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Interview

Generalmajor der Bundeswehr in Köln
„Es geht nicht darum, Angst zu haben, sondern bereit zu sein für das Unvorhersehbare“

Lesezeit 6 Minuten
Generalmajor Richard Frevel ist Standortältester der Bundeswehr in Köln.

Generalmajor Richard Frevel ist Standortältester der Bundeswehr in Köln.

Generalmajor Richard Frevel, Repräsentant der Bundeswehr in Köln, spricht über Sorgen vor Krieg, Wehrpflicht für Frauen und das Image der Bundeswehr.

Herr General Frevel, Sie sind Standortältester der Bundeswehr in Köln. Was kann ich mir unter diesem Amt vorstellen?

Richard Frevel: Standortältester ist eine Zusatzfunktion, eine Art militärisches Ehrenamt und das gibt es in ganz Deutschland, da hat Köln kein Alleinstellungsmerkmal. Ich bin in der Kölner Stadtgesellschaft der Repräsentant der Bundeswehr, der Ansprechpartner für die Oberbürgermeisterin und andere Akteure. Meine Aufgabe ist es, für die zivil-militärische Zusammenarbeit eine Basis zu schaffen.

Ist die Kölner Stadtgesellschaft heute interessierter an Ihnen und der Bundeswehr als vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine?

Ich bin seit 2018 in diesem Amt. Corona hat schnell die ersten Kontakte einschlafen lassen, heute wird mir wieder mit einem deutlich gesteigerten Interesse begegnet. Der Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 war hierfür mit ausschlaggebend. Seitdem bekomme ich viel mehr Fragen gestellt, oder positiv formuliert: Meiner Firma wird deutlich mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht.

Wie hat sich die Natur dieser Aufmerksamkeit verändert?

Ich formuliere es mal so: Früher herrschte eher ein freundliches Desinteresse, an die Stelle ist nun ein intensiver Gedankenaustausch getreten und ich habe das Gefühl, die Bundeswehr wird gebraucht.

Sie sind seit bald 45 Jahren Soldat. Hatten Sie angesichts der aktuellen globalen Krisen je größere Sorgen, dass Deutschland in Kriege hineingezogen werden könnte?

Während des Ost-West-Konflikts im vergangenen Jahrhundert hatten wir ein Gleichgewicht der Mächte, die nukleare Abschreckung hat funktioniert. Heute herrscht eine ganz andere, eine asymmetrische Bedrohung. Es sind nicht nur Raketen, Bomben und schwere Artillerie, sondern eine hybride Kriegsführung, deren Ziel es unter anderem ist, unsere Computer lahmzulegen, Stromausfälle herbeizuführen und so die Gesellschaft zu bedrohen und zu verunsichern.

Höre ich bei Ihnen tatsächlich Sorge heraus?

Sie hören einen gewissen Realismus oder Pragmatismus. Vor zwölf Jahren, als die Wehrpflicht eingefroren wurde, waren wir in Afghanistan und haben dort internationales Krisenmanagement betrieben. Wir waren von Freunden umzingelt und haben uns über die alten Konflikte politisch keine Gedanken mehr gemacht. Heute sieht es wieder völlig anders aus. Jetzt müssen wir zügig kriegs- und wehrtüchtig werden, eine Verteidigungsfähigkeit entwickeln, um bereit zu sein für das, was kommen könnte. Es geht nicht darum, Angst zu haben oder zu schüren, sondern bereit zu sein für das Unvorhersehbare.

Wie kriegstüchtig ist die Bundeswehr denn in Köln?

In Köln haben wir keine Kampftruppe im eigentlichen Sinn. Hier sitzt viel Verwaltung, das Personalamt, das Amt für Heeresentwicklung, das Luftfahrtamt der Bundeswehr, um nur ein paar zu nennen. Für diese gibt es im Frieden keinen Kampfeinsatz. Wir erfüllen hier aber wichtige Aufgaben. Als Chef des Stabes des Luftwaffentruppenkommandos habe ich in Köln 970 Menschen unter meinem Kommando. Sie wiederum sind zuständig für Führung, Betreuung und Versorgung für circa 85 Prozent der Luftwaffe – und das sind 24.000 Menschen.

Die Bundeswehr ist einer der größten Arbeitgeber in Köln…

…der drittgrößte. Die Stadt Köln ist der größte, dann kommt Ford, dann wir. 9500 Männer und Frauen inklusive zivilem Anteil von 2600 Personen.

Nehmen junge Kölnerinnen und Kölner die Bundeswehr als attraktiven Arbeitgeber wahr?

