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„Es macht zufrieden, nachdenklich und demütig“Kölner erzählen, was sie bei Wehr- oder Zivildienst gelernt haben

Lesezeit 7 Minuten
Manfred Dunkel, Marcel Pertsemlis und Gerlach Schreiber

Manfred Dunkel, Marcel Pertsemlis und Gerlach Schreiber aus Köln haben alle einen Pflichtdienst absolviert - hier berichten sie über die wertvollen Erfahrungen, die sie damit gemacht haben.

Die Debatte um die Wehr- oder Ersatzdienstpflicht ist neu entbrannt. Wir haben mit drei Kölnern gesprochen, die damals noch ran mussten.

Ich habe meinen Wehrdienst 1989 erst in Pinneberg, dann in Büdel in den Niederlanden absolviert. Natürlich hätte ich auch verweigern und Zivildienst leisten können. Aber das war damals keine wirkliche Option für mich. Das war keine Frage des Lifestyles. Man muss sich in die Zeit zurückversetzen. Es gab noch den Warschauer Pakt und die DDR. Und ich war von der klaren Bereitschaft bestimmt, unser freiheitliches System gegen dieses repressive zu verteidigen.

Nach der Schule war die Armee für mich ein guter Ort für meine Entwicklung. Damals war das noch eine reine Männerwelt, auf der Stube wurde man zusammengewürfelt mit anderen 18 bis 22-Jährigen. Einerseits hatte das was von Pfadfinderlager und Abenteuerwelt. Dazu der Umgang mit Waffen, das fand ich schon technisch interessant. Andererseits musste man sich auch behaupten, um nicht zum Mobbingopfer zu werden.

Gerlach Schreiber ist Jurist.

Gerlach Schreiber war vor 35 Jahren als Wehrdienstleistender bei der Bundeswehr und sagt heute: „Es tut gut, auch mal fremdbestimmt handeln zu müssen. Und einzusehen, dass bei allem Lob der Individualität alles nur dann funktioniert, wenn wir in einer funktionierenden Gesellschaft leben. Und für die muss man sich eben einsetzen.“

Damals habe ich schon darüber gemeckert, dass der Dienst für uns Jungs Zwang war. In der Rückschau finde ich das allerdings gut. Ich habe viel gelernt bei der Bundeswehr und da spreche ich nicht nur vom Hemdenfalten und Spindaufräumen. Gerade als junger Mensch hat es mir gutgetan, dass da jemand war, der mir eine klare Marschrichtung vorgegeben hat, der meinen Alltag klar strukturiert hat. Mit 19 ist man eben nicht der Bestimmer, das ist auch richtig so. Man wurde auch mal zurechtgestutzt und hat gelernt, dass die Gruppe manchmal wichtiger ist als die Individualbefindichkeiten.

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Harte Erlebnisse bringen jungen Menschen manchmal mehr

Ich bin überzeugt, dass gerade jungen Menschen harte Erlebnisse mehr bringen als das dauernde „In Watte gepackt“-Werden. Heute sehe ich bei vielen jungen Leuten den Wunsch, möglichst wenig Stunden zu arbeiten. Wenn man bei der Bundeswehr 15 Kilometer mit Marschgepäck durch die Hitze marschiert, dann erlebt man das auch als anstrengend. Aber da wird trotzdem nicht diskutiert. Und nach der Rückkehr muss das Material sauber gemacht werden, auch wenn man völlig fertig ist. Da muss man sich eben durchbeißen, mit den Gegebenheiten zurechtkommen, auch wenn diese anders sind, als man sich das gewünscht hat. Das hilft auch bei Herausforderungen, die einem später im Leben noch begegnen.

Nicht zuletzt habe ich noch heute viele gute Freunde aus der Bundeswehrzeit. Wir sind auf ganz Deutschland verteilt und treffen uns dennoch immer noch häufig. Wir haben eine sehr besondere Zeit miteinander verlebt und teilt viele besondere Erlebnisse. Das schweißt sehr zusammen.

Wirklich ätzend war nur eines: Das sehr schlechte Essen

Auch für meinen Sohn und meine Tochter (14 und 12) würde ich eine Wehr- oder Zivildienstpflicht begrüßen. Es tut gut, auch mal fremdbestimmt handeln zu müssen. Und einzusehen, dass bei allem Lob der Individualität alles nur dann funktioniert, wenn wir in einer funktionierenden Gesellschaft leben. Und für die muss man sich eben einsetzen. Ob nun beim Bund oder im Altenheim, ist egal, in beiden Fällen lernt man Wertvolles.

