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Buchkritiker Denis Scheck im Interview„Köln ist ein sehr guter Ort für Literatur“

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Denis Scheck 2

Denis Scheck ist wohl der bekannteste Literaturkritker Deutschlands und lebt seit 20 Jahren in Köln

Köln – Denis Scheck ist Deutschlands wohl bekanntester Literaturkritiker, seit 2003 ist er in der ARD mit „Druckfrisch“ auf Sendung. Der gebürtige Schwabe lebt seit 20 Jahren in Köln. Mit uns sprach Scheck über...

...seine Wahl des Treffpunkts, das Excelsior Hotel Ernst am Dom:

„Es ist einer meiner Lieblingsorte, das Wohnzimmer Kölns. Es liegt günstig, man kann sich hier immer wunderbar verabreden. Es ist immer etwas Besonderes, hier jemanden zu begrüßen oder zu verabschieden. Es ist auch ein Haus mit kultureller Tradition. Der Vielreiser Theodor Fontane kam auf seinen Reisen nach London häufig durch Köln, hat hier in einem der Vorgängerhotels geschlafen und darüber geschrieben. So hat er hier die Weltneuheit eines Wasserklosetts kennengelernt und bestaunt. Fontane beschreibt allerdings nicht nur das Klosett an sich, sondern ist auch erstaunt, dass sich einige Kölner durch Wandmalereien unsterblich gemacht haben. Da hat sich bis heute nicht viel geändert.“

...seinen Eindruck, als er vor 20 Jahren nach Köln kam:

„Ich habe Köln als potthässliche Stadt empfunden. Dieses Bild gilt es auch heute auszuhalten, wenn man einen Sinn für Ästhetik hat. Köln muss jeden Tag für den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sühnen. Ich bin sehr gern hier, denn Köln hat wahnsinnig gute Seiten: Hier leben die freundlichsten Menschen ganz Deutschlands. Ich empfehle jedem Ausländer, der nach Deutschland kommen will: „Lass dich nur in Köln nieder.“ Die Freundlichkeit der Kölner ist legendär – da muss man hier nur mal Straßenbahn fahren und dann das Erlebnis mit dem in anderen Städten vergleichen. Die Toleranz der Kölner zeigt sich auch daran, dass Menschen wie ich hier so leben können wie sie möchten.“

...die Wahl seines Wohnorts in Köln:

„Für mich ist nur wichtig, dass ich in der Innenstadt wohne. Ich brauche eine Oper, Theater, einen Konzertsaal und möchte in der Nähe des Flughafens und des Hauptbahnhofs sein. Und ich möchte einen Garten haben, denn ich habe einen Hund. Das klingt nach Quadratur des Kreises, aber ich habe es geschafft.“

...die schönen Seiten Kölns:„Ich mag viele Parks, bin gern auf dem Melaten-Friedhof, liebe den Forstbotanischen Garten. Ich freue mich immer über den wunderbaren Heinzelmännchen-Brunnen, eines der schönsten Literaturdenkmäler. Und die Legende, dass nur durch die Neugier einer Frau das Übel der Arbeit in die Welt kam, ist eine misogyne Erzählung, die so eigentlich nur aus Köln kommen kann.“

...die Frage, ob Köln die Stadt seines Herzens geworden ist:

„Ich finde, als Intellektueller sollte man sich kein Vaterland leisten. Meine Heimat finde ich in der Literatur. Ich habe gerade das Buch „Die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur“ fertiggeschrieben – das reicht von Homer bis „Tim und Struppi“, und das signalisiert ein bisschen meinen Bildungsbegriff.“

Denis Scheck beim Interviewtermin im Excelsior Hotel Ernst

...das Werk des Kölner Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll:

„Böll hat fantastische Erzählungen geschrieben. Seine Bedeutung für die deutsche Nachkriegsliteratur ist enorm. Dennoch bin ich in Sachen Nobelpreis ein bisschen engherzig. Ich finde, der hätte zu der Zeit schon an Günter Grass gehen müssen, der ihn Gott sei Dank später noch bekam. Aber der, der ihn wirklich verdient hätte, ist leider ohne diesen Preis in die Grube gefahren – Arno Schmidt. Dessen „Zettels Traum“ ist natürlich in meinem Kanon.“

...die Idee, Böll mit einem Denkmal unweit seines Geburtshauses zu ehren: Köln hat allen Grund, auf ihn stolz zu sein. Aber lieber als ein Denkmal sähe ich es, wenn man einmal im Jahr im Andenken an den satirischen Autor Böll, den Verfasser von „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, ein großes Freibier-Fest des freien Wortes feiern würde. Da wäre der WDR ein guter Ort.

