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Sieger der GegensätzeWarum hat die Linke in Köln-Kalk gewonnen – und die AfD in Chorweiler?

Lesezeit 7 Minuten
Mit hochgestrecktem Daumen wirbt der „Mietrebell“ Kalle Gerigk für die Linken auf der Kalker Hauptstraße.

Mit hochgestrecktem Daumen wirbt der "Mietrebell" Kalle Gerigk für die Linken auf der Kalker Hauptstraße.

Beide Viertel gelten als sozial benachteiligt. Während in Kalk die Linken siegen, holt die AfD in Chorweiler ihr bestes Ergebnis. Was sagen Anwohner?

Mit breitem Grinsen und ausgestrecktem Daumen grüßt Kalle Gerigk von einem Wahlplakat der Linken auf der Kalker Hauptstraße. Im Hintergrund ist eine Hochhaussiedlung zu sehen. „Alle für Kalle!“, steht auf dem Plakat. Und rechts davon, etwas kleiner: „Merz muss weg.“ Auch ohne Parteibuch hat Die Linke Gerigk zum Direktkandidaten im Wahlkreis Köln I gewählt. Das hat wohl auch damit zu tun, dass Gerigk in Köln als „Mietrebell“ bekannt ist, seitdem er vor elf Jahren im Agnesviertel selbst eine Zwangsräumung wegen Eigenbedarfs erlebte.

In Kalk zumindest waren Gerigk und Die Linke überraschend erfolgreich: Zwar verpasste Gerigk hier den Sieg bei den Erststimmen knapp mit 22,6 Prozent der Stimmen gegen die SPD (26,25 Prozent) – bei den Zweitstimmen errang Die Linke in Kalk aber einen klaren Sieg: Holte die Partei im gesamten Stadtgebiet insgesamt 14,9 Prozent der Stimmen, waren es in Kalk mit 30,4 Prozent sogar doppelt so viel. 2021 holte Die Linke hier nur 13,1 Prozent. Damals gewannen die Grünen den Stadtteil mit 31,1 Prozent.

Linke verdrängt Grüne in Köln-Kalk vom Spitzenplatz

In Chorweiler sehen die Verhältnisse anders aus: Dort ist die AfD mit 25,5 Prozent stärkste Kraft geworden und hat damit in diesem Stadtteil ihr bestes Ergebnis im Raum Köln geholt. Insgesamt kam die Partei in Köln auf 10,03 Prozent der Zweitstimmen. Die Linke konnte ihr Ergebnis in Chorweiler allerdings ebenfalls deutlich verbessern. Von 7,6 Prozent, die sie 2021 erhielt, steigerte sich die Partei nun auf 18,6 Prozent. Die SPD, die bei den vergangenen Bundestagswahlen die meisten Stimmen in Chorweiler erhielt, verlor im Vergleich zu 2021 rund zehn Prozentpunkte und ist mit 20,7 Prozent nur noch zweitstärkste Partei im Stadtteil.

Auch in Köln haben bei den Bundestagswahl die Ränder links und rechts der Mitte dazugewonnen. Das sieht man am deutlichsten in Kalk und in Chorweiler. Auf den ersten Blick haben die beiden Stadtteile auch einiges gemeinsam. Beide Viertel haben mit Kriminalität zu kämpfen, in beiden Vierteln ist die Arbeitslosenquote hoch, genauso wie der Anteil der Menschen ohne deutschen Pass. Doch warum hat in Kalk die Linke so stark dazugewonnen – und in Chorweiler die AfD?

Mieten, Migration, Social-Media als Grund für den Hype der Linken?

Lea Reisner, die für die Kölner Linken erstmals in den Bundestag einzieht, nannte das Kölner Wahlergebnis ihrer Partei auch am Montag nach einer kurzen Nacht noch „völlig abgefahren“. Sie feierte den „historischen Erfolg“ der Linken, die erstmals stärkste Kraft in einzelnen Kölner Stadtteilen wurden und er klärte das so: „Wir haben konsequent an der Seite von Migrantinnen und Migranten gestanden.“ Dass die Linken ihr Ergebnis in Köln in einem Stadtteil wie Kalk im Vergleich zur letzten Bundestagswahl mehr als verdoppeln konnten, könnte mit dem Thema Nahost zu tun haben, sagte Reisner: „Wir haben Waffenlieferungen nach Israel strikt abgelehnt.“ Sicher ist sie sich, dass die Erfolge etwas damit zu tun haben, „dass wir als einzige Partei keine Sündenbockpolitik betreiben“.

Die Social-Media-Arbeit der Linken bekam außerdem einen zusätzlichen Schub, nachdem Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek wortgewaltig gegen den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz und die Abstimmung der CDU/CSU mit der AfD in Sachen Migrationspolitik wetterte – und das Video hunderttausendfach weiterverbreitet wurde. Das habe für den Aufschwung der Linken eine wichtige Rolle gespielt. „Aber nicht nur“, sagte Reisner, „es war eine Kombination aus Social Media, Haustür- und Straßenwahlkampf und dem Mitmachen von vielen neuen Mitgliedern.“

Fragt man die Menschen auf der Kalker Hauptstraße einen Tag nach der Bundestagswahl, wie sie sich den Wahlerfolg der Linken in ihrem Viertel erklären, blickt man in viele überraschte, teils in ratlose Gesichter. „Ich hätte gedacht, dass die SPD ganz vorne liegt“, sagt etwa Dilkhaz Ghaz. Auch er habe, wie schon bei der letzten Bundestagswahl, die Sozialdemokraten gewählt. Dass die Linke ganz vorne landet, wundert ihn aber nicht. Der Migrationsanteil in Kalk sei hoch. „Die AfD wird immer stärker, die CDU stimmt mit ihr ab. Da ist die Linke eine der wenigen Parteien, die sich dagegen wehrt und nicht die Migranten für alle Probleme verantwortlich macht.“

