Köln – Ein Trafohäuschen also. Der Kasten aus rostigem Stahl und verwittertem Beton ist alles, was übrig geblieben ist von der wilden Zeit der Riehler Aue – einer Zeit, in der sich das Riesenrad hoch über dem größten Vergnügungspark der Republik zwischen Mülheimer Brücke und Cranachwäldchen drehte.
Auf dem Deich vor den weiten Wiesen steht Jürgen Nießen und erzählt die erstaunliche Geschichte des Kölner Tivoli. Sie ist kurz und geht so: Der mit der Bundesgartenschau 1971 eröffneten Attraktion blieben die Besucher fern, die Probleme kamen, dann der Bankrott. Seit 1975 ist der Park eine Episode der Stadtgeschichte.
„Wir stehen hier genau am ehemaligen Nordeingang.“ Nießen, der beruflich Güterzüge fährt und in seiner Freizeit am liebsten Achterbahn, hat sein erster Tivoli-Besuch nicht losgelassen, vor allem ein stählernes Ungetüm namens „Super 8“.
Sein Vater hatte ihn mitgenommen auf die rasante Fahrt. „Mit drei Jahren! Das wäre heute undenkbar“, sagt der 45-Jährige. Vor einigen Jahren hat er begonnen, die Geschichte des Parks zu dokumentieren, hat alte Fotos gesichtet und gesammelt, Pläne erstellt, in Archiven geforscht, mit Nachkommen der Park-Betreiber gesprochen. Der Tivoli, sagt Nießen, war seiner Zeit voraus. „Es gab nichts Vergleichbares.“
Schon der Name war eine Ansage. Die trubelige Weltläufigkeit des Kopenhagener Namenspaten, der Charme des Wiener Wurstlprater sollte es sein – „kein Rummelplatz mit Schießbude“, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete, als der Stadtrat 1969 beschloss, zwei Schaustellern und einem Kaufmann den Bau eines Freizeitparks zu genehmigen.
Zur Gartenschau, deren Schauplatz neben dem Deutzer Rheinpark auch die südliche Riehler Aue auf der anderen Rheinseite war, erhofften sich Betreiber und Stadt das große Geschäft.
16 Millionen Mark teuer waren die Attraktionen, auf 60.000 Quadratmetern drängte sich zur Eröffnung im April 1971 alles, was als schick galt im Vergnügungsgeschäft der frühen Siebziger: Achterbahn, 40-Meter-Riesenrad, Gruselkabinett, „Apollo 14“ und Geisterbahn „Utopia 2000“; weltraumbegeisterte Parkbesucher kreisten in Landekapseln um den „Mondflug“, auf der „Traumstraße der Welt“ rollten sie in Miniatur-Autos an fantastischen Kulissen vorbei, die „Liliput-Bahn“, seit der 1957er-Gartenschau im Rheinpark unterwegs und dort 1971 durch die neue Kleinbahn ersetzt, hatten die Betreiber für 55.000 Mark von der KVB gekauft. Auch ein Elefanten-Zirkus, dessen Stars auf dem Tivoli-Gelände lebten, fehlte nicht.
Altstadt-Nachbau aus Pappmaché
Hoch hinaus ging es in der „Tollen Jolle“, mit dem Zeppelin oder per Hubschrauber, bodenständig ging es in der Kegelhalle zu. Ihr Kölsch tranken die Besucher vor der kitschigen Kulisse der „Häusergruppe Alt-Köln“, einem Altstadt-Nachbau aus Pappmaché, international wurde es im „Wiener Café“ und der „Taberna Andalusia“.
Die Konkurrenz aus der Region blickte neidisch nach Köln: „Das Phantasialand war ein reiner Märchenwald. Von einer Achterbahn haben die damals geträumt“, sagt Jürgen Nießen.
Kölner und Touristen wollten die Attraktion erleben, die Riehler kauften ihre Arznei in der Tivoli-Apotheke, und Hans Knipp widmete dem Park 1972 einen Schlager: „Op dem Tivoli, jo do es et wunderbar, op dem Tivoli da jitt et vill Trara.“
Doch viele Besucher verließen den Park eher verärgert als vergnügt: Der Eintrittspreis – in den anfangs verlangten zwei Mark war die Nutzung der Fahrgeschäfte nicht inbegriffen – und Unzulänglichkeiten im gastronomischen Angebot sorgten für Verstimmung. „Es gibt nichts, was im sogenannten Kölner Tivoli kein Geld kostet“, stellte ein Kommentator im „Kölner Stadt-Anzeiger“ fest, „die Riesenbockwurst war ein kleines Würstchen“, echauffierte sich ein Leserbriefschreiber.
Die Betreiber – das Gründer-Trio hatte sich wegen eines vor Gericht ausgetragenen Streits schon vor der Eröffnung getrennt – reagierten mit neuen Attraktionen wie einer Gokart-Bahn und „Billig-Preisen wie noch nie“. Immerhin 300000 Besucher kamen 1972, zu wenige allerdings, um die hohen Kosten zu decken.
Im April 1975 beantragten die Park-Pächter einen Vergleich, im August schließlich meldeten sie Konkurs an. „Ein Esel, eine alte Ziege und ein Holzhäuschen“ waren der Tivoli GmbH noch geblieben, schrieb diese Zeitung.
Warum die verheißungsvolle Geschichte des Freizeitparks ein so frühes Ende fand? Jürgen Nießen überlegt lange. „Gute Frage. Heute wäre er ein Publikumsmagnet.“ Doch stattdessen ging am Schluss alles sehr schnell: „Der Rest wird verbrannt“, titelte der „Stadt-Anzeiger“ im März 1976.
Was außer dem schäbigen Trafohäuschen neben dem unwirtlichen Parkplatz am Molenkopf geblieben ist vom Kölner Tivoli: Das Riesenrad dreht sich immer noch – in einem Park in den Niederlanden. Auf der Achterbahn „Super 8“ erleben wohl auch heute noch Kinder den großen Nervenkitzel – wahrscheinlich in den USA. Nur der Wellenflieger, ein Kettenkarussell, das heute Schwanenflieger heißt, lässt sich ab und an in Köln blicken: zuletzt beim Mülheimer Volksfest im vergangenen Jahr.