Amphi-FestivalZehntausende schlüpfen im Tanzbrunnen in Rollen und schwarze Kostüme
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Köln – Ein Strom schwarz gekleideter Menschen wies am Wochenende den Weg zu einem der größten Musikfestivals der Gothic-Szene: das Amphi-Festival im Tanzbrunnen. Trotz der schwülen Hitze ließen es sich rund zwölftausend Besucher nicht nehmen, mit ausfallenden Outfits zu Dark-Rock-Musik zu tanzen.
Lange Reifröcke, enge Korsagen, bunte Fellstoffe. Eins wird schnell klar: neben den Konzerten steht hier vor allem die Kleidung im Vordergrund. Viele nähen die Gewänder selber, kaufen die passenden Accessoires, verbringen einige Zeit vor dem Spiegel. So fühlt sich für sie Freiheit an.
„Für mich ist das eine Zeit zu entspannen“, sagt Besucherin Alexandra Müller. Seit einigen Jahren verbringt die 26-Jährige ihren Geburtstag auf dem Festival. „Hier kann ich das anziehen, was ich will – ohne dabei angestarrt zu werden wie ein Tier im Zoo.“
Die Mainzerin hat ihr Kleid selbst genäht. Ihre Inspiration: das viktorianische Zeitalter. Nur der Kopfschmuck aus zwei Hörnern passt nicht ganz dazu. Auf den hatte die Angestellte eines Teefachgeschäfts einfach Lust. „Innendrin bin ich eben ein bunter Vogel.“ Verspielt, romantisch, etwas mystisch – so fasst sie ihr Outfit zusammen. Und eventuell auch zu warm? „Ich habe eine eingebaute Klimaanlage“, sagt die 26-Jährige und wippt mit ihrem Reifrock.
Die drückende Wärme der letzten Tage ist immer wieder ein Thema. Petra und Tino Namendorf tragen deshalb an diesem Tag Weiß – aber nur ausnahmsweise. „Für mich ist Schwarz ein Lebensgefühl“, beschreibt die Hannoveranerin.
Das elegante Schwarz stehe für Emotionen. „Dabei meine ich nichts Negatives wie Außenstehende immer glauben. Uns geht es um die Abgrenzung von der Masse.“ Sie seien hier unter sich, erklärt Tino. „Meine Kollegen werde ich hier bestimmt nicht treffen. Das sind alles Spießer.“
Wie ein großes Familientreffen
Während des Gesprächs treffen die Beiden immer wieder Bekannte, begrüßen sie, unterhalten sich kurz. „Es ist ein großes Familientreffen. Hier begegnet man immer jemanden. Auch Leute mit denen man sich tiefgründiger unterhalten kann“, fasst Tino zusammen.Ob weiß oder schwarz gekleidet – die am Samstag immer wieder einsetzenden Schauer werden dankbar empfangen.
„Ohne den Fächer und den Regen wäre es schwierig“, gibt Thundercat zu. Ihr richtiger Name sei Jay, sagt sie. Den Nachnamen will die Bochumerin lieber nicht verraten. „Tanzen ist vielleicht zu extrem“, sagt sie und deutet auf den pinken Fellstoff ihres Kostüms. Warum nicht einfach etwas anderes anziehen? „Das war keine Option. Das ist mein Standardoutfit. Darin habe ich mich gefunden und dem bleibe ich treu.“ Also einfach aushalten.
Das ist auch das Mantra von Simone Stark. Drei Stunden hat sie sich an diesem Tag fertig gemacht. Jedes Outfit stimmen ihr Ehemann und sie auf ein konkretes Event ab. Niemals tragen sie etwas nochmal. „Ich trage ja auch kein T-Shirt zu einer Hochzeit“, sagt Ehemann Thomas. Trends verfolgten sie dabei nicht. „Das kann schnell billig wirken. Darauf haben wir keine Lust. Uns geht es um die Individualität.“ Es sei schon ein gesehen und gesehen werden.
In andere Rollen schlüpfen
„Die Selbstexpression ist vielen hier wichtig“, stellt auch Raphael Fischer fest. „Hier kann man mal in eine andere Rolle schlüpfen.“ Er selbst mache sich weniger Gedanken über die Outfits. „Die Atmosphäre ist immer noch familiär. Man begegnet sich und hat direkt das Gefühl sich zu kennen. Für mich ist das einfach eine schöne Zeit mit Freunden.“
Etwas anders sieht das seine Begleitung Julia Rauch. Die Masterstudentin trägt ein aufwendiges selbstgenähtes Kostüm aus roten Plättchen und zarten Kettchen, das ihre vielen Tattoos zeigt. Es soll einem Kettenhemd ähneln – die Idee habe sie auf Instagram gesehen. „Hier kann ich das endlich mal tragen“, sagt sie stolz. Ihr ginge es ums Basteln und Nähen, nicht um die Selbstdarstellung. „Dafür würde ich mir nicht die Mühe machen.“