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ZDF-Meteorologe über Wetter und Klima„Der Zwang kommt auf jeden Fall: Wenn wir kein Wasser und keine Nahrung mehr haben“

Lesezeit 9 Minuten
Özden Terli ist Meteorologe und ZDF-Moderator.

Özden Terli ist Meteorologe und ZDF-Moderator.

ZDF-Wettermoderator Özden Terli fürchtet, dass Aktivisten Klimaschutz erzwingen müssen, weil die Politik zu wenig tut.

Özden Terli ist bekannt als Wettermoderator beim ZDF. Der Meteorologe stellt immer wieder die Klimakrise als Ursache für viele Wetterphänomene in den Vordergrund. Das gefällt nicht jedem. Terli macht trotzdem weiter: Klimaschutz sei eine „über Generationen anhaltende Menschheitsaufgabe“.

Herr Terli, wann sind Sie das letzte Mal aus dem Haus gegangen und haben gedacht: Was für ein tolles Wetter?

Özden Terli: (lacht) Das ist gar nicht so lange her. Das war jetzt im September, wo die Sonne nicht mehr so aggressiv und die Hitze nicht mehr so belastend war. Die Temperaturen sind mittlerweile im Sommer viel zu hoch und unangenehm. Und die nächsten Jahre verheißen nichts Gutes.

Sie sind gelernter Meteorologe und arbeiten als Wettermoderator für das ZDF. Wie ist es für Sie, tagtäglich die Klimakrise anzusagen?

Es ist nicht täglich, aber häufig schlägt es durch. Also kann ich die zunehmende Erhitzung nicht ausblenden, denn wir leben ja in einer bereits veränderten Atmosphäre. Etliche extreme Wetterereignisse lassen sich nicht anders erklären. Die Unwetter der vergangenen Woche beispielsweise: Eine erhitzte Atmosphäre, wie wir sie ja nachweislich haben, kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Dadurch ist mehr Energie in der Luft und mehr Potenzial für Extremwetterereignisse. Diese Zusammenhänge sind für mich unmöglich auszublenden. Man kann dann immer nur hoffen, dass bei solchen Ereignissen nichts Schlimmeres passiert.

Gibt es denn noch „normales“ Wetter?

Bezogen auf die Temperatur nicht. Es wird immer wärmer – tendenziell. Um das zu sehen, vergleicht man die Temperaturen mit einer Referenzperiode. Man schaut also, wie es früher war, und vergleicht die Temperaturen in der Gegenwart damit. Zum Beispiel den Zeitraum 1961 bis 1990 – da gab es zwar auch schon eine globale Erhitzung, aber eben nicht in dem Maße wie heute. Im Vergleich zu den Temperaturen aus dem Referenzzeitraum ist dann die Wärme nicht normal. Aus dieser zusätzlichen Wärme resultieren dann Extremwetter.

Wann war der Moment für Sie gekommen, in dem Sie etwas an Ihrer Berichterstattung ändern wollten?

Mir war nicht immer klar, wie viele Menschen ich ansprechen kann mit meiner Arbeit. Aber mir war klar, dass ich und meine Kollegen eine besondere Verantwortung haben. Als Meteorologe muss man die Zusammenhänge kennen und sie erklären. Deswegen finde ich es eine völlig absurde Forderung von manchen Leuten, Meteorologen dürften sich nicht zum Klima äußern, weil wir damit angeblich Politik machten.

Das heißt, es braucht mehr Moderatoren und Moderatorinnen, die über die Klimakrise sprechen?

Auf jeden Fall. Zum Glück ist es mittlerweile nicht mehr so, dass man einen Shitstorm abkriegt, nur weil man einen Rückblick auf die Temperatur in Europa aus dem vergangenen Monat gezeigt hat. Dafür gibt es eine Menge niederträchtige Artikel, die versuchen, einen persönlich anzugreifen, die versuchen, einem irgend etwas anzuhängen, weil man über das Klima redet. Deswegen tausche ich mich intensiv mit Wissenschaftlern aus, um auf dem aktuellen Stand zu sein – um mich für solche Angriffe zu wappnen.

Für wie groß halten Sie Ihren Einfluss?

Das ist mir letztendlich egal. Ich würde das auch in einem Lokalsender machen. Ich mache das, weil ich muss, weil es zu meinem Job gehört und wir mitten in der Klimakrise stecken. Es nicht zu tun, wäre unterlassene Berichterstattung.

Sie haben gerade gesagt, dass Sie sich auch viel mit Wissenschaftlern austauschen. Vermittelt Ihnen die Wissenschaft Hoffnung?

Ich orientiere mich grundsätzlich an dem wissenschaftlichen Stand und an den physikalischen Fakten. Allen ist klar, was zu tun ist. Ich sehe aber, dass Politiker das Eine sagen und das Andere tun. Deswegen habe ich wenig Hoffnung in die Politik. Diese Diskrepanz ist gefährlich, weil sie das Vertrauen in die Politik und in die Demokratie stört. Und die Rahmenbedingungen müssen gesetzt werden. Man kann nicht von einzelnen Personen erwarten, die Welt zu retten. Das überfordert, erzeugt Ängste, und das ist ja auch gewollt – von den Klimaschutzbremsern.

Klima ist ein Thema, das alle Bereiche unseres Lebens betrifft, also nicht eines von vielen, sondern ein Querschnittsthema. Das muss auch so von der Politik kommuniziert werden: Was es bedeutet, wenn wir die Emissionen auf null herunterfahren müssen, und wie wir das erreichen können. Und es gibt ja Chancen in der Transformation. Aber wenn man die Veränderungen negativ darstellt, ist es nicht nur eine Verzerrung, sondern auch ein falsches Signal. Das Pariser Abkommen ist das Mindeste, was zu erfüllen ist. Dafür hat sich Deutschland verpflichtet – einstimmig, und das Bundesverfassungsgericht stellt es auch klar. Wir können nicht die Freiheit zukünftiger Generationen gefährden, weil wir jetzt zu bequem sind, also brechen wir hier vorsätzlich Recht? Wie kann das sein?

Jetzt sind Sie ganz galant der Frage ausgewichen. Sie wirken wütend.

Wütend bin ich regelmäßig, weil die Menschen für dumm verkauft werden. Das sind auch Medien, die Desinformationen verbreiten. Beispielsweise wurde bei dem Gebäudeenergiegesetz so lange erzählt, dass Wärmepumpen nicht funktionierten, dass sie Teufelszeug seien.

Also haben Menschen sich Gasheizungen gekauft. Jetzt müssen sie bei steigenden CO₂-Preisen die Zeche zahlen. Ich würde ihnen empfehlen, dass sie ihre Rechnung an die Verfasser der Desinformationskampagnen schicken und ihr Geld auch für die kommenden Jahre einfordern. Das wäre gerecht.

Auf X, früher Twitter, werden Sie für Ihren Einsatz für den Klimaschutz kritisiert.

Ich wünschte, es wäre tatsächlich Kritik und nicht nur reine Troll-Nachrichten.

Antworten Sie denn darauf?

Nicht mehr. Es ist immer das Gleiche. Natürlich gibt es da auch Abstufungen, beispielsweise diejenigen, die den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel leugnen, aber nicht den Klimawandel an sich. Ein Narrativ, das auch die Rechten übernommen haben, die AfD zum Beispiel. Dabei stammen die Erkenntnisse aus der Klimawissenschaft, man sucht sich also das aus, was zu der eigenen Agenda passt. So funktioniert Wissenschaft aber nicht. Also, es hat einfach keinen Sinn, darauf zu antworten, weil wir hier keine gleiche wissenschaftliche Grundlage haben. Soll ich darauf antworten und stundenlange Abhandlungen schreiben, die längst anerkannt sind? Oft sind die Kommentare sehr ähnlich, das sind dann wahrscheinlich Bots.

Mittlerweile haben Sie die Kommentarfunktion bei Twitter eingeschränkt. Nun können nur noch Menschen kommentieren, denen Sie folgen. Gibt es für Sie keinen Dialog mehr in der Klimakrise?

Was für einen Dialog gibt es denn? Beschimpfungen sind kein Dialog. Desinformationen auch nicht. Und physikalische Grundlagen zu leugnen, ebenso wenig. Was soll man mit solchen Menschen dann besprechen? Außerdem können mir die Menschen antworten, denen ich folge. Noch wichtiger wäre es aber, dass wir Klimawandelleugnern und Bots keine Plattform mehr geben.

Sind Menschen, die die Klimakrise leugnen, aus Ihrer Sicht verloren?

Ich habe lange gedacht, dass sie es vielleicht irgendwann begreifen. Also spätestens, wenn die Welt um sie herum extremer wird, die Extremwetterereignisse zunehmen, aber offensichtlich ist es nicht so.

Das entzieht sich mir komplett, weil ich Wissenschaftler bin. Ich habe mich mein Leben lang für neue Erkenntnisse interessiert. Deswegen verstehe ich es auch einfach nicht. Aber wegen solcher Leute höre ich nicht auf mit meiner Arbeit. Das ist nur auf Twitter so, wo man ja weiß, dass organisierte Shitstorms und Trolle die Plattform fluten. Und hier wäre die Plattform gefragt, solche Accounts zu kennzeichnen und gefährliche Desinformationen zu löschen.

Sie teilen häufig die Beiträge von Aktivistinnen und Aktivsten. Ist der letzte Weg aus Ihrer Sicht der Aktivismus?

Ich glaube, wenn es nicht vorwärtsgeht und wir sehen, dass die Politik immer noch so untätig bleibt, die Emissionen weiter steigen und wir keinen echten Klimaschutz sehen, dann ja. Dann müssen Aktivisten – gepaart mit Juristen und NGOs – Klimaschutz erzwingen.

Erzwingen klingt drastisch.

Wissen Sie, der Zwang kommt auf jeden Fall. Nämlich dann wenn wir kein Wasser und keine Nahrung mehr haben. Ich bin mir sicher, dass Klimaschutzbremser sich an dem Wort Zwang aufhängen würden, nur nicht das Eigentliche thematisieren, stattdessen Ablenkung und Verunsicherung erzeugen. Das ist etwas, was diese Klientel seit Jahren macht und worauf Menschen reinfallen. Tragisch.

Wir sind acht Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Das wird aber nicht in einem Klimasystem funktionieren, das sich permanent verändert. Die Hitzewellen und Unwetter, die wir aktuell erleben, sind ja nicht das neue Normal – das Klimasystem hört nicht auf, sich zu verändern. Es kommt nicht zu einer neuen Normalität, sondern zu einer fortschreitenden Zerstörung.

Der Weg, den wir aktuell gehen, ist jetzt schon katastrophal. Selbst wenn wir alle Emissionen auf null herunterfahren, ist die Gefahr nicht gebannt. Mit den richtigen Maßnahmen könnten wir die Folgen eindämmen. Es ist eine über Generationen anhaltende Menschheitsaufgabe, der sich alle stellen müssen. Verleugnen und Ignorieren nützt nichts. Physik ist Physik.

Wer behindert das? Klimaleugner oder Politiker, die zu wenig gegen die Klimakrise tun?

Diese Frage finde ich sehr spannend, weil es letztendlich ein und dasselbe ist: Ein Politiker, der Klimaschutzmaßnahmen ausbremst, erreicht das Gleiche wie ein Klimawandelleugner. Er verschleppt den Klimaschutz. Und was ist denn Klimaschutz? Das ist keine Spaßveranstaltung von irgendwelchen Ökos, sondern es geht darum, Menschen zu schützen. Menschen sterben bereits bei Extremwetter-Ereignissen, unendliches Leid ist programmiert, und adäquate Klimaschutzmaßnahmen sind seit Jahren schon überfällig.

Es gibt Langzeitprognosen, wie die Klimakrise den Planeten verändert wird. Aber wie genau, da sind sich die Forscherinnen und Forscher nicht ganz einig. Wie gehen Sie mit solchen Unsicherheiten um?

Ja, es gibt Unsicherheiten. Aber wie der US-amerikanische Klimatologe Michael Mann sagt: Diese Unsicherheiten sind nicht unser Freund. Das heißt, sie sind nicht auf unserer Seite. Sie schlagen eher in die andere Richtung aus, nämlich dass es viel krasser wird als angenommen.

Diese Unsicherheiten werden in der Öffentlichkeit eher heruntergespielt oder umgekehrt für die eigene Agenda genutzt. Das ist fatal. Die katastrophalen Effekte der Klimakrise werden als extrem angenommen und verdrängt. Das Problem ist: Wenn wir sie außer Acht lassen, dann bereiten wir uns auch nicht darauf vor. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – mal ganz plakativ formuliert.

Zum Beispiel?

Welche Handlungen bleiben uns, wenn wir keine katastrophale Erhitzung provozieren wollen? Wenn wir verhindern wollen, dass Kipppunkte getriggert werden und Teile der Erde zeitweise oder später für immer unbewohnbar werden und unsere Existenz unmöglich machen? Das können wir uns einfach nicht leisten, wir können dieses Risiko nicht eingehen – es steht einfach alles auf dem Spiel.

Die Klimakatastrophe hat schon längst begonnen. Nur: Das System ist träge, es dauert, bis wir alle Effekte zu spüren zu bekommen. Es ist ein Problem, das intellektuell zu vermitteln. Selbst wenn man den Menschen erklärt, dass warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnimmt und deswegen Gewitter heftiger oder Hitzewellen häufiger werden, ist das immer noch abstrakt.

Deswegen finde ich, dass wir das Thema überall unterbringen müssen: Es müsste eigentlich auch in einem „Tatort“ vorkommen. Im Kino, im Theater, in der Musik. Warum hält sich die Kreativbranche so bedeckt? Die physikalischen Gesetze gelten für uns alle, und noch gibt es zumindest die Chance, die extremsten Auswirkungen einzuschränken.