Jonas Zimmer, Vorsitzender des Bürgervereins Kalk, hat noch eine andere These: „Die Mietpreise in Kalk sind in den vergangenen Jahren komplett durch die Decke geschossen. Teilweise nähern sich die Preie dem Niveau in der Innenstadt an.“ Zimmer erzählt etwa von Bürgergeld-Empfängern, denen das Arbeitsamt die Miete in Kalk nicht mehr zahlen wolle, weil sie zu teuer sei. „Und das Thema Mieten hat die Linke auch hier auf lokaler Ebene immer wieder adressiert.“

Jonas Zimmer, Vorsitzender des Bürgervereins Kalk

Prof. Dr. Jonas Zimmer, Vorsitzender des Bürgervereins Kalk

Zudem sei Kalk ein Viertel der Gegensätze: „Wir haben hier viele Menschen, die nicht gerade zu den Besserverdienern gehören. Gleichzeitig ist das Viertel durchkommerzialisiert worden, etwa mit den Kalk-Arcaden. Das heißt, man kriegt dort jeden Tag vor Augen geführt, was man sich alles nicht leisten kann.“ Und auch das Thema soziale Ungleichheit sei ein Kernthema der Linken.

Sorgen um Sicherheit in Chorweiler

Während in Kalk also die Linke als Sieger aus der Bundestagswahl hervorgeht, hat in Chorweiler die AfD die meisten Stimmen geholt. Christer Cremer, Kölner Vorsitzender der AfD, sagt zum Erfolg der Partei in Chorweiler: „Wir sind stolz auf das Ergebnis“. Dass seine Partei ausgerechnet dort so gepunktet hat, sei eine „soziokulturelle Frage“, sagt Cremer. Was Cremer damit meint? Dort wohne die „klassisch arbeitende Bevölkerung“ Kölns, er sehe den Erfolg seiner Partei aber nicht an die Einkommensverhältnisse der Wähler gekoppelt. „Wir werden hier als bodenständige Partei wahrgenommen“, sagt Cremer. Die Wähler im Kölner Norden würden denken, die AfD sei eben die Partei, die ihre Probleme lösen könne.

Und wie blicken die Menschen im Stadtteil auf die Ergebnisse der Bundestagswahl? Martina Hommes ist auf dem Liverpooler Platz in Chorweiler unterwegs und schockiert von den Zahlen, die die AfD erzielt hat. Sie geht davon aus, dass die Anschläge in Magdeburg und Aschaffenburg der Partei in die Hände gespielt haben. Aber die bisherigen Regierungsparteien hätten sicherlich auch Fehler gemacht. Sie könne zum Beispiel nicht nachvollziehen, warum so viele Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, trotzdem nicht abgeschoben werden.

Die Eheleute Ibrahim und Kübra, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen wollen, sagen hingegen, sie könnten sehr gut verstehen, warum jemand die AfD wählt. „Die Menschen, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind, halten sich nicht an die Regeln hier. Jeder hat auf einmal eine Waffe.“ Die Sicherheit in ihrem Stadtteil sei für sie eines der wichtigsten Themen. Die beiden erwarten ein Kind und Ibrahim betont: „Ich habe Angst, wenn meine Frau hier abends allein unterwegs ist.“

Roman Friedrich arbeitet seit rund 20 Jahren als Sozialarbeiter in Chorweiler und sitzt für die CDU in der Bezirksvertretung, er sagt: „Die Menschen hier vermissen klare Aussagen zu den Themen ihres Alltages.“ Friedrich nennt die Migration, dazu die Wirtschaftspolitik. „Hier arbeiten viele Menschen bei Ford, die um ihre Arbeitsplätze fürchten.“ Der Kölner Autobauer streicht seit Jahren Stellen. Friedrich spricht von einer allgemeinen Frustration, die stärker als früher in radikale Aussagen mündet.

Roman Friedrich arbeitet seit rund 20 Jahren als Sozialarbeiter in Chorweiler und sitzt für die CDU in der Bezirksvertretung,

Roman Friedrich arbeitet seit rund 20 Jahren als Sozialarbeiter in Chorweiler und sitzt für die CDU in der Bezirksvertretung (Achivfoto).

Chorweiler ist geprägt von Menschen, die aus dem postsowjetischen Raum hierhingezogen sind, auch viele Russlanddeutsche leben in Chorweiler. Diese Gruppe gilt als besonders AfD-nah. Friedrich ist selbst Russlanddeutscher, er sagt: „Viele Russlandeutsche haben eine emotionale Bindung zu ihren Heimatländern in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Sie stören sich am Konfrontationskurs der großen Parteien im Ukraine-Krieg.“ Die AfD spreche ganz bewusst diese Zielgruppe an und kümmere sich um deren Grundbedürfnisse, wie etwa die Sicherheit.

Für die SPD ist der Absturz in Chorweiler derweil ein herber Schlag. In benachteiligten Stadtteilen seien die Verteilungskämpfe unter den Menschen viel schärfer als im Bevölkerungsdurchschnitt, sagte die Kölner SPD-Chefin Claudia Walther: „Das spielt dann auch das Thema Geflüchtete eine größere Rolle.“ Warum die SPD, die sich für eine Umverteilung des Reichtums im Land einsetzte, die Bevölkerung gerade in Chorweiler nicht besser erreichen konnte, sei „eine Frage, die wir uns stellen müssen“.