Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben gezeigt, wie professionalisiert der Drogenhandel organisiert ist. Anwohner sind frustriert und stellen Forderungen.
„So kann es nicht weitergehen“Wie Anwohner in Kalk unter der Drogenkriminalität leiden
Um zu zeigen, wie groß das Problem mit den Drogen hier in ihrem Viertel ist, hält Cengiz Yilmaz einen Jugendlichen an, der gerade an seinem Kiosk Kaugummis gekauft hat. „Erzähl dem Reporter mal, wie das ist, mit den Drogen hier“, fordert er ihn auf. Der Junge, vielleicht 16 Jahre alt, erster Flaum im Gesicht, grinst. „Drogen“, sagt er dann und breitet die Arme aus, „findest du hier überall, egal was.“
Cengiz und Ramazan Yilmaz finden das gar nicht witzig. Seit rund 30 Jahren betreiben die beiden Brüder den Kiosk an der Haltestelle Kalk Post. Schon vor eineinhalb Jahren sprach der „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit ihnen über die offene Drogenszene in Kalk: über das Spritzbesteck, das die beiden jeden Morgen vor ihrer Ladentheke zusammenkehren müssen, über die Verelendung der Süchtigen und über den Schlagstock, der wegen der Gefahrensituation vor ihrem Kiosk bereitliegt. Passiert ist seitdem kaum etwas, sagen die beiden. „Es ist noch immer eine Katastrophe“, sagt Cengiz Yilmaz und seufzt.
Anwohner in Köln-Kalk fühlen sich alleingelassen mit Drogenkriminalität
Schon seit Jahren gilt das Zentrum des rechtsrheinischen Stadtteils Kalk zwischen Arcaden, alter Post, Trimbornstraße und Kalk-Mülheimer Straße als Kriminalitätsbrennpunkt. Und: Laut aktuellen Ermittlungen steht eine Kalker Drogenbande im Mittelpunkt des Drogenkriegs, der mehrere Sprengstoffanschläge und Geiselnahmen in Köln, Düsseldorf, Duisburg und anderen Städten zur Folge hatte.
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Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben außerdem gezeigt, wie professionalisiert die Drogendeals in dem Viertel mittlerweile ablaufen, wie vor allem arabisch-, türkisch- und albanisch-stämmige Banden den Rauschgifthandel in Kalk beherrschen. Polizistinnen und Polizisten aus dem Viertel berichteten anonym darüber, wie machtlos sie sich angesichts der gewachsenen Strukturen fühlen. „Hier droht ein ganzer Stadtbezirk zu kippen“, sagte eine Polizistin.
Fragt man unter Anwohnerinnen und Anwohnern im Viertel, wie sie die Zustände wahrnehmen, schlägt einem viel Frust entgegen. Viele wollen nicht mit Journalisten reden. Bei Cengiz und Ramazan Yilmaz ist das anders. Sie sind täglich vor allem mit den Folgen des Drogenhandels in Kalk konfrontiert. „Wir fühlen uns alleingelassen mit dem Problem“, sagen sie.
„Die Süchtigen setzen sich hier ihre Spritzen mitten in der Öffentlichkeit, ob Kinder hier sind oder nicht, ist ihnen egal.“ Immer wieder komme es auch zu Bedrohungen. „Die sind teilweise aggressiv ohne Ende“, sagt Ramazan Yilmaz. „Mir tun die Menschen ja leid, wenn sie nüchtern sind, sind das oft total liebe Menschen. Aber so kann das nicht weiter gehen.“
Polizei reagiert mit Videoüberwachung und Razzien in Kalk
Die Polizei betont, dass sie mit erhöhter Präsenz auf die Zustände reagiert, mit Videobeobachtung und immer wieder auch mit Razzien. Cengiz und Ramazan Yilmaz aber finden, dass das nicht ausreicht. „Es brauch mehr Kontrollen, mehr Polizei auf den Straßen“, fordern sie.
