Der Klimawandel ist längst auch am Rhein angekommen. Vier Kölner zeigen, was sich am Fluss verändert. Ein Streifzug den Strom entlang.
Klimawandel am RheinVier Kölner zeigen, wie sich die Kölsche Lebensader jetzt schon verändert
Man kann die Folgen des Klimawandels - ganz abstrakt - am Thermometer ablesen. Am 6. Juli 2023 erreichte die globale Temperatur die Marke von 17,23 Grad Celsius. Es war der wärmste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen. Man kann sie in den Nachrichten verfolgen, etwa wenn Waldbrände in Kanada und Griechenland ganze Landstriche verwüsten.
Man kann sie aber auch direkt am Ufer des Rheins beobachten. Denn der Klimawandel ist längst auch an der kölschen Lebensader angekommen. Bei einem Streifzug den Rheinstrom entlang, erzählen vier Kölner, wie die Auswirkungen des Klimawandels den Rhein jetzt schon treffen – und wie der Fluss den Wandel überleben könnte.
Rheinkilometer 590: Marc Daniel Heintz prognostiziert die Zukunft des Rheins
Wer wissen will, wie es dem Rhein in Köln geht und wie er in Zukunft aussehen wird, fährt am besten nach Koblenz – und trifft dort auf einen Kölner. Ungefähr auf der Höhe von Rheinkilometer 590, nicht weit entfernt vom Deutschen Eck, hat Marc Daniel Heintz sein Büro. Er ist Geschäftsführer der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR). Von seinem Arbeitsplatz aus hat er freien Blick auf den Fluss, der ihn schon sein ganzes Leben lang begleitet.
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Das IKSR, erzählt Heintz, habe viele Aufgaben, sie sind mit den Jahrzehnten mehr geworden. Doch Heintz sagt: „Alle Teilbereiche unserer Arbeit, vom Hochwasserschutz, über ökologische Fragen bis hin zu Niedrigwasser werden vom Klimaschutz bestimmt.“ Auf sie alle habe der Klimawandel Einfluss.
Deswegen hat das IKSR bereits 2011 im Auftrag der Rheinministerkonferenz eine Szenarienstudie veröffentlicht, die aufzeigen soll, was bis zum Ende des Jahrhunderts auf den Rhein und seine Anwohner zukommt.
Drei Entwicklungen sind zentral: Erstens steigt die Wahrscheinlichkeit von Hochwasserkatastrophen. Extreme Hochwasser werden in Köln bis 2100 um bis zu 30 Prozent häufiger auftreten können. Zweitens sinkt im Sommer der Pegel des Rheins öfter auf Tiefststände, bis zum Jahrhundertende erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Niedrigwassern um bis zu 25 Prozent. Und drittens rechnet das IKSR mit einem durchschnittlichen Temperaturanstieg des Rheins im Sommer um 3,5 Grad.
In den Modellierungen gibt es zwar Restunsicherheiten, teilweise ist die Spannbreite in den Prognosen groß. „Die Richtung aber“, sagt Heintz, „ist klar.“
All diese Zahlen und Wahrscheinlichkeiten haben weitreichende Konsequenzen: Hochwasser, die die Rekordwerte der 1990er Jahre übertreffen könnten. Niedrigwasser, das die Schifffahrt lahmlegen und Wassertemperaturen, die die Lebewesen im Rhein bedrohen.
Klimawandel-Trend könnte sich zuspitzen
Und Trend könnte sich sogar noch verstärken. „Uns treibt aktuell die Frage um, ob die von uns prognostizierten Entwicklungen schneller eintreten, als wir 2011 angenommen haben“ Derzeit arbeitet die IKSR an einer Aktualisierung der Studie. Die Ergebnisse sollen im nächsten Jahr vorliegen. „Zumindest die ersten Auswertungen deuten darauf hin, dass sich der Trend noch weiter verstärken wird.“
Und obwohl die Zahlen Heintz mit Sorge erfüllen, macht ihm ein Blick in die Vergangenheit Mut: „Als die IKSR gegründet wurde, war der Rhein eine Kloake“, erzählt er. Spätestens aber nach der Sandoz-Katastrophe 1986, als ein Brand bei dem Chemiekonzern den Rhein mit giftigem Löschwasser verseuchte und ein Fischsterben auslöste, änderte sich das Umweltbewusstsein der Anwohner am Rhein, der Druck auf die Politik wurde größer. Ein Jahr später wurde ein Maßnahmenpaket beschlossen. „Seither hat sich die Wasserqualität deutlich verbessert.“
Heinz hofft, dass ein verändertes Umweltbewusstsein der Menschen auch dem Klimaschutz am Rhein zugutekommt. „Gerade in Köln ist die emotionale Verbindung zum Rhein groß.“ Genügend Ansätze, um mit den Veränderungen am Rhein umzugehen, gibt es nämlich, wie sich weiter oben am Rheinstrom zeigt.
