Die AfD fordert lautstark „Remigration“, trotzdem verzeichnet die Partei einen Anstieg an Wählerstimmen von Menschen mit Migrationshintergrund.
Bundestagswahl in KölnWarum Sedat und Yildiray ihr Kreuz bei der AfD machen
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Warum wählen Menschen mit Migrationshintergrund AfD? Sedat lebt in Kalk und will anonym bleiben.
Copyright: Arton Krasniqi
Yildirays Stimme ist ruhig, fast zögerlich, wenn er erklärt, wieso er am 23. Februar sein Kreuz bei der AfD machen wird. Als wolle er sich für seine Ansichten verteidigen, noch bevor überhaupt Widerspruch kommt. Das klingt dann so: „Ich denke nicht, dass jeder Mensch mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen und schwarzem Bart direkt abgeschoben wird. Das ist meine Meinung.“ „Die letzte Flüchtlingsgeneration, die 2015 kam, die hat vieles vermasselt. Das ist meine Meinung. Die werfen ein schlechtes Bild auf Menschen wie mich, die hier geboren sind, aber genauso aussehen.“ Und: „Es muss aufgeräumt werden – das ist meine Meinung.“
Ein kalter Montagnachmittag, wenige Wochen vor der Bundestagswahl. Yildiray steht in einem Kiosk in Kalk. Der Inhaber, selbst türkischer Staatsbürger, hatte den Kontakt vermittelt, die Männer sind gute Bekannte. „Guckt euch den an, fliegt jedes Jahr in die Türkei und wählt hier AfD“, sagt der Inhaber und lacht. Dann sagt er: In manchen Punkten verstehe er seinen Freund. Ein wenig, jedenfalls. Yildiray, der eigentlich anders heißt, stellt nur eine Bedingung für das Gespräch: Er möchte anonym bleiben. Es reicht ihm, dass sein enger Freund ihn jedes Mal für verrückt erklärt, wenn sie über Politik reden.
Yildiray entspricht in vielen Punkten dem Bild des durchschnittlichen AfD-Wählers, das die Statistik zeichnet: Männlich, 32 Jahre alt, ein angestellter Arbeiter aus einfachen Verhältnissen, der viele Jahre gar nicht wählte. Trotzdem gehört Yildiray zu einer Wählergruppe, die man nicht sofort mit der AfD verbindet: Yildiray ist Moslem und Enkel türkischer Gastarbeiter. Und wenn AfD-Politiker Abschiebeforderungen mit KI-generierten Bildern von Männern mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen und schwarzem Bart unterlegen, dann sehen die ein bisschen aus wie er.
21 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund halten die AfD für wählbar
Rund zwölf Prozent der Wahlberichtigten, die am Sonntag zur Urne gebeten werden, haben einen Migrationshintergrund. Forscher des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) befragten zwischen Dezember 2023 und März 2024 Menschen dieser Gruppe: Welche Parteien halten sie für wählbar? Mehrfachnennungen waren möglich. Die SPD lag mit 76 Prozent weit vorne, die AfD landete hinten. Und trotzdem: 21 Prozent der Befragten hielten die Rechtspopulisten für wählbar. Ein Wert, der überrascht – und der laut Experten steigt.
Yildiray nennt als Hauptgrund für seine Wahlentscheidung die Migration. Die Gesetze findet er zu locker, das Bürgergeld zu schnell verteilt, die Einwanderung zu unkontrolliert. 2017 wählte er das erste Mal AfD, sagt er, wegen der Kölner Silvesternacht. „Dann denkt man sich: Wir Deutsche haben euch geholfen und so bedankt ihr euch.“ Er will strengere Regeln, sagt Yildiray, jemanden, der so richtig durchgreift. Alice Weidel hält er für eine solche Person. So kam sie jedenfalls auf den Videos auf den Social-Media-Plattformen TikTok und YouTube rüber, die er gesehen hat.
Das Ausländeramt kümmere sich vor allem um Ukrainer, sagt Sedat
Yildiray hält trotzdem bei einigen Punkten Distanz. An millionenfache Abschiebungen, die manche Abgeordnete fordern, glaubt er nicht. Das könne Deutschland sich finanziell gar nicht leisten, sagt er, schließlich arbeiten viele Migranten hier. Der Islam, von Alexander Gauland als „Fremdkörper“ bezeichnet, gehört für Yildiray zu Deutschland. Weil Muslime wie er zu Deutschland gehören. Auch, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall beobachtet, findet er in Ordnung. Wählen wird er sie trotzdem.
Die AfD wirbt mittlerweile offen um die Stimmen von Deutschtürken. Maximilian Krah, der die AfD in den Europawahlkampf führte, betont in einem Video die deutsch-türkische Freundschaft und lobt den türkischen Präsidenten Erdogan. In einem weiteren Video spricht er Menschen mit Migrationshintergrund direkt an. Sie würden das Bürgergeld zahlen für Geflüchtete, die ab 2015 ins Land gekommen wären, behauptet er. Dann richtet er den Zeigefinger auf die Kamera: „Du wirst nicht abgeschoben, denn du sollst mich wählen.“
„Das ist das erste Mal, dass ich den Wahlbrief nicht weggeschmissen habe“
Sedat macht sich über Abschiebung keine Sorgen. „Ich arbeite hier seit 27 Jahren, zahle meine Steuern, habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Warum sollten die mich abschieben?“, fragt er. Auch Sedat trifft der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor dem Kiosk in Köln-Kalk, auch er will seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen.
