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Annett Polster ist im Osten aufgewachsen35 Jahre nach Mauerfall – „Es war normal, dass Frauen arbeiten gehen“

Lesezeit 3 Minuten
Portrait von Annett Polster in ihrem Büro beim Stadtmarketing

Annett Polster wuchs in der Nähe von Leipzig auf und kam 1989 nach Köln.

Wie war es, als Frau in der DDR zu leben? 35 Jahre nach dem Mauerfall erinnert sich Annett Polster, Geschäftsführerin des Kölner Stadtmarketings.

„Ich bin in einem kleinen Ort mit 2000 Einwohnern in der Nähe von Leipzig mit zwei Geschwistern sehr geborgen aufgewachsen. Das Leben hat sich in der Familie abgespielt. Meine Mutter hat immer gearbeitet, weil das normal war, aber auch, weil die Familie sonst nicht genug Geld gehabt hätte.

Durch mein Leben haben mich immer Mentorinnen und Mentoren begleitet. Meine Lehrerin hat mir zum Beispiel in der neunten Klasse gesagt, 'wenn du dich jetzt konfirmieren lässt, bekommst du deinen Abiturplatz nicht'. Daran sieht man, welchen Handlungsspielraum es gab. Noch zu Ostzeiten hatten wir immer mal wieder Besuch von Freunden aus Köln, und schon damals wurde in der Familie diskutiert, in den Westen zu gehen. Aber ein Ausreiseantrag oder ein Fluchtversuch wäre für uns als Option weit weg gewesen. Dazu haben wir doch zu zufrieden in der Familie gelebt, die vieles aufgefangen hat. Die materiellen Versprechen waren für uns keine Motivation. Aber die Situationen, in denen man gemerkt hat, dass man nicht frei ist und die Möglichkeiten eingeschränkt sind, schon.

Ich war nie diejenige, die sich lautstark gegen das System gestellt hat, aber es war mir wichtig, ab und an in der Wendezeit nach Leipzig zu fahren zu den Montagsdemonstrationen. Im Nachhinein betrachtet war diese friedliche Wende ein ganz großes Glück.

‚Was, eine Frau, und dann noch eine Ostdeutsche?!‘ Ich habe es schon öfters erlebt, dass meine Herkunft und das Rollenverständnis hier nicht selbstverständlich sind
Annett Polster

Als wir im Dezember 1989 nach Köln aufgebrochen sind, haben meine Eltern zu mir gesagt: 'Sieh immer zu, dass du dein eigenes Geld verdienst!' Für uns in der Familie war Gleichberechtigung kein Thema, sondern es war normal, dass die Frauen arbeiten gegangen sind. Im Allgemeinen wurde darüber nicht gesprochen in der DDR. Aber in Westdeutschland habe ich einen Unterschied bemerkt. In meinem Abteilungsbereich bei Galeria Kaufhof und auch jetzt bei Stadtmarketing Köln war ich immer die erste Frau in dieser Führungsposition.

Bei meiner Bewerbung bei Galeria saß ich mit Mitte dreißig vor fünf Geschäftsführern, ohne eine andere Frau. Aber das erlebe ich oft, dass es maximal noch eine weitere Frau in dieser Hierarchie in den Gesprächen gibt. Damals hat mir ein Mitarbeiter ganz klar gesagt: 'Ich habe ein Problem damit, dass Sie eine Frau sind, meine Auszubildende waren und jetzt mein Vorgesetzte sind!' Auch, als ich 2011 beim Stadtmarketing angestellt wurde, hat man zu unserem Vorstandsvorsitzenden gesagt: 'Was, eine Frau, und dann noch eine Ostdeutsche?!' Ich habe es schon öfters erlebt, dass meine Herkunft und das Rollenverständnis hier nicht selbstverständlich sind.

Die Familie lebt noch in meiner Heimat in Ostdeutschland. Ich bin vor 35 Jahren in die Millionenstadt Köln gezogen. Dadurch ist man nirgendwo so richtig verwurzelt. Aber auf der anderen Seite finde ich es auch schön, dass sich diese beiden Welten ergänzen und ich durch meine Vergangenheit Fähigkeiten mitbringe, die hier von Nutzen sind, zum Beispiel Pragmatismus oder Lösungsorientiertheit.“


Der Film „Die Unbeugsamen II“, der am Montag, 21. Oktober, 19 Uhr, Premiere im Kölner Filmpalast feiert, erinnert an starke Frauen aus der DDR. Produziert hat die Hommage der Kölner Leopold Hösch.