Die Antwort darauf ist nicht einfach. Es gibt viele, die mittlerweile verstanden haben: Die Bundeswehr ist grundsätzlich attraktiv, sie leistet einen gesellschaftlichen Beitrag, der sich lohnt. Ob wir aber für eine Einzelperson attraktiv sind, hängt viel davon ab, wie sie sozialisiert ist. Will sie aktiv einen Beitrag leisten – oder ist sie auf der Suche nach einer Life-Work-Balance mit einer Drei- oder Viertagewoche. Für letztere wird es bei der Bundeswehr schwierig.

Wie kann die Attraktivität der Bundeswehr gesteigert werden?

Ich würde mir wünschen, dass Arbeitgeber stärker honorieren, wenn jemand freiwillig zum Bund geht. Wer schon etwas für sein Land geleistet hat, sollte bei Bewerbungen einen Joker haben und eher angestellt oder besser bezahlt werden als andere. Das wäre ein echter Anreiz für junge Menschen, zur Bundeswehr zu gehen. Wir müssen als Gesellschaft das Engagement für Deutschland positiv prägen, das ist eine große Aufgabe.

Verteidigungsminister Boris Pistorius will im Rahmen einer Art Wehrpflicht light bald wieder alle jungen Männer fragen, ob sie freiwillig Wehrdienst zu leisten bereit sind. Deutschlands ranghöchster Soldat, Generalinspekteur Carsten Breuer, geht das nicht weit genug. Er fordert, dass Pflichtkontingente eingezogen werden – und vor allem, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen den Dienst erbringen müssen. Stimmen Sie zu?

Frauen dürfen nicht benachteiligt sein, das heißt für mich, gleiches Recht und damit aber auch gleiche Pflichten für alle. Für die Bundeswehr wäre es zudem ein guter und wichtiger Schritt, um zusätzliches Personal für die Streitkräfte zu gewinnen. Wenn sich ein Teil von ihnen weiter verpflichtet, können wir die Zahl der Zeit- und Berufssoldaten Stück für Stück nach oben bringen und auch den Umfang der Reserve weiter ausbauen. Grundsätzlich halte ich das Vorgehen des Verteidigungsministers, die jungen Menschen aktiv zu adressieren, für richtig. Ob damit die 5000 Rekruten, die jährlich in das System integriert werden sollen, erreicht werden, wissen wir alle nicht. Aber die Reaktivierung der bekannten Wehrpflicht, die 2012 ausgesetzt wurde, würde nicht funktionieren. Wir haben damals Infrastruktur abgebaut, Liegenschaften und Kasernen zugemacht. Die ganze Organisation wieder aufzubauen, würde ein irres Geld kosten.

Wenn die Bundeswehr in den Jahren vor dem Krieg in der Ukraine bei der Kölner Spielemesse Gamescom bei jungen Menschen für sich Werbung machte, war der Aufschrei groß. Heute sagen sogar Politikerinnen und Politiker der Grünen im Brustton der Überzeugung: Die Bundeswehr muss bei den Jungen stärker für sich werben. Sind Sie manchmal noch verblüfft, wie sich die Haltung verändert hat?

Ich spüre noch immer eine große Überraschung, aber auch Freude und Zufriedenheit, dass so ein Umdenken stattgefunden hat. 1980 bin ich zur Bundeswehr gegangen, habe die Offiziersschule gemacht und anschließend in Hamburg Pädagogik studiert. Ich bin vorher in Köln-Höhenhaus am Rosenmaar zur Schule gegangen, da war früher noch ein Gymnasium, ich war im letzten Abiturjahrgang, auf der Turnhalle prangte eine riesige Friedenstaube. Während meines Studiums bin ich 1983 zu meinem alten Rektor und habe um ein Praktikum gebeten, er hat sofort zugesagt. Ich war Leutnant und bin am ersten Praktikumstag mit Uniform in die Schule. Das gesamte Lehrerkollegium hat mich vom ersten Moment an als Persona non grata behandelt. Sie waren nicht bereit, mit mir zu diskutieren. 1983 war das, und ich freue mich sehr, dass heute mehr Realitätssinn herrscht.


Zur Person

Generalmajor Richard Frevel, 1960 in Köln geboren, ist seit Ende 2018 Standortältester in Köln. Seit Oktober 2021 ist er Stellvertreter des Kommandierenden Generals und Chef des Stabes im Luftwaffentruppenkommando. Frevel ist Diplom-Pädagoge.