Noch wütender als die Zustände vor ihrem Kiosk aber macht die beiden die Perspektivlosigkeit, die viele Jugendliche im Viertel in die Arme der Drogenbanden treiben würde. Die beiden haben schon Generationen von Kalkern großwerden sehen. „Es gibt welche, die sind Ärzte geworden oder Ingenieure, aber es gibt auch immer mehr, die Dealer werden oder selbst an der Nadel hängen“, erzählt Cengiz Yilmaz. Und sein Bruder sagt: „Ich kann das auch verstehen. Die sehen andere 16-Jährige mit dicken Uhren und teuren Klamotten. Und dann wollen die das auch haben.“ Um Jugendliche vom Dealen abzuhalten, brauche es bessere Perspektiven und mehr Orte für Jugendliche. „Früher“, sagt Ramazan Yilmaz, „hatten wir hier Sozialarbeiter, die sich um uns gekümmert haben. Jetzt sind wir die Sozialarbeiter.“
Ein anderer Ladeninhaber auf der Kalker Hauptstraße bewertet die Situation ähnlich: „In den letzten Jahren ist es deutlich schlimmer geworden, mit dem Handel genauso wie mit dem Konsum.“ Während der Handel aber größtenteils im Verborgenen stattfindet, sieht der Mann die Folgen des Drogenkonsums im Viertel jeden Tag vor seiner Ladentür: „Jede Nacht sitzen die Menschen hier in den Seitenstraßen und spritzen sich Heroin und rauchen Crack, auch vor Kitas oder Arztpraxen.“
Die Polizei nimmt er als machtlos wahr: „Wenn die mal einen Straßendealer festnehmen und einem Richter vorführen, ist der oft schon ein paar Tage später wieder auf der Straße und es geht von vorne los.“ Oft seien die Straßendealer selbst abhängig und erhielten nur geringe Strafmaße, so der Mann. Die Hintermänner aber werden zu selten erwischt, sagt er.
„Kalk war schon immer ein Arbeiterviertel mit viel Migration. Und das hat trotz aller Konflikte immer gut geklappt“, sagt der Mann, der schon seit zwanzig Jahren seinen Laden in Kalk betreibt. Nach wie vor sei das Zusammenleben im Viertel grundsätzlich nicht schlecht. „Aber in den vergangenen Jahren kamen so viele junge Männer aus den verschiedensten Ländern nach Kalk – ohne Bildung, ohne Perspektive und ohne etwas zu verlieren.“ Dass die dann anfangen, mit Drogen zu dealen, sei kein Wunder. „Im Endeffekt ist Drogenhandel und Konsum ein Auswuchs von Armut. Das ist das wahre Problem hier.“
Treffen mit der Kalker Bezirksbürgermeisterin Claudia Greven-Thürmer im Kalker Bürgeramt. Auch sie ist besorgt, angesichts der zunehmenden Drogenkriminalität in ihrem Viertel. „Was die Menschen, die hier wohnen, am meisten beschäftigt, ist das Elend der Drogenabhängigkeit, mit denen sie permanent konfrontiert werden. Sie erleben offenen Drogenkonsum in Parks, in der U-Bahn und auf den Plätzen des Viertels – und das ist ein soziales Thema, bei dem sich der Sozialdezernent endlich etwas einfallen lassen muss.“ Aus ihrer Sicht brauche es mehr Streetworker, mehr medizinische Betreuung und endlich einen Drogenkonsumraum. „Auf den warten wir seit acht Jahren.“ Mitte Dezember hatte der Stadtrat beschlossen, dem Träger „Vision e.V.“ den Eigenanteil zur Finanzierung des Drogenkonsumraums zu erlassen. Er soll nun komplett von der Stadt finanziert werden. Greven-Thürmer hofft deswegen, dass er 2025 endlich eröffnen kann.
„Das nachbarschaftliche Gefüge hier in Kalk ist aber intakt. Angesichts der Mischung an Menschen aus verschiedenen Kulturen finde ich es manchmal sogar erstaunlich, wie gut das Zusammenleben funktioniert“, sagt sie. Der Drogenhandel, der sich im Viertel breit gemacht hat, „der findet auf einer ganz anderen Ebene statt. Diese internationalen Strukturen können nur international angegangen werden.“
Am Ende eines bis dahin deprimierenden Gesprächs über die Drogenkriminalität in ihrem Viertel, blicken die Kioskbetreiber Ramazan und Cengiz Yilmaz dann doch noch mit etwas Hoffnung in die Zukunft: „Eigentlich“, so Ramazan, „hat das Viertel Potenzial. Wir haben viele gute Leute hier, wir haben die Kalk-Arcaden, das Polizeipräsidium, den ADAC...“ Und sein Bruder Cengiz glaubt: „Das Viertel kann aufblühen.“ Doch es brauche mehr Aufmerksamkeit. Eins jedenfalls steht für ihn fest: „Wenn hier jeden morgen die Kinder der Politiker aus dem Stadtrat zur Schule gehen müssten, dann sähe es hier ganz schnell ganz anders aus.“