Rheinkilometer 677: Angler Hoffmann und die Zukunft der Fische
Mittwochabend in Köln-Porz. Die Sonne senkt sich über den Yachthafen an Rheinkilometer 677, als Hagen Hoffmann seine Angelroute auswirft. Er übergibt an seinen Sohn Henry, der die Stellung hält, während Hoffmann in Erinnerungen an seine ersten Angelausflüge vor mehr als 30 Jahren schwelgt. „Schon mein Vater hat mich zum Angeln mitgenommen. Den Rheinstrom kenne ich von klein auf“, sagt der 46-Jährige. Angeln ist bei den Hoffmanns nicht nur ein Hobby, sondern eine Familientradition, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Hoffmann ist nicht nur Geschäftsführer des Sportanglervereins Köln-Mülheim, nach eigenen Angaben der älteste Angelverein Kölns, sondern auch Fischereiberater der Stadt. Damit ist er das Bindeglied zwischen den Angelvereinen und der Verwaltung. Gemeinsam erstellt man Hegepläne für die befischten Gewässer, berät, welche Fische besonderen Schutz brauchen und mit welchen Maßnahmen man ihnen helfen kann. „Das Klischee vom Angler im Klappstuhl mit Bier in der Hand ist längst Geschichte. Wir kümmern uns um unsere Umwelt“, sagt Hoffmann.
„Früher“, so erinnert er sich, „konnte man hier vor allem Weißfische fangen, also Brassen, Schneider oder Rotaugen.“ Über die Jahrzehnte hätten diese Fische aber Konkurrenz bekommen, ihr Bestand schrumpfte, während invasive Arten zunehmend ihren Platz einnahmen, etwa der Wels oder die Grundel.
Anhand der Schwarzmund-Grundel lässt sich das, was der Klimawandel mit dem Ökosystems des Rheins macht, besonders anschaulich darstellen. Über Jahrzehnte wurde der kleine Fisch im Bugwasser des Schiffsverkehrs eingeschleppt. Am Rhein fanden die Tiere durch die steigenden Wassertemperaturen ideale Bedingungen vor, während viele einheimische Fische unter den hohen Temperaturen leiden.
Letztere haben es zudem auch durch die Niedrigwasser zudem schwer, Laichplätze zu finden. Für die Schwarzmund-Grundel machte es die schwächelnde Konkurrenz leicht, sich schnell auszubreiten. „Die Grundel ist zu einer wahren Plage geworden“, klagt Hoffmann.
Ökosystem am Rhein intakt - nur wie lange noch?
In den vergangenen Jahren allerdings scheint sich das Ökosystem langsam wieder zu erholen: „Der Grundel-Bestand nimmt langsam wieder ab, die Fische im Rhein haben sich auf die Grundeln eingestellt.“ Zuweilen haben sie gar Geschmack an ihr gefunden. So hätten etwa Zander oder Barsch die Grundel als Nahrung für sich entdeckt.
„Ich glaube, dass man mit invasiven Einwanderern leben muss“, sagt Hoffmann. „Meistens regelt die Natur das aber ohnehin von selbst“, ist er überzeugt. Noch sei das Ökosystem jedenfalls intakt.
Pläne für Rhein-Naturierung noch vage
Die Frage ist allerdings, ob das in Zukunft auch so bleibt. Jost Borcherding, Biologe an der ökologischen Rheinstation der Uni Köln, glaubt, dass die ökologischen Herausforderungen, die auf den Fluss zukommen, von der Politik unterschätzt werden.