Sein Leben lang, erzählt Sedat, schwarze Haare, dichter Bart, leichter Kölscher Singsang in der Stimme, habe er zwischen Kalk, Vingst und Ostheim gelebt. In seinem „Bermuda-Dreieck“, wie er sagt. Mit einer kurzen Unterbrechung: 1989, Sedat war zehn Jahre alt, zog die Familie zurück in die Türkei. Fünf Jahre später kehrte er als Jugendlicher zurück. Mit Politik, sagt er, hat er sich lange nicht beschäftigt. Sonntags habe er immer Besseres zu tun gehabt, sagt er und lacht. Am 23. Februar wird das aber anders sein. „Das ist das erste Mal, dass ich den Wahlbrief nicht weggeschmissen habe.“ Auch Sedat will die AfD wählen.
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Sedat war bisher Nichtwähler. Das will er bei dieser Wahl ändern.
Copyright: Arton Krasniqi
Fragt man ihn warum, spricht Sedat von kriminellen Geflüchteten, die nicht abgeschoben würden. Davon, dass er sich auf der Kalker Hauptstraße nicht mehr sicher fühle, dass er auf dem Kölner Wohnungsmarkt keine Chancen mehr habe. Und er sieht sich in Konkurrenz mit Flüchtlingen und Migranten, sagt, „syrische Flüchtlinge bekommen hier die schönsten Wohnungen“.
Dann erzählt er eine Geschichte von seiner Mutter, die noch einen türkischen Pass besitze: Als der Pass verlängert werden musste, brauchte es einen neuen Aufenthaltstitel. „Zuerst sagte die Ausländerbehörde, das dauert ein paar Wochen.“ Am Ende wurden daraus mehrere Monate, in denen seine Mutter zwischenzeitlich in der Türkei festsaß. Sedats Eindruck: Das Ausländeramt kümmere sich vor allem um Ukrainer, Menschen wie seine Mutter hätten keine Priorität.
Ob er glaube, dass ausgerechnet die AfD dafür sorgen werde, dass seine Mutter schneller an einen Aufenthaltstitel kommt? „Die Hoffnung ist, dass die AfD zumindest einmal auf den Tisch haut und endlich aufräumt.“ Warum er nicht die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Friedrich Merz wählt? „Ganz ehrlich: Den kenne ich gar nicht.“
Forscher: Die AfD spielt mit dem Begriff „Remigration“
Früher hätten Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund meist SPD gewählt und Spätaussiedler aus der Sowjetunion die CDU, sagt Stefan Marschall, Politologe und Parteienforscher an der Uni Düsseldorf. Das habe sich gewandelt. Bei Russlanddeutschen schneidet die AfD überproportional hoch ab, befeuert unter anderem durch die russlandfreundliche Haltung der Partei. Doch auch in anderen migrantischen Communitys stieg der Anteil der AfD-Wähler an.
„Diese Werte sind erstaunlich“, sagt Marschall. „Durch ihre ‚Remigration‘-Forderungen wurde schließlich deutlich, wie skeptisch die AfD gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund ist, die bereits eingebürgert sind.“ Die Partei spiele mit dem Begriff „Remigration“: Die Rechtsaußen-Wähler, die ihn in all seiner Radikalität verstehen sollen, interpretieren ihn auch so. So könne die AfD erfolgreich den Blinker ins rechtsextreme Spektrum setzen. „Die anderen Anhänger beruhigen sie und sagen: Mit ‚Remigration‘ meinen wir nur die Abschiebung von Straftätern ohne deutsche Staatsbürgerschaft.“ Die Diskurse, die in der AfD geführt werden, hätten „durchaus einen rassistischen Bezug“, so Marschall. Indem innerhalb der AfD verschiedene Interpretationen beibehalten werden, sichere sich die Partei jedoch weiterhin Stimmen bei Menschen mit Migrationshintergrund.
Zudem vertritt die AfD Familien- und Rollenbilder, die in manchen konservativen migrantischen Gruppen Zustimmung finden. Weiterer Migration stehe diese Bevölkerungsgruppe nicht zwingend positiv gegenüber, so Marschall. „Aktuell wird Migration sehr kritisch diskutiert, insbesondere in Folge der Gewalttaten in Magdeburg und Bayern. Man möchte nicht in Verbindung damit gebracht werden, nur weil man selbst einen Migrationshintergrund hat, sondern sieht sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft.“ Die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter habe die Situation noch verschärft. „Die Konkurrenz um Wohnraum und sonstige Ressourcen ist größer geworden.“
Am Kalker Kiosk stellt sich eine junge Frau vor die Kasse, zückt ihr Portemonnaie. Ob sie einen deutschen Pass hat und wählen kann?, fragt der Inhaber freundlich. Ja, antwortet sie etwas verdutzt, sie wolle die Linke wählen. Ach, sagt er, er frage nur, weil hier zwei Journalisten mit AfD-Wählern mit Migrationshintergrund sprechen wollen. Davon gebe es hier in Kalk einige. Die junge Frau zieht überrascht die Augenbrauen hoch, wendet sich zum Gehen. „Was für ein Eigentor“, sagt sie.