Lebensmittelmesse AnugaEin Rundgang mit Kölner Ernährungsexpertin
Köln – Nirgendwo anders wird so geballt über Lebensmittel gefachsimpelt wie derzeit in den Kölner Messehallen, und nirgendwo sonst wird man so gehäuft mit „good food“, „Superfood“ oder „Soulfood“ konfrontiert wie auf der Anuga. Aber sind die Nahrungsmittel tatsächlich so super, wie es uns die Branche glauben machen will? Wir haben eine Kölner Expertin, die Ökotrophologin und Buchautorin Edith Gätjen gebeten, uns auf einem Rundgang über die Weltmesse der Ernährung zu begleiten. Ihr Fazit: Vieles ist Schönfärberei, etliches Augenwischerei und manches schlichtweg gelogen.
Gätjen kommt, wie sie sagt, aus der Vollwerternährung. „Je unverarbeiteter, umso besser“, lautet ihre Umschreibung für gute Lebensmittel. Das bezieht sie auf nahezu alle Bereiche; natürlich auch auf unser elementarstes Lebensmittel: Wasser. Aber offenbar reicht natürliches Wasser heute nicht mehr. Es muss gepimpt werden. Beispiel „my water“, ein in rosa Plastikfläschchen abgefülltes Wasser speziell für Kinder, „fruitful und colourful“. Die Expertin schüttelt den Kopf. Ein anderes Wasser enthält angeblich „hochdosiertes Magnesium“, was bei genauerem Blick auf die Mengenangabe aber nicht zutrifft.
Drinks aus der Zukunft
Unter dem Banner „Future-Drinks“ stoßen wir auf Flaschen, die wie herkömmliche Wasserflaschen aussehen, aber in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen angeboten werden. Richtiges Obst steckt da keins drin, es wurden Fruchtaromen zugesetzt, „außerdem Fruktose, also billiger Zucker, der aus Mais gemacht wird“. In flüssiger Form und regelmäßig konsumiert, führe er zu einer nicht alkoholbedingten Fettleber. „Auch schon bei Kindern“, unterstreicht Gätjen. Sie öffnet die Flasche und muss sie gar nicht zur Nase führen um festzustellen: „Wie Limonade“. Süß, aufgrund der ebenfalls zugegebenen Zitronensäure aber auch leicht sauer. „Das macht die Zähne kaputt.“ Pures Wasser mit etwas Minze, Apfel oder einem Stück Zimstange wäre aus Sicht der Expertin die bessere und günstigere Alternative.
Wir landen bei einem Getränkehersteller, der „the real taste of nature“ verspricht. Tatsächlich enthält eine der Plastikflaschen gerade mal 25 Prozent Fruchtanteil. „Und elf Prozent Zucker“, stellt Gätjen fest. Inzwischen sei es so, dass wir den Hauptanteil an Zucker in unserer Nahrung über solche Getränke aufnähmen. „Getränke, die überhaupt kein Sättigungsgefühl erzeugen.“
Freilich versteckt sich der Zucker nicht nur in Getränken. Wir stehen bei einem Münchner Start-up, das „Süßes, das lecker schmeckt und guttut“ propagiert. Die Honigalternative ist – anders als deklariert – nicht wirklich zuckerfrei. „Das ist kein „good food“, bemängelt die Expertin. „Der lösliche Ballaststoffsirup aus Tapioka, das ist Zucker!“
Verlust des natürlichen Geschmacks
Zur Backmischung für den Tassenkuchen muss man Gätjen gar nicht erst befragen. „Da wird was zusammengerührt und in die Mikrowelle geschoben. So lernen Kinder das Backen nie. Um den Megagenuss Kuchen zu haben, muss ich „’ne Stunde warten. Und das ist ganz wichtig“. Die vierfache Mutter, die auch praktische Ernährungsbildung in Kitas und Schulen leistet, kritisiert das „Bei Hunger Tüte aufreißen“-Prinzip, weil dadurch das Bewusstsein verloren gehe, dass Essenzubereitung zeitaufwendig sei.
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Es gibt allerdings auch Trends, die die Expertin gutheißt, wie etwa die inzwischen riesige Auswahl an Fleischersatz-Produkten als „klimaschonende Alternative zu tierischem Eiweiß“. Vielfach sind die veganen Fleischalternativen mit Vitamin B12 angereichert; für Gätjen „gar nicht so verkehrt, aber damit natürlich nicht mehr bio“.
Gätjen begrüßt, dass bei vegetarischen oder veganen Lebensmitteln immer häufiger Erbsenproteine verwendet werden. „Das finde ich super!“ Ihr Daumen geht oft jedoch ganz schnell wieder runter, wenn sie die Verpackungen prüft. „Diese ganzen blöden Plastikteile, überall das gleiche!“ Insgesamt kritisiert sie den vielfach zu beobachtenden Verlust des natürlichen Geschmacks. „Flavour“ heißt das allgegenwärtige Zauberwort. Flavour gibt es auch in Form von Drops, die man in den Kaffee wirft, auf dass dieser eine künstliche Vanille- oder Schokoladennote erhält.
Einfach nur Kaffee-Aroma reicht vielfach eben auch nicht mehr.