Wolfgang Niedecken und seine Band sind auf Zeitreise gegangen. Am Donnerstag war Tour-Auftakt im Kölner Sartory-Saal.
Zeitreise mit BAPNiedecken bringt Kölner Sartory-Saal zum Schunkeln und überrascht nicht nur damit
Da ist die Bedrohung durch den russischen Machthaber, die Inflation ist in kürzester Zeit stark angestiegen, vor allem jüngere Generationen kritisieren fehlendes Umweltbewusstsein, den Wäldern geht es schlecht. So war das, 1981. Es ist auch das Jahr, in dem eine Band aus Köln ihr drittes Studio-Album veröffentlicht. „Für usszeschnigge“ erobert die Charts und wird zum Durchbruch für Wolfgang Niedecken und seine Band BAP. Verdamp lang her.
42 Jahre später haben sich rund 1500 gealterte Fans der Gruppe auf eine abenteuerliche Zeitreise begeben. Im ausverkauften Sartory an der Friesenstraße, wo die Band in ihren Anfangsjahren so oft wie nirgendwo sonst spielte, wollen sie noch mal dem Gefühl von damals begegnen und die Hits mitsingen, als Niedecken mit seinen Texten bundesweit den Nerv einer Generation traf – obwohl davon die wenigsten Kölsch verstanden.
Köln: Wolfgang Niedecken startet im Sartory die Zeitreise mit BAP
So entpuppt sich das erste von insgesamt vier ausverkauften Sartory-Konzerten zu einer Art Klassentreffen, wo zwar die Mitschüler gealtert sind, nicht aber die Songs. Teilweise mutet es gar erschreckend an, dass die Anfänge der 80er Jahre so manche Parallelen zu heute aufweisen. War es damals der „saure Regen“, der die Wälder bedrohte, hat der Borkenkäfer inzwischen riesige Flächen vernichtet. Die Inflation kletterte 1981 in Deutschland auf 6,3 Prozent. Eine höhere Teuerungsrate hatte es seitdem nicht mehr gegeben – bis 2022 und der Ukraine-Krieg kamen: 6,9 Prozent.
„Plant mich bloß nicht bei euch ein!“, heißt es in der Rolle eines russischen Deserteurs im Song „Zehnter Juni“, der im Sartory aktueller denn je klingt. Niedecken schrieb den Text 1982 anlässlich der Friedensdemonstration in Bonn, als 500.000 Menschen gegen den Nato-Doppelbeschluss protestierten.
Spätestens hier wechselt das BAP-Konzert für wenige Songs von dem Party- in den Kundgebungs-Modus: „Wenn et Bedde sich lohne däät" ist der nächste, offenbar zeitlose Song. Niedecken habe schlucken müssen, als er ihn bei der vorherigen Tour erstmals seit 35 Jahren wieder gespielt habe, erzählte er im Vorfeld des Konzerts. Noch heute werde der Glaube an Gott missbraucht, aktuell im Nahen Osten.
BAP-Tourstart in Köln: Wolfgang Niedecken bezieht Stellung zu Israel
„Was da gerade in Israel passiert, ist schrecklich und geht uns sehr nah. Wir als Deutsche haben erst mal vor der eigenen Haustür zu kehren und dafür zu sorgen, dass jüdische Mitbürger hier angstfrei leben können“, sagt der BAP-Chef unter dem Beifall des Publikums. Es folgt das wohl bekannteste Statement der Band gegen Antisemitismus, Fremdenhass und Populismus: „Kristallnaach“.
„Ich hoff bloß, die kapiere nit nur minge Quatsch, sondern och dat, woröm et mir jeht“, singt Niedecken im Eröffnungssong „Koot vüür Aach“ um kurz nach Acht. Dieser Song vom Album „Vun drinne noh drusse“ hatte es bislang noch nie auf eine Setliste geschafft und feiert somit nach 41 Jahren eine ungeahnte Live-Premiere. Es folgen 30 weitere Songs, die mindestens 40 Jahre alt sind.
„Die Leute hatten Tränen in den Augen“, erzählt Niedecken, wie alte Songs auf der zurückliegenden Tournee im Publikum aufgenommen worden waren. „Das war ein nostalgisches Gefühl, obwohl ich das Wort nostalgisch, meide wie der Teufel das Weihwasserbecken.“ So sei dann die Idee zur aktuellen Zeitreise entstanden.
Sein Publikum sei gealtert, scherzt Niedecken, als er in die Reihen schaut. Aber auch er habe sich verändert: „Der ganz naive Pazifismus ist bei mir auf der Strecke geblieben.“ Auch hätten sich die Entwicklungen im Karneval gebessert, zumal seine Frau und die beiden Töchter sehr jeck seien. Zudem sei er altersmilde geworden. Beim Anti-Karnevsls-Song „Nit för Kooche“ bringt Niedecken dann alle Gäste im Sartory – bekanntlich eine Hochburg des kölschen Fasteleers – zum Schunkeln.
Wolfgang Niedecken präsentiert in Köln sein Frühwerk mit BAP
Andere Künstler arbeiten mit 72 Jahren am Spätwerk – Niedecken präsentiert sein Frühwerk. Für seine Fans der ersten Stunde sind es lang herbeigesehnte Weihnachtsgeschenke: Der „Müsli Män“ wird dabei ebenso ausgepackt wie „Jupp“ oder „Anna“.
Zwar gab es auf den vergangenen Tourneen stets auch Klassiker und Songs aus den Anfängen, aber eben nur in dosierter Form. Niedecken ist genauso wichtig, mit seinen aktuellen Songs am Puls der Zeit zu sein. BAP sei keine Oldie-Band, hat ihr Chef stets betont. Doch er teilt das Schicksal vieler Kollegen: Die neuen Songs werden beklatscht, die alten gefeiert.
BAP-Klassiker „Verdamp lang her“ kommt im Kölner Sartory neu arrangiert daher
Wer BAP an diesem Abend zum ersten Mal hört, dürfte kaum erkennen, dass die Songs aus den Zeiten von Helmut Schmidt oder Helmut Kohl stammen. Musikalisch klingen sie taufrisch. Niedecken kann sich glücklich schätzen, nach Klaus Heuser und Helmut Krumminga mit Ulrich Rode einen weiteren Ausnahmegitarristen gefunden zu haben.
Selbst der größte BAP-Hit „Verdamp lang her“ kommt im Sartory neu arrangiert daher: Keyboarder Michael Nass hat eine ruhige Piano-Passage eingebaut, bevor es mit den drei Bläsern als Verstärkung zum Finale geht. Dieses wird mit „Frau, ich freu mich“ eingeleitet.
Doch wer BAP kennt, weiß, dass danach noch lange nicht Schluss ist. Es folgen insgesamt zehn Zugaben. Am Ende, nach drei Stunden und 30 Songs, singt Niedecken solo Nummer 31: „Helfe kann Dir keiner“. Stimmt. Schließlich stehen für ihn in den nächsten drei Tagen jeweils drei weitere kraftraubende Drei-Stunden-Konzerte im Sartory an. Und das mit 72. Da kann man mal klatschen.