Am Kölner GroßmarktWie aus einem Fischladen eine In-Location wurde
- Das Umfeld ist ziemlich ernüchternd: Das Mare Atlantico liegt an der schmucklosen Marktstraße vor der Einfahrt zum Kölner Großmarkt in Raderberg.
- Doch sobald man das Geschäft betritt, öffnet sich eine andere Welt.
- Hier gibt es Meeresfrüchte, Fisch, Fleisch, Gemüse und Wein – und jede Menge Atmosphäre. Denn hier kaufen und probieren nicht nur Gastronomen, sondern auch Privatkunden.
Köln – Bruno Granese, mit langer Schürze und in Gummistiefeln, begrüßt die Kunden im großen Extra-Kühlraum für den Fisch. Die meisten Käufer kennt er mit Namen, mit manchen duzt er sich. Der Fliesenboden ist feucht vom Eis, auf dem die Fische und Meeresfrüchte lagern. Pulpo, Sardinen, Doraden, Knurrhahn, Seehecht, Seeteufel, Thunfisch gibt es. Dazu Muscheln, Meeresschnecken, Austern.
In Becken schwimmen Hummer und Taschenkrebse. Die Ware kommt aus Italien, Spanien, Griechenland, Norwegen, Holland und vom Pariser Großmarkt. „Das meiste kommt mit dem Flugzeug, das dauert nur wenige Stunden“, sagt Bruno Granese, der hochgeachtete Fischspezialist im Laden, und zeigt die dunkelroten Kiemen der Fische – ein Zeichen für absolute Frische. „Hier waren vor kurzem Leute aus Hamburg und sogar die haben gestaunt.“
„Morgen sieht es hier schon wieder ganz anders aus. Dann ist ist schon wieder neue Ware da“, sagt Sarantis Agiakatsikas (59), der mit seinen drei Brüdern das Mare Atlantico an der Markstraße führt. „Unser Lieferant für Thunfisch beliefert auch den Fischmarkt in Tokio“, sagt er stolz.
Mit den Eltern – Vater von der Insel Lesbos, Mutter aus Nordgriechenland – haben die vier Brüder 1974 Griechenland verlassen. Beinahe wäre es zu bereits ausgewanderten Verwandten nach Kinshasa in den Kongo gegangen. Oder nach Sydney in Australien. Doch dann wurde es Deutschland. Zuerst betrieben die Eltern in Euskirchen einen Fischladen, bevor sie in die Kölner Großmarkthalle wechselten.
Geschäft liegt direkt vor dem Eingang des Großmarkts
2010 zog das Unternehmen in die aktuellen Räume in einer Privatimmobilie direkt vor der Einfahrt zum städtischen Großmarkt. Die Besonderheit: Hier können nicht nur Gastronomen und Großhändler einkaufen, sondern auch Privatkunden. Nicht zuletzt deshalb entwickelte sich das Mare Atlantico weiter: Zum Fisch kam Fleisch, Gemüse, Käse und Wein. Mussten er und seine Mitarbeiter früher noch um 3 Uhr aufstehen, um die Lieferanten zu empfangen, und um 14 Uhr wieder schließen, wird heute erst um 6 Uhr geöffnet und bis 18 oder 19 Uhr gearbeitet. Der Tag läuft etwas geregelter ab und es ist mehr Zeit für Gespräche.
„Und dann haben uns die Kunden gefragt: Warum macht ihr nicht eine kleine Espressobar? Warum macht ihr nicht einen kleinen Imbiss, wo man eure Produkte probieren kann?“ Also kann man hier inzwischen frisch belegte Baguette essen, einen Espresso trinken und Wein probieren.
Sogar die Käsetheke sei auf inständige Nachfrage der kundigen Gäste entstanden, sagt der Chef, den alle wegen des recht komplizierten Nachnamens Sarantis nennen. „Die Kunden wussten viel über Käse, ich musste erstmal lernen.“
Keine falsche Folklore
So wurde der Laden mit der Zeit selbst zu einer kleinen gastronomischen Einrichtung. Allerdings ist die organisch gewachsen und frei von jeder Industrial-Chic-Künstlichkeit und falscher Folklore, wie sie so oft in In-Locations zu finden ist.
An jeder Ecke kann mit sitzen, probieren und plauschen. Vor allem am Wochenende tummeln sich hier Kunden aus dem betuchteren Kölner Süden, aus Bayenthal und Marienburg. Dann gibt es einen Hauch von Schickimicki am Großmarkt mit Champagner, der natürlich auch zum Sortiment gehört. „Wie viel Arbeit in Champagner steckt, habe ich auch erst beim Besuch einer Kellerei verstanden“, sagt Sarantis lachend.
Spitzengastronomen kaufen hier
Viele Kunden seien auf das Geschäft gekommen, weil sie ihre Stammgastronomen gefragt haben, wo sie eigentlich einkaufen. Die Profis sind auch weiterhin oft im Laden oder lassen sich direkt beliefern. Wie aufs Stichwort betritt der Marienburger Michael Holtmann herein, der lange das „Holtmann’s“ an der Rheinpromenade führte und nun das „Bistro 48“ am Kunsthaus Lempertz mit Eventgastronomie und Catering betreibt.
Kurzer Austausch mit Bruno Granese und zwei Hummer sind ausgewählt. „Die hat ein Kunde noch kurzfristig bestellt“, erzählt Holtmann. Und da sei das Mare Atlantico die erste Adresse. „Das ist hier alles sehr schön und von sehr guter Qualität.“
Teil der Atmosphäre sind die 36 Angestellten aus aller Welt, die im Geschäft arbeiten. „Und alle bringen irgendwann auch ihre Kinder hierher mit“, sagt Sarantis, der selber Vater ist. Kinder an gute Produkte heran zu führen, sei ihm ein großes Anliegen. „Essen muss man riechen und sehen. Zum Beispiel sehen, wie ein ganzer Fisch aussieht. Mit Tiefkühlkost und Fertigprodukten geht das nicht.“
Frischer Fisch muss nicht teuer sein
Sarantis spürt bei aller Beliebtheit aber auch manchmal, dass es bei einigen Menschen eine Hemmschwelle gibt, in den Laden zu kommen. Einige dächten, man brauche hier einen Einkaufsausweis, andere hätten Bedenken, weil sie sich mit Fisch nicht auskennen oder befürchten, dass er zu teuer für sie ist. „Frischer Fisch muss auch nicht teuer sein. Sardinen oder Makrelen sind günstig und man kann damit gesund kochen“, sagt Sarantis.
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Dabei hat er selbst – obwohl er seit Jahrzehnten von den herrlichsten Zutaten umgeben ist – erst vor vier Jahren angefangen zu kochen. Sein Tipp: „Den Fisch in Salzkruste oder in Alufolie in den Backofen schieben. Dazu ein paar Zucchini und Tomaten. Das kann jeder.“
Sorgen bereitet ihm die geplante Verlegung des Großmarktes und die Zukunft des Geländes. „Der Großmarkt und alles drumherum ist ein fester Bestandteil der Daseinsfürsorge“, sagt er. Das sei einfach ein Stück Köln. Im September will er nach Corona-Pause und Sommerferien aber erst einmal wieder richtig durchstarten. Dann wird es hier wieder Veranstaltungen und Schaukochen geben. Mitten in der unwirtlichen Umgebung am Großmarkt, aber irgendwie doch ganz weit weg.