kanu, dem Kajak oder einem Raftboot machen. Und auf dem Rad lässt sich die Umgebung der Selfkantbahn erkunden, eine Übersicht über schöne Rundwege bietet die Homepage heinsberger-land.de.