Zur Person

Denis Scheck, geboren am 15. Dezember 1964 in Stuttgart, ist Literaturagent, Übersetzer US-amerikanischer und britischer Autoren, Herausgeber und freier Kritiker. Er studierte Germanistik, Zeitgeschichte und Politikwissenschaft in Tübingen, Düsseldorf und Dallas (USA). Von 1997 bis 2016 arbeitete er als Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, im Fernsehen moderiert er das ARD-Büchermagazin „Druckfrisch“, das Kulturmagazins „Kunscht!“ und die Literatursendung „Lesenswert“ im SWR. Schenk ist mit der Journalistin Christina Schenk verheiratet. Er lebt im Kölner Süden.

...die Frage, ob Literatur in Köln eine angemessene Rolle spielt:

„Köln war immer ein sehr guter Ort für Literatur. Kennengelernt habe ich die Stadt durch die Kölner Böll und Rolf Dieter Brinkmann, eine turmhohe Gestalt in der Nachkriegsliteratur, und Dieter Wellershoff. Und Köln ist die Stadt von Irmgard Keun. Köln ist auch ein Ort für gute Verlage – wie zum Beispiel Kiepenheuer und Witsch. Dazu kommen das Kölner Literaturhaus, die Kölner Bibliothek, Buchhandlungen wie die von Bittner oder die Lengfeldsche – das sind alles Institutionen. Hier ist die lit.cologne entstanden, das größte deutschsprachige Literaturfest, die Mutter aller Literaturfeste. Und wenn man in die Kneipen geht, hat man den Eindruck, dass Köln auch ein besonderer Ort für Geschichtenerzähler ist.“

...einen der erfolgreichsten Kölner Autoren, Frank Schätzing:

„Frank Schätzing ist ein großer Gewinn – für die Literatur und für mich als Mensch. Ich habe vor ihm großen Respekt, er zeigt mit seinen Romanen, dass man auf hohem Niveau unterhalten kann. Damit hatte die deutsche Literatur ja lange Probleme.“

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...das Festival „Literatur in den Häusern der Stadt“, an dem er teilgenommen hat:

„Es ist eine hervorragende Idee. Damit kommt man in Immobilien, die einem normalerweise verschlossen bleiben. Ich finde es sehr gut, dass Literatur raus aus dem Elfenbeinturm kommt und tatsächlich ins Leben tritt. Das ist ja auch die Idee meiner Fernsehsendung „Druckfrisch“.“

...den neuen Prachtband von Goethes „Italienische Reise“, zu dem er das Nachwort beigesteuert hat.

„Ich fühlte mich als Hochstapler. Das Selbstbild, das ich von mir habe, ähnelt eher dem eines 14-jährigen Lausbubs als eines 54-jährigen Kritikers, denn es sind ja schon ganze Bibliotheken über Goethe publiziert worden. Mir war klar, dass das ein Haufen Arbeit wird, was Neues zu finden. Aber dann habe ich doch einige nicht unspektakuläre Funde gemacht – zum Beispiel, dass Goethe in Italien ein Spiel kennenlernt, das nach einer frühen Phase eines Fußballspiels aussieht, und dass er in Sizilien dem Geheimnis der handgemachten Nudel auf die Spur kommt. Das erfüllt mich doch mit Stolz.“

...die Frage, ob er sich vorstellen kann, seinen Lebensabend in Köln zu verbringen:

Bis zu meinem Lebensabend sind es ja noch hoffentlich einige Jahre. Bis dahin bleibe ich gern in Köln. Aber bis zum Ende vielleicht doch nicht. (red)