Ätzend war eigentlich nur das sehr schlechte Essen in Pinneberg. Das war qualitativ minderwertig, nur knorpeliges Fleisch.

Gerlach Schreiber, Jurist, Personal und Rechtsvorstand bei einer Versicherung, 54 Jahre


Marcel Pertsemlis, Bereichsleitung Hausnotruf, Fachbereich Senioren und Behinderte beim DRK, steht vor dem Gebäude des DRK in Köln Ehrenfeld.

Marcel Pertsemlis, Bereichsleitung Hausnotruf beim DRK, hat nach eigener Aussage vom Zivildienst profitiert:„ Ich habe meine Berührungsängste gegenüber alten und behinderten Menschen komplett verloren. Außerdem habe ich ein viel besseres Gespür für meinen Gegenüber entwickelt, ich habe Hilfsbedürftige im Blick.“

Für mich war klar, dass ich den Wehrdienst verweigere. Der Drill, die Hierarchie bei der Bundeswehr, das wäre nicht mein Ding gewesen. Ich durfte mir dann meine Stelle selbst aussuchen und bin schließlich beim DRK im Hausnotruf gelandet. Meine Aufgabe war es zu Seniorinnen und Senioren rauszufahren, die gestürzt oder aus dem Fernsehsessel gerutscht waren und sich nicht mehr selbst aufrichten konnten. Ich kann mich noch gut an den ersten Anruf hier erinnern, den ich entgegen nahm. Meine Hände waren schweißnass. Irgendwie war mir klar: Jetzt kommt es auf dich an, jetzt bist du verantwortlich. Ich habe viel Dankbarkeit erlebt. Allerdings auch viel Einsamkeit. Da kam es auch vor, dass jemand den Notruf drückte und bei meiner Ankunft unversehrt am Tisch saß und zugab, dass er nur gern mal mit jemandem reden oder einen Kaffee trinken würde. Weil die Kinder schon lang nicht mehr da waren und man auch an Weihnachten die Enkel wohl nicht sehen könne. Oder ein belastender Arzttermin anstand. Manchmal ist natürlich auch jemand verstorben, dem ich viele Wochen aufgeholfen hatte. Das hat mich vor allem am Anfang sehr mitgenommen.

Ich selbst lebe vielleicht auch bewusster. Weil ich erlebt habe, dass es mir vergleichsweise sehr gut geht
Marcel Persemlis, 43, Bereichsleiter Hausnotruf DRK

Insgesamt bin ich extrem froh, diese ganzen Erfahrungen gemacht zu haben. Zum einen hat es mich beruflich weit gebracht. Zum anderen wäre ich ohne Zivildienst sicher ein weniger sozialer Mensch geworden. Ich habe dadurch meine Berührungsängste gegenüber alten und behinderten Menschen komplett verloren. Außerdem habe ich ein viel besseres Gespür für meinen Gegenüber entwickelt, ich habe Hilfsbedürftige im Blick. Ich merke, wenn jemand nicht gut zurechtkommt, nicht gut zu Fuß ist. Dann biete ich proaktiv meine Unterstützung an. Ich selbst lebe vielleicht auch bewusster. Weil ich erlebt habe, dass es mir vergleichsweise sehr gut geht und ich Menschen, denen es schlechter geht, das Leben erleichtern kann.

Ich bin sicher, dass der Dienst an der Gesellschaft alle jungen Menschen weiterbringt. Ich bin schon im Elternhaus so erzogen worden, dass Pünktlichkeit, Fleiß, Ehrlichkeit, Loyalität und Teamwork grundlegende Werte im Leben sind. Aber ich habe den Eindruck, dass diese Werte heute immer weniger verbreitet sind. Ein sozialer Pflichtdienst könnte den Blick dafür wieder schärfen.

Ob die Wiedereinführung eines Pflichtjahres eine gute Idee ist, bezweifle ich trotzdem. Menschen, die sich freiwillig für einen Dienst entscheiden, haben mehr Motivation. Da fände ich es besser, wenn man vorhandene Freiwilligendienste attraktiver gestalten würde, zum Beispiel durch mehr Geld. Man muss ja bedenken, dass allein ein WG-Zimmer heute wahnsinnig teuer ist.

