- „Feinde im eigenen Land – was tun gegen den IS-Terror?“ lautete der Titel des Maybrit Illner Talks am Donnerstagabend.
- Unter den Gästen war auch der Kölner Pfarrer Franz Meurer. Er fasste die politischen Floskeln über Integration wunderbar schnörkellos zusammen.
- Meurer berichtete von der Arbeit in seiner Gemeinde in Köln-Mülheim, in der überwiegend Muslime leben.
- Mit „Religion ist saugefährlich“ lieferte Meurer den Satz des Abends.
Köln – Angst ist ein wichtiges Thema in der Runde, die Maybrit Illner an diesem Donnerstag um sich versammelt hat. Ebenso furchteinflößend wie der Titel der Sendung ist auch die Studiodekoration – überlebensgroße bärtige Männer mit Kampfkleidung und Schusswaffen, dazwischen Schlagworte wie »Terror«, »Paris« oder »Lahore« auf einer Tapete von Nullen und Einsen. Auch in ihrer kurzen Einführung stachelt die Moderatorin das mulmige Gefühl weiter an, spricht von »Irrsinn« und davon, dass man vor Angst nicht den Kopf verlieren sollte.
Wird man, fragt sie, auch in Zukunft trotz zahlreicher Hinweise Anschläge wie in Brüssel nicht verhindern können? Terrorismusexperte Peter Neumann wird hier deutlicher als Wolfgang Bosbach, der etwas vage von einem langen Kampf gegen den Terrorismus spricht: »Die Gefahr besteht absolut«. Propagandavideos, die das Reichstagsgebäude oder den Kölner Flughafen in Flammen zeigen? Man habe, erklärt Neumann, bei bisherigen Anschlägen häufig im Vorfeld eine Häufung solcher Videos erlebt, die durchaus auf konkrete Absichten schließen lassen. Leider.
Die Ausgangssituation, die sich damit für die Diskussion ergibt, ist herausfordernd. Es scheint, als wolle Maybrit Illner bewusst das herbeiführen, was viele derzeit als Versäumnis der Politik wahrnehmen: Das Eingehen auf die Ängste, die die Bevölkerung umtreiben. Zwar gelingt es im Folgenden nur selten, den Gästen so konkrete Aussagen zu entlocken wie dem Terrorismusforscher – besonders Wolfgang Bosbach und Bodo Ramelow verfallen immer wieder in reflexartige Phrasendrescherei, die Illner nach Möglichkeit schnell unterbricht. Doch aus allen Stellungnahmen und Einschätzungen entsteht ein differenziertes Bild davon, worin die Hauptprobleme bestehen.
Ist der Islam eine per se gewalttätigere Religion als andere?
Einen wichtigen Beitrag leistet hier der ehemalige Salafist Dominic Musa Schmitz, dessen Schilderung Wege in den Extremismus im Ansatz nachvollziehbar macht. Dieser Perspektivwechsel hilft zu verstehen, warum es ein Ziel des IS ist, die antimuslimische Stimmung in Europa weiter zu verschärfen, denn Ausgrenzungserfahrung und die Selbstwahrnehmung als Opfer erhöhen die Anfälligkeit für fanatisches Gedankengut.
An dieser Stelle versucht Illner vergeblich, aus ihren Gästen eine Aussage darüber herauszukitzeln, ob der Islam eine per se gewalttätigere Religion ist als andere. Es sei Quatsch zu sagen, der IS habe mit dem Islam nichts zu tun, erklärt Dominic Musa Schmitz und negiert damit eine beliebte Formel. Der Salafismus sei eben eine von vielen möglichen Interpretationen derselben Quellen, auf die sich auch eine Milliarde friedliche Muslime weltweit bezögen. Trotzdem: Die Gewaltbereiten seien eine sehr kleine Minderheit innerhalb der Minderheit der Fundamentalisten. Auch die Journalistin Düzen Tekkal akzeptiert die Formulierung vom Missbrauch des Islam nicht ohne weiteres und verlangt von den in Europa lebenden Muslimen eine klare Distanzierung vom IS-Terror.
Hat man nun jahrelang übersehen, dass die terroristische Bedrohung in Europa nicht von außen kommt, sondern vor allem im Inneren heranwächst? Wie viele Fragen, die Illner ihren Gesprächspartnern stellt, wird auch diese nicht ganz klar beantwortet, aber sie gibt Anlass für Aussagen, die nicht zur allgemeinen Beruhigung beitragen. Ein Zuschauerkommentar, der verlesen wird, konstatiert mit einiger Resignation, dass die Behörden schon seit Jahren nicht gegen Hassprediger und Clanstrukturen ankämen: »Und wie soll das jetzt gegen den IS gelingen?
Keine einheitliche Schreibweise der Namen
Die Schwierigkeiten der Behörden demonstriert auch die länderübergreifende Datei mit den Namen potentieller Gefährder, in der viele der einschlägigen Personen allein deshalb fehlen, weil nur wenige Länder Einträge geliefert haben, zumal die Datei von der Polizei verwaltet wird, an die die Geheimdienste grundsätzlich keine Informationen weitergeben. Und selbst wenn jemand eingetragen ist, heißt es noch nicht, dass er über die Datenbank gefunden werden kann – weil es keine Verständigung auf eine einheitliche Schreibweise der Namen gibt.
Man habe, sagen Peter Neumann und Bodo Ramelow übereinstimmend, bei der Schaffung des Schengenraums lediglich die Bewegungsfreiheit im Kopf gehabt. Dass ein gemeinsamer Staatsraum aber auch übergreifende Regeln, ein Sicherheitskonzept und eine mit allen abgestimmte Strategie zum Schutz der EU-Außengrenzen benötige, habe man übersehen.
Pfarrer Franz Meurer: „Handeln statt reden“
Letztendlich sind sich alle Diskussionsteilnehmer in einer Sache einig, die am ehesten eine Antwort darauf liefert, wie man vor Angst nicht den Kopf verlieren kann. »Handeln statt reden«, nennt es der Kölner Stadtteilpfarrer Franz Meurer, der alle politischen Floskeln über Integration wunderbar schnörkellos zusammenfasst: »Die Lösungsgedanken sind ganz einfach, aber es ist sehr anstrengend, sie umzusetzen«.
Dass man mit Ansprache und Pragmatismus viel erreichen kann, beweist Meurer in seiner Gemeinde, in der er die zahlreichen muslimischen Jugendlichen ganz selbstverständlich in die Arbeit miteinbindet.
Mit „Religion ist saugefährlich“ lieferte Meurer den Satz des Abends. „Wenn du willst, dass ein guter Mensch was Böses tut, führe ihn zur Religion“, erklärte er.
Schlagabtausch mit Wahlkampfparolen
»Man muss«, bestätigt auch Peter Neumann, »mit den Leuten sprechen, bevor die Extremisten es tun.« Prävention ist im Grunde ganz einfach.
Gegen Ende verrennen sich Bosbach und Ramelow dann doch noch in einen Schlagabtausch mit Wahlkampfparolen und streiten darüber, welche Fehler Bund und Länder im Umgang mit Asylanträgen machen. Zeit für ein umfassendes Fazit bleibt damit nicht, nur noch zwei schnelle Sätze von Dominic Musa Schmitz und Düzen Tekkal, die sich beide auf die patriarchalischen Strukturen beziehen, die im Islam häufig noch vorherrschen.
Hier zeigt sich ein Manko in der Auswahl der Gesprächspartner. Denn trotz ihrer differenzierten Beiträge können Schmitz und Tekkal nicht verhindern, dass wie so oft nur über deren Kopf hinweg über Muslime gesprochen wird. Spannender wäre es gewesen, Beispielsweise einen islamischen Theologen dabeizuhaben, der Tekkals Forderung nach einer Stellungnahme direkt hätte aufgreifen können.
Was nach der Sendung bleibt, ist der erschütternde Eindruck, dass jeder die Probleme identifizieren und benennen kann, ohne wirklich etwas tun zu können – denn zum einen fehlt es am Willen zu einem entschlossenen europäischen Handeln, zum anderen kommt Prävention für viele bereits zu spät. Umso wichtiger ist es, die in Europa angekommenen Flüchtlinge ins gesellschaftliche Leben zu integrieren, um keine neuen Ausgrenzungserfahrungen und Radikalisierungsautomatismen zu generieren.