Die Stadtführer klagen zu Recht. Wo steht geschrieben, dass Bauzäune oder Fassaden-Bespannungen ein Ausbund der Scheußlichkeit sein müssen?
Beschämender ZustandKölns historisches Zentrum wirkt verwahrlost und dreckig
Die Sommerferien sind für Köln die gefährlichste Zeit des Jahres. Die Einheimischen reisen in alle Welt und stellen fest: Es gibt Städte, große und kleine, in denen fließt der Verkehr, die Bahnen fahren pünktlich, und an den Sehenswürdigkeiten haben die Besucher ihre Freude, weil alles schön hergerichtet und sauber ist.
„Geht doch“, sagen die Kölnerinnen und Kölner und wundern sich noch mehr als sonst, dass zu Hause oft rein gar nichts geht. Gleichzeitig reisen Hunderttausende Gäste nach Köln. Ihre Zahl liegt inzwischen wieder auf Vor-Corona-Niveau und sogar darüber. Sie kommen also nach Köln und stellen fest: Es ist dreckig. Es ist chaotisch. Selbst an den bedeutendsten historischen Stätten, angefangen bei der Domumgebung, grassiert die Verwahrlosung. Das Gefühl der Scham muss jeden beschleichen, der etwas auf diese Stadt hält, die so viel zu bieten hat – und das auch ansehnlich präsentieren könnte. Wenn sie nur wollte.
Doch schon auf einen Protest-Artikel der früheren Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner im „Kölner Stadt-Anzeiger“ nach den Osterferien passierte wenig bis gar nichts. Jetzt haben die Stadtführerinnen und -führer ihrem Unmut Luft gemacht. Sie sind es, die den Touristen Köln nahebringen sollen. Dass die Reaktionen dann eher entsetzt als begeistert ausfallen, ist gewiss nicht ihre Schuld.
Die Reaktion der Verantwortlichen wiederum ist – typisch Köln und der beste Beleg für die Misere. Negative Rückmeldungen von Gästen zur Sauberkeit rund um den Dom seien nicht bekannt, behauptet etwa der Chef von „Kölntourismus“. Dabei würde doch schon der bloße Augenschein genügen – oder die Begleitung einer Touristengruppe, um von solcher Ignoranz zur Erkenntnis der Wirklichkeit zu gelangen. Die Stadt räumt immerhin ein, die „Sachlage“ sei sehr wohl bekannt. Es werde „einiges“ für eine ansehnlichere Präsentation getan oder geplant, etwa für die „weitere Aufhellung des Bauumfelds“ am Römisch-Germanischen Museum.
Aber selbst im schönsten Behördendeutsch lässt sich die „Sachlage“ eben nicht schönreden. „Sehen – urteilen – handeln“ heißt ein Dreischritt zur wirksamen Veränderung der Realität. Warum eigentlich gelangen Menschen, zu deren Job der Zustand der Kölner City gehört, nur bis zum zweiten Schritt – wenn überhaupt?
Ein Sofortprogramm zur intensivierten Reinigung an den neuralgischen Punkten wäre jetzt das Mindeste, gerade in der touristischen Hochsaison. Dass die Um- und Neugestaltung der Innenstadt zur „Historischen Mitte“ mit lästigen Arbeiten und Dauerbaustellen einhergeht, ist zweifellos unvermeidlich. Aber nirgends steht geschrieben, dass Gerüste, Fassadenbespannungen oder Bauzäune ein Ausbund der Scheußlichkeit sein müssen. Im Gegenteil: Schon seit 2018, so ist zu erfahren, gibt es für die attraktivere Gestaltung von Bauzäunen bei der Stadt ein eigenes „Handbuch“. Das sollte – sehen, urteilen, handeln – vielleicht auch mal jemand in die Hand nehmen und der Lektüre Taten folgen lassen.
Nirgends sonst, hat man den Eindruck, gehen Kommunen mit ihrem kulturellen Erbe – von Weltkulturerbe gar nicht zu reden – so nachlässig, mit so wenig Wertschätzung um wie in Köln. Andernorts weiß man offenbar, dass die Schätze der Geschichte für eine Stadt auch das Kapital von heute sind und Teil der Wertschöpfungskette von morgen. Vom Stolz Kölns auf seine reiche kulturelle Überlieferung zeugen allenfalls Konzepte wie eben die „Historische“ Mitte oder die „Via culturalis“. Nur: Mit hochtrabenden Begriffen allein riskiert man am Ende nichts anderes als historischen Murks.