Marcel Pertsemlis, Bereichsleiter Hausnotruf DRK, 43 Jahre


Porträt von Manfred Dunkel vom THW, der schon seinen Ersatzdienst beim THW im Katastrophenschutz absolviert hat.

Manfred Dunkel engagiert sich schon seit er 17 Jahre alt ist beim THW. Er sagt: „Hier habe ich schon als junger Mensch gelernt, Verantwortung zu übernehmen, Mitarbeiter zu führen und anzuleiten. Dafür zahlt man später in einem Managementseminar viel Geld.“

Beim THW angefangen habe ich im Herbst 1983 mit 17 Jahren. Anfangs stand ehrlichgesagt die Pflicht im Vordergrund, ich war jung, da kann man sich besseres vorstellen, als samstags um acht Uhr beim THW auf der Matte zu stehen. Ich wusste aber, ich muss einen Dienst leisten und da ich gleich nach der Schule mein Ingenieursstudium beginnen wollte, erschien mir die Verpflichtung, zehn Jahre lang einen Samstag im Monat zu investieren, im Vergleich zu einem eineinhalb Jahre währenden Wehr- oder Zivildienst attraktiver. Und dann übten natürlich diese ganzen Werkzeuge eine große Faszination auf mich auf: Große Aufbrechhammer zum Durchbrechen von Trümmerteilen, Leiterhebel, mit denen man Menschen aus Fenstern retten kann, riesige Winden, mit denen man Betonplatten hochheben kann – all das findet man ja nicht in seinem privaten Hobbykeller. Geld bekommt man hier nicht, aber man kann etwas erleben.

Später kam auch das gute Gefühl dazu, das sich einstellt, wenn man jemandem helfen kann. Bei Rockkonzerten im altem Müngersdorfer Stadion haben wir bei einer großen Hitzewelle zum Beispiel mal dem Rettungsdienst dabei geholfen, die ganzen vor der Bühne ohnmächtig gewordenen Teenager nach draußen zu tragen. Ich erinnere mich aber auch sehr gut an die großen Hochwasserereignisse in Köln an Weihnachten 1993 und Anfang des Jahres 1995. Wir haben da mobile Wände an der Rheinpromenade mit hochgezogen, um die Altstadt vor dem Wasser zu schützen. Durch gut strukturierte Einsätze und viele Hände konnten wir ein bisschen dazu beitragen, die Lage zu verbessern. Das macht einen schon zufrieden.

Es macht auch demütig. Da wird einem bewusst, wie plötzlich eine Katastrophe in das Leben hineinplatzen kann.
Manfred Dunkel, 58, Ingenieur

Aber manchmal auch nachdenklich und demütig. Es ist etwas anderes, ein Unglück im Fernsehen zu sehen als wirklich dabei zu sein. Ich denke zum Beispiel an das Zugunglück in Brühl im Jahr 2000, als ein Schnellzug am Bahnhof entgleiste und neun Menschen starben. Da wird einem bewusst, wie plötzlich eine Katastrophe in das Leben hineinplatzen kann. Wie groß der Schaden sein kann.

Mittlerweile bin ich vierzig Jahre beim THW und im Laufe der Zeit haben sich auch verlässliche Freundschaften entwickelt. Man kann da schon von familiären Verhältnissen sprechen, schließlich verbringt man viel Zeit miteinander. Das ist auch ein soziales Netz, das ich nicht mehr missen möchte. Außerdem habe ich hier schon als junger Mensch gelernt, Verantwortung zu übernehmen, Mitarbeiter zu führen und anzuleiten. Dafür zahlt man später in einem Managementseminar viel Geld.

Dass sich junge Menschen engagieren, halte ich für extrem wichtig. Anders kann die Gesellschaft nicht funktionieren. Ein Pflichtjahr war damals vor allem für die Hilfsorganisationen von Vorteil, da es den jungen Menschen den Einstieg erleichterte und viele dann einfach ihr Leben lang beim THW oder der Feuerwehr geblieben sind. Trotzdem halte ich den Weg der Freiwilligkeit für den besseren. Ich glaube, die Bereitschaft, sich zu engagieren hat dadurch in den vergangenen Jahren sogar zugenommen.

Manfred Dunkel, Ingenieur in der Softwareentwicklung, 58 Jahre