„Das Problem ist, dass die Temperaturen durch den Klimawandel weiter steigen und längere Niedrigwasserphasen es den einheimischen Fischen noch schwerer machen werden, sich fortzupflanzen.“
Denn: viele einheimische Fische setzen ihre Eier nicht direkt im Rhein, sondern in den naheliegenden Auen ab. „Doch durch die niedrigen Pegelstände im Sommer reißt die Verbindung zwischen dem Rhein und seinen Auen zunehmend ab.“ Jungfische haben es dadurch immer schwerer, zu überleben. „Wenn wir unsere einheimischen Arten erhalten wollen, müssen wir die Auengewässer wiederherstellen.“
Tatsächlich beteuert die Landesregierung, genau das vor zu haben. 3,7 Milliarden Euro wolle man in mehr als 10.000 Maßnahmen investieren, um die Gewässer in NRW zu schützen. Auch am Rhein, so sieht es der Plan vor, sollen unter anderem Auen reaktiviert und wieder angebunden werden. Bisher allerdings, so bestätigt es die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV), die seit zwei Jahren für die Umsetzung der Pläne zuständig ist, sei noch nichts geschehen. Das Maßnahmenprogramm sei noch abstrakt, und noch nicht ansatzweise in die Natur übersetzt, sagt ein Sprecher der Behörde. Wann und in welcher Form die angekündigte Gewässer-Offensive kommt, ist also fraglich.
Rheinkilometer 683: Gerhard Müllers Kampf gegen das Hochwasser
Sechs Kilometer weiter den Rhein hinauf beschäftigt sich Gerhard Müller mit dem gegenteiligen Wetterextrem. Nicht die Niedrigwasser im Sommer, sondern die Hochwasser im Winter machen ihm Sorgen. Der 69-Jährige ist Vorsitzender des Vereins „Bürgerinitiative Hochwasser e.V.“ in Rodenkirchen.
Gegründet hat er den Verein mit einigen Mitstreitern aus der Nachbarschaft als Reaktion auf das verheerende Hochwasser von 1993, als der Rheinpegel mit 10,63 Metern den höchsten Stand der Nachkriegszeit erreichte. „Damals stand das ganze Viertel komplett unter Wasser. Es gab keinen Strom, die Telefonleitungen waren tot.“ Als er zwei Tage später, am 25. Dezember, mit seinen Nachbarn in Gummistiefeln und Wathosen die Millionenschäden begutachtete, stieg Wut in ihm auf. „Von der Stadt gab es keine Warnungen, nichts.“ Also schlossen Müller und seine Mitstreiter einen Pakt: „Wir zeigen denen, wo der Hammer hängt. Das nächste Mal sind wir vorbereitet!“
13 Monate später stand der Verein vor seiner ersten Bewährungsprobe. Wieder brach ein Hochwasser über Köln herein, diesmal stieg der Pegel sogar auf 10,69 Meter. Wieder waren die Sicherheitsvorkehrungen dürftig, aber immerhin hatte die Stadt inzwischen eine Blechwand als Notbehelf installiert. „Und zum Glück kam uns die Bundeswehr zu Hilfe“. Der Kriegsdienstverweigerer Müller wurde bei diesem zweiten Hochwasser zu einer Art Oberbefehlshaber, der die ortsunkundigen Truppen durch die Gassen Rodenkirchens lotste, um Wohnungen auszuräumen und mit Barrikaden den Hochwasserschutz zu erhöhen. „So sind wir diesmal wenigstens nicht ganz abgesoffen.“
Schlendert man heute mit Müller durch die Straßen von Rodenkirchen in Richtung Rhein, sieht man, wie viel sich in der Zwischenzeit getan hat. Entlang des Ufers säumen Ankerplatten den Boden, in die beim nächsten Hochwasser mobile Hochwasserschutzwände eingebaut werden können.
Spätestens das zweite Hochwasser war ein Weckruf für die Stadt. 1996 wurde ein Hochwasserschutzkonzept verabschiedet. 430 Millionen Euro wurden ausgegeben, unter anderem für mobile Schutzwände und Retentionsräume in Porz-Langel und Worringen, riesige Überflutungsflächen also, in die Wasser im Hochwasserfall geleitet werden kann. Der Kölner Süden ist nun bis zu einem Pegelstand von 11,30 Meter geschützt, der Norden sogar bis 11,90 Meter.
Auch die Bürgerinitiative Hochwasser hatte ihren Anteil daran. „Am Anfang gab es noch viel Skepsis uns gegenüber, aber Schritt für Schritt hat sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt“, findet Müller.
Seitdem ist viel Zeit vergangen, die Hochwasser der 90er Jahre scheinen fast vergessen. „Hochwasserdemenz“ nennt Müller diesen Zustand. Er ist sich sicher: „Wir werden Hochwasser erleben, die auch die heutigen Schutzeinrichtungen nicht aufhalten können.“
Aus seiner Sicht sind weitere Retentionsräume notwendig. Doch die kosten nicht nur Geld, sondern auch Platz. Und die Frage, wo sie gebaut werden sollen, sorgt für Konflikte zwischen Land, Kommunen und Anwohnern, die nasse Keller fürchten, wenn in ihrer Nähe Überflutungsflächen entstehen. Müller hofft, dass es nicht erst eines weiteren Hochwassers in Köln bedarf, um die „Hochwasserdemenz“ zu bekämpfen und zu handeln.
Rheinkilometer 695: Christian Lorenz und die Arbeit am Niehler Hafen mit Niedrigwasser
Christian Lorenz lädt in einen Konferenzraum in der neuen Hauptverwaltung der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK). Die HGK, ein Tochterunternehmen des Stadtwerke Köln Konzerns, ist Eigentümerin des Niehler Hafens. Blickt man dort aus dem Fenster auf der Höhe des Rheinkilometers 695, sieht man reihenweise gestapelte Container, die darauf warten, von den Hafenkränen auf das nächste Schiff auf dem Weg nach Friedrichshafen, Duisburg oder Rotterdam verfrachtet zu werden. Lorenz ist Pressesprecher der HGK, vorher arbeitete er beim „Express“, der wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ bei den „Kölner Stadt-Anzeiger-Medien“ erscheint.
Die Folgen, die der Klimawandel für die Schifffahrt hat, erklärt Lorenz anhand eines Beispiels: „Nehmen wir einen Frachter, der uns aus Heilbronn anfährt: Bei normalen Pegelständen kann der rund 1800 Tonnen Salz transportieren.“
Bei starken Niedrigwasserlagen, wie sie 2022 oder 2018 auftraten, als der Pegel an einigen Stellen des Rheins deutlich unter einen Meter fiel, wird die Fracht zu schwer. Das Schiff droht, liegenzubleiben. „2018 kam so ein Frachter nur mit etwa 300 Tonnen hier an.“ Die Folge: „Die Reedereien müssen entweder mehr Schiffe für die gleiche Ladung losschicken. Oder sie steigen auf andere Transportwege wie Schiene oder Straße um.“ Und das ist teuer und damit ein großes Problem für die deutsche Wirtschaft. Denn der Rhein ist eine der wichtigsten Wasserhandelsstraßen Europas.
Gleichzeitig ist das aber auch ein Klimaproblem. Denn zumindest im Vergleich zum Straßengüterverkehr ist die Schifffahrt vergleichsweise klimafreundlich. Nur etwa ein Drittel so viel CO₂ wird auf dem Wasser in die Luft geblasen. Um ihre Klimaziele zu erreichen, will die Bundesregierung deshalb die Binnenschifffahrt fördern.
Was also tun, wenn Niedrigwasser als Folge des Klimawandels künftig häufiger auftreten? Bei der Suche nach Lösungen dreht sich seit Jahren die kontroverseste Diskussion um die Frage, ob der Rhein vertieft werden soll. Im Mittelpunkt steht dabei das Städtchen Kaub. Auch für die Schiffe, die von Süden kommend den Niehler Hafen anlaufen, ist nicht der Pegel in Köln entscheidend, sondern der in dem rheinland-pfälzischen Ort. Kaub ist das Nadelöhr des Rheins.
Während Industrieverbände und die FDP dafür plädieren, die Engstelle schnell zu vertiefen, sind Umweltverbände dagegen. Sie befürchten negative Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen im Rhein. Verkehrswende gegen Ökologie: An der Engstelle bei Kaub prallen die unterschiedlichen Ziele des Klimaschutzes aufeinander.
Lorenz: Infrastruktur der Gewässerstraßen veraltet
Lorenz ist für die Rheinvertiefung: „Es geht nicht darum, den Rhein von Basel bis nach Rotterdam auszubaggern, sondern Engpässe wie den bei Kaub zu beseitigen.“
Aber auch abseits der Rheinvertiefung, könnte man einiges tun, um die Binnenschifffahrt zukunftsfähig zu machen. Die Sache habe für ihn zwei Seiten. „Auch wir Unternehmen reagieren auf den Klimawandel, etwa beim Schiffbau. Unser Geschäftsbereich HGK Shipping konstruiert Schiffsneubauten so, dass sie auch bei Niedrigwasser besser über den Rhein kommen.“
Die zweite Seite betrifft die Politik: „Der Großteil der Wasserstraßen-Infrastruktur, die Kanäle und Schleusen, stammt aus den 60er- und 70er-Jahren. Hier muss die Bundesregierung dringend